Köln. Sexismus-Skandal bei DSDS: Rapperin Katja Krasavice ist die Erste, die es mit Bohlen aufnimmt. Warum bei RTL die Besorgnis wächst.

Er kann ja auch nett sein. Vor allem zu sehr jungen Kandidatinnen. Zu denen sucht Dieter Bohlen (68), Chefjuror der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), auch mal körperliche Nähe: ,„Komm her, Schnucki, Engel muss man umarmen, damit sie nicht wegfliegen.“ Denen sah er überschaubares Talent nach und urteilte: „Ein kleines Ja vom großen Dieter und ein großes Ja vom kleinen Dieter.“

Seit 20 Jahren ist „DSDS“ Bohlens Reich, in dem er fördern und vernichten kann, wie es ihm beliebt. Als er jetzt Kandidatin Jill (22) fragte, ob sie außer Abi und „sich durchnudeln lassen“ noch etwas geleistet habe in ihrem Leben, war das nur ein weiterer Spruch. Neu war seine Mitjurorin Katja Krasavice (26).

„Bohlen, du alter weißer sexistischer Typ“

Die gebürtige Tschechin wurde durch explizite Social-Media-Beiträge bekannt. Trotz dreier Nr.-1-Alben ignorierte die „seriöse“ Presse die Sex-Rapperin. Ein Schmuddelkind der Musikbranche. Jene Krasavice ist nach dem jüngsten Ausfall fest entschlossen, den Pop-Titan zu stürzen.

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„Dieter Bohlen, du alter weißer sexistischer Typ. Du hattest nicht nur keinen Respekt vor vielen Kandidaten, sondern genauso keinen Respekt vor mir in der Jury. Du hast Leute angegriffen, die genauso sind wie ich“, wetterte sie. Außerdem kündigte sie weitere Enthüllungen an.

Dieter Bohlen liebte die Fäkalsprache

Erstaunlich lange galten Bohlens von Gagschreibern angespitzte Sprüche, mit denen er Popstar-Träume in Stücke riss, unter DSDS-Fans als „Kult“, besonders wenn diese sich Metaphern aus dem Ausscheidungsbereich bedienten, etwa: „Wenn das Wetter so wäre wie deine Stimme, würde es Sch... regnen.“

Doch nicht nur die gesangliche Darbietung wurde da vor einem Millionenpublikum zerfetzt, sondern auch das Aussehen. Beispiel: „Du bist ein Mensch, wie Gott ihn geschaffen und McDonald’s ihn geformt hat.“ Zum Nachlesen und Selbstanwenden standen die Sprüche am nächsten Tag in der Zeitung oder im Internet, das nichts vergisst. Die Kandidaten waren da schon zurückgekehrt in ihre Stadt, ihre Schule, ihre Ausbildung, geschlagen und erniedrigt.

Dann kamen #MeToo, Diskussionen über psychische Gesundheit, Bodyshaming und Mobbing. Die Arbeitswelt, die ganze Gesellschaft wandelte sich. Bohlen blieb was er ist. Ein Proleten-Macho. Während Heidi Klum mit „Germany’s Next Topmodel“ für viele als der neue Antichrist galt und als Schuldige für jeden nicht leer gegessenen Teller in Deutschland ausgemacht wurde, bis sie das Konzept ihrer Show umwarf, tat sich bei „DSDS“: nichts.

Angeblicher Mitarbeiterinnen-Aufstand sorgte für Unruhe

Dann plötzlich, 2021, schickte die neue RTL-Führung Despot Dieter ins Exil, nur um ihn 2022 für eine letzte „DSDS“-Staffel noch einmal zu reaktivieren. Auf den jüngsten Sexismusskandal reagierte der Sender achselzuckend und reduzierte ihn zu einem persönlichen Streit zwischen drei Beteiligten. Die verunglimpfte Jill hätte die Sendung ja verlassen können. Und bis Beginn der Live-Mottoshows im April hätten Bohlen und Krasavice ja noch Zeit, sich zu vertragen.

RTL behalte eben immer seine Klientel im Auge, so eine Insiderin dazu. Deren angenommene Bedürfnisse würden gegen eigene Ansprüche abgewogen. Die „Bubble“ der Gender- und Sexismusdebatten sowie Hashtags sei nun mal fern der Lebenswelt des „DSDS“-Zuschauers. Für Unruhe sorgte demnach bei den RTL-Bossen erst ein Bericht in der „Bild“-Zeitung, in dem unter Berufung auf anonyme Quellen von einem Aufstand der RTL-Mitarbeiterinnen gegen die Duldung Bohlens die Rede war.

„DSDS“ lebte immer vom Zoff

Die Begriffe „Sexismus“ und „Mitarbeiterinnen“ in einem Satz versetzten in Alarmbereitschaft. Die RTL Group ist ein internationales Unternehmen. Gut in Erinnerung ist noch, wie Machtmissbrauchsvorwürfe gegen den früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt Unruhe in die USA-Expansion des Springer-Verlags brachten.

Letztendlich, so die Insiderin, habe „DSDS“ immer polarisiert und lebe von „Zoffdramaturgien“: Eine erwartete Live-Eskalation zwischen Bohlen und Krasavice dürfte die Quoten noch einmal steigen lassen. Dann ist die 20-jährige Bohlen-Show hoffentlich zu Ende.