Berlin. Industrieländer haben häufig eine niedrige Geburtenrate. Dieses Land leidet am stärksten unter Kindermangel – mit gravierenden Folgen.

Kinder zu haben gilt in Industrieländern als Reichtum. Kinder halten eine Gesellschaft jung, sie wachsen zu wichtigen Arbeitskräften heran, sie sorgen für die Rentenzahlungen und sind ein Beweis dafür, dass staatliche Systeme gut funktionieren. Eine niedrige Geburtenrate ist dagegen ein Alarmsignal.

Umso schwerer wiegt ein negativer Rekord, den Südkorea gerade aufgestellt hat. Schon 2021 hatte das asiatische Land die niedrigste Geburtenrate der Welt im Vergleich mit 260 Nationen, die von der Weltbank beobachtet werden. Jetzt hat Südkorea diese Marke noch einmal unterboten. Nur 249.000 Babys kamen 2022 in Südkorea zur Welt. Das entspricht einer Geburtenrate von 0,79 Prozent nach 0,81 im Jahr zuvor, wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet.

Zum Vergleich: In Deutschland, wo Experten ebenfalls wenige Geburten registrieren und vor negativen Auswirkungen des demografischen Wandels warnen, betrug die Geburtenrate im Jahr 2021 immerhin 1,58. Zudem ist die Tendenz steigend: Im Jahr 2020 wurden vom Statistischen Bundesamt noch 1,53 Kinder je Frau gezählt.

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Geburtenrate in Südkorea: Die Bevölkerung könnte sich halbieren

Blick über das Zentrum der koreanischen Hauptstadt Seoul.
Blick über das Zentrum der koreanischen Hauptstadt Seoul. © picture alliance / Daniel Kalker | Daniel Kalker

Die Entwicklung der Geburtenrate ist eine Bedrohung für Südkorea, ein Land, das sich nach dem Koreakrieg im Rekordtempo zu einer wohlhabenden Industrienation entwickelt hat – auch dank seiner produktiven Arbeitskräfte. Die Zukunft erschien rosig: Vor fünf Jahren hat Südkorea seinen Status als Entwicklungsland offiziell aufgegeben. Doch dem Land gehen die Kinder aus – und damit ist das Leistungsvermögen in Gefahr. Zudem droht Verarmung, wenn immer weniger Arbeitnehmer immer mehr ältere Menschen versorgen müssen.

Wie stark die Bevölkerung in Südkorea schrumpft, zeigt auch das sogenannte Geburtendefizit. Es listet das Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen auf. 249.000 Geburten in Südkorea standen 2022 ungefähr 373.000 Todesfälle gegenüber. Das Land verzeichnet damit den stärksten Bevölkerungsrückgang unter allen Ländern mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von mindestens 30.000 Euro, geht laut Bloomberg aus Zahlen der Vereinten Nationen und der Weltbank hervor.

Hält der Trend an, werden im Jahr 2100 nur noch 24 Millionen Menschen in Südkorea leben, so die Berechnungen. Damit würde sich die Einwohnerzahl in Südkorea mehr als halbieren. Derzeit zählt Südkorea mit rund 52 Millionen Einwohnern zu den 30 bevölkerungsreichsten Staaten der Erde.

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    Sinkende Geburtenraten sind nicht ungewöhnlich für Industrieländer. Doch die Entwicklung in Südkorea ist extrem. Laut Experten sollte vor allem für die Frauen in Südkorea mehr getan werden. Tradierte Rollenbilder müssten sich der modernisierten Gesellschaft anpassen. Die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Frauen im Vergleich zu denen koreanischer Männer müssten sich verbessern, und sie dürften keine Angst haben, im Job noch stärker benachteiligt zu werden, wenn sie Babys bekommen.

    Junge Frauen in Seoul, Südkorea.
    Junge Frauen in Seoul, Südkorea. © picture alliance / Xinhua News Agency | Wang Jingqiang

    Das Durchschnittsalter, in dem eine Frau in Südkorea ihr erstes Kind bekommt, stieg im vergangenen Jahr auf 33 Jahre, berichtet Bloomberg. Das zeigt, wie angespannt die Situation für Frauen ist. Frauenrechtlerinnen in Südkorea sprechen längst von einem "Geburtenstreik". Zu den weiteren Faktoren, die die Menschen in Südkorea vom Kinderkriegen abhalten, gehören den Daten zufolge hohe Kosten für Bildung und für Wohnraum.

    Die Regierung in Südkorea hat schon vor Jahren Programme gestartet, um die gefährliche Entwicklung zu stoppen. Sozialleistungen für Familien wurden eingeführt, zum Beispiel ein Kindergeld, das zuletzt verdreifacht wurde. Gleichzeitig wurden Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Vermehrt sollen Roboter eingesetzt und Migranten in den Arbeitsmarkt aufgenommen werden. Auch die Lebensbedingungen der alten Menschen, die immer zahlreicher werden, sollen verbessert werden. Denn wer arm ist, kann nicht konsumieren. Das schadet der Wirtschaft.

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    Auch in China bleibt die Geburtenrate niedrig - trotz Ende der Ein-Kind-Politik

    Auch andere asiatische Länder sehen sich mit einer niedrigen Geburtenrate konfrontiert. Zu ihnen gehören Hongkong, Singapur, Taiwan und die Volksrepublik China. In China lag die Geburtenrate nach Zahlen der Vereinten Nationen im Jahr 2021 bei 1,16. Seit Jahren gehen die Geburten zurück, die Gesellschaft überaltert.

    China hatte in den 1970er Jahren die Ein-Kind-Politik ausgerufen und mit einer strengen Geburtenkontrolle begonnen. Was zu Modernisierung und Wirtschaftswachstum beitragen sollte, zeigt nun negative Auswirkungen. Dabei ist die Ein-Kind-Politik längst aufgehoben, 2021 wurden auch drei Kinder erlaubt. Doch nur ein Kind zu haben, ist in China weiterhin die soziale Norm, eine Trendwende bei der Geburtenrate nicht in Sicht.

    Die Folge: Chinas Bevölkerung ist 2022 erstmals seit sechs Jahrzehnten geschrumpft. Ende Dezember hatte das bevölkerungsreichste Land der Welt 1,411 Milliarden Einwohner und damit rund 850.000 weniger als ein Jahr zuvor, teilte das Statistikamt in Peking mit. Experten sprechen von einem Wendepunkt in Chinas Geschichte und warnen vor den Folgen einer „unvorstellbaren“ Bevölkerungskrise. Auf den Überschuss an Werktätigen folge nun Arbeitskräftemangel, einen Rentenkrise drohe. Es sei dringend notwendig, die Sozial- und Wirtschaftspolitik zu ändern.

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