Im Erdbebengebiet in der Türkei steigt die Wut. Deutsche und österreichische Rettungskräfte mussten deshalb ihre Einsätze unterbrechen.

Mehr als sechs Tage nach dem Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion schwindet mit jeder Minute die Chance, Überlebende zu finden. Die Zahl der Toten stieg mittlerweile auf über 30.000 an. Dennoch geben Wundermeldungen, wie die von einem nach mehr als 134 Stunden aus den Trümmern geborgenen Baby, den Helfern weiter Hoffnung. Während die Rettungsarbeiten andauern, werden die Fragen nach den Schuldigen in der Türkei lauter. Immer öfter berichten Rettungsorganisationen von Wut und Gewalt in den zerstörten Städten.

„Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein“, berichtete Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer auf Anfrage der Nachrichtenagentur APA. Die Rettungsmission aus Österreich musste kurzzeitig ihre Arbeit unterbrechen. Die Soldaten des Bundesheeres arbeiteten erst unter dem Schutz der türkischen Armee weiter.

Türkei: Deutsche Hilfsorganisationen registrieren zunehmende Wut

Auch deutsche Rettungskräfte des Technischen Hilfswerks (THW) und der Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany mussten ihre Rettungsarbeiten unterbrechen. Sie blieben aber vor Ort, um bei konkreten Hinweisen verschüttete Opfer bergen zu können. Nach den Erdbeben sind viele Überlebende traumatisiert und befinden sich in Trauer um ihre Familienmitglieder. „Es ist festzustellen, dass die Trauer langsam der Wut weicht", bemerkte I.S.A.R. Germany Einsatzleiter Steven Bayer.

Aus vielen Städten der betroffenen zehn Provinzen mehren sich außerdem Berichte von Plünderungen. Am Donnerstag ließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vom Parlament den Ausnahmezustand für drei Monate bestätigen. Damit würden Plünderungen und Gewaltausbrüche eingedämmt werden.

Nach Erdbeben: Seuchengefahr in den Erdbebengebieten wächst

In der Türkei steigt unterdessen die Kritik an der Regierung, die wichtige Bauvorschriften nicht durchgesetzt haben soll. Die Hilfsarbeiten sollen gerade in den ersten Tagen nur schleppend angelaufen sein. Behörden ließen wertvolle Zeit verstreichen, Ankara reagiere zu zögerlich, kritisiert die Opposition. Viele Menschen kostete das möglicherweise das Leben. Die Türkei ist auf die Hilfe der mehr als 8.000 ausländischen Retter angewiesen. Das syrische Grenzgebiet ist für internationale Hilfsorganisationen nur schwer zu erreichen.

Mittlerweile verhafteten türkische Strafverfolgungsbehörden mehrere Bauunternehmer. Sie sollen für Baumängel verantwortlich sein, die zum Einsturz vieler Häuser geführt haben, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Für die Menschen in den betroffenen Gebieten ist die Gefahr noch nicht vorbei. „In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen“, erklärte Thomas Geiner, erdbebenerfahrener Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis. In den eisigen Temperaturen harren immer noch viele Überlebende ohne Unterkunft, Sanitäranlagen und medizinische Versorgung aus. (os/dpa)