Sydney. Über 15 Jahre durfte im Zentrum Australiens kein Alkohol verkauft werden. Nach dem Ende der Prohibition eskaliert die Kriminalität.

15 Jahre war der Verkauf von Alkohol in vielen indigenen Gemeinden im australischen Outback illegal. Im Juli wurde die umstrittene Regulierung gekippt. Seitdem wird Alice Springs im Zentrum des Landes jedoch von einer Welle an Kriminalität überrollt und viele sehen die Schuld beim Alkohol. Selbst der australische Premierminister hat sich inzwischen eingeschaltet.

Mitte Januar schrieb die Bibliothek in Alice Springs, sie müsse nach einem Einbruch vorübergehend schließen: Es sei eine Menge Sachschaden entstanden. Ein Motorcross Championship wurde abgesagt, weil die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Stadt im Outback nicht mehr gewährleistet werden kann. Etliche Geschäfte haben sich entschieden, aus Angst vor Übergriffen vor Einbruch der Dunkelheit zu schließen. Bilder und Nachrichten von eingeschlagenen Fensterscheiben und jugendlichen Einbrechern und Randalierern sind auf sozialen Medien geteilt worden.

Welle der Kriminalität überrollt Alice Springs

Alice Springs ist der zentrale Punkt Australiens und der Ausgangsort für Touren zum berühmten Sandsteinmonolith Uluru, der fünfeinhalb Autostunden entfernt liegt. Auch das wichtige amerikanisch-australische Spionagezentrum Pine Gap befindet sich in der Nähe von Alice Springs. In den vergangenen Monaten haben Diebstähle, Einbrüche und Gewaltverbrechen in der Stadt mit ihren rund 30.000 Einwohnern jedoch so überhandgenommen, dass der Bürgermeister Matt Paterson bereits von einer "Krise" gesprochen hat.

Alice Springs ist Ausgangspunkt für Touristen-Trips zum Uluru, früher bekannt als Ayers Rock.
Alice Springs ist Ausgangspunkt für Touristen-Trips zum Uluru, früher bekannt als Ayers Rock. © Nico Smit

In den zwölf Monaten bis Ende November ist laut der lokalen Polizei die Zahl der Einbrüche in Geschäfte um über 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, gewaltsame Übergriffe haben um 44 Prozent zugenommen und Fälle von häuslicher Gewalt um mehr als 50 Prozent. Auch Fälle von Vandalismus sind um fast 60 Prozent gestiegen und rund ein Fünftel mehr Hauseinbrüche passierten als noch ein Jahr zuvor.

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Donna Ah Chee, die seit 36 Jahren in Alice Springs lebt, hatte noch nie zuvor Probleme gehabt. Doch nun wurde innerhalb von nur einer Woche zweimal in ihr Haus eingebrochen, wie sie mehreren australischen Medien berichtete, darunter Sky News oder der lokalen Ausgabe des "Guardian". Beim ersten Mal seien es nur Kinder gewesen, die in Schubladen und Schränken wühlten – so vermutet sie zumindest.

Beim zweiten Mal hätten jedoch zwei betrunkene Männer, einer von ihnen mit einem großen Schraubenschlüssel, ihr Küchenfenster eingeschlagen. Sie bedrohten Ah Chee und verlangten Alkohol von ihr. Die Stadt werde geradezu belagert, sagte die indigene Frau, die auch Vorsitzende des Central Australian Aboriginal Congress ist. "Nicht nur ich, die ganze Stadt leidet darunter: Unternehmen, Aborigines und Nicht-Aborigines leiden zusammen darunter."

Alkohol als Problemstifter ausgemacht

Viele sehen einen Zusammenhang damit, dass im Juli ein über zehn Jahre andauerndes Alkoholverbot in etlichen indigenen Gemeinden aufgehoben wurde. Letzteres bezeichneten viele zuvor als Rassendiskriminierung. Doch nun wird der verstärkte Alkoholkonsum von vielen für den Anstieg von Kriminalität und Gewalt verantwortlich gemacht. "Alkohol wird allgemein als wesentlicher Bestandteil der aktuellen Welle an Kriminalität in Alice Springs identifiziert", heißt es in einem Fachartikel im akademischen Magazin "The Conversation".

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Zwei Forscher der Charles Darwin University, die auch einen Uni-Campus in Alice Springs hat, schrieben darin, dass viele Straftaten sich entweder bei der Suche nach Alkohol ereignen würden oder weil übermäßig viel Alkohol konsumiert wurde. Nachdem die Lage so eskaliert ist, hat sich selbst der australische Premierminister Anthony Albanese eingeschaltet und der Stadt in der vergangenen Woche einen Besuch abgestattet, um sich ein Bild der Lage zu machen und Maßnahmen zu verkünden.

Seitdem ist es an bestimmten Tagen der Woche wieder verboten, Alkohol zu kaufen. An anderen Tagen wurden die Öffnungszeiten der sogenannten Bottle Shops, der Läden, in denen in Australien Alkohol verkauft wird, eingeschränkt. Laut Premier Albanese könnte sogar wieder ein vollständiges Alkoholverbot angedacht werden, sollte sich die Lage nicht entspannen. In den kommenden zwei Jahren sollen fast 50 Millionen australische Dollar, umgerechnet über 30 Millionen Euro, für eine Reihe von weiteren Maßnahmen wie beispielsweise Notunterkünfte zur Verfügung gestellt werden.

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Angst vor einer erneuten militärischen Intervention

Während Donna Ah Chee den Regulierungen rund um den Alkohol zustimmt, kritisieren andere indigene Einwohner der Stadt, dass die neuen Richtlinien mit ihnen nicht ausreichend abgesprochen wurden. Cherisse Buzzacott, die in Alice Springs geboren und aufgewachsen ist, sagte dem "Guardian" zudem, dass die neuen Beschränkungen sie beunruhigen würden.

Buzzacott erlebte die höchst umstrittene Intervention der australischen Regierung unter dem früheren Premierminister John Howard, der 2007 in einer ähnlichen Krisensituation das Militär schickte, um die Sicherheit der Gemeinschaft zu gewährleisten. Laut Buzzacott haben viele Indigene, die etwa ein Fünftel der Bevölkerung in Alice Springs ausmachen, nun Angst, dass es erneut zu einer derartigen Aktion kommen könne. "Wir fürchten uns vor Ausgangssperren und dem Militär", sagte sie. Anstelle von mehr Interventionspolitik würden die Menschen in Alice Springs eine Politik sehen wollen, die auf die wirklichen Probleme der Stadt abzielt.

Buschgemeinden seit Jahrzehnten "vernachlässigt"

Auch der prominente australische Menschenrechtsaktivist Craig Foster schrieb auf Twitter, dass der Premierminister bei genauerem Hinsehen erkennen würde, "dass die aktuelle Krise in Alice Springs aus der chronischen und systematischen Vernachlässigung unserer abgelegenen Gemeinden über viele Jahrzehnte herrührt". Dies sollte die gesamte Nation, das Parlament und die Abgeordneten beschämen.

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Nyunggai Warren Mundine, ein indigener Führer, forderte in einem Post auf dem Kurznachrichtendienst mehr "Arbeitsplätze und stärkere Gemeinschaftsprogramme" für Alice Springs. Auch die Forscher der Charles Darwin University bestätigten, dass Bedarf bestehe an Finanzmitteln für Jugendgruppen, Beschäftigungsprogramme, Wohnungen, Rehabilitation, therapeutische Maßnahmen und um die lokalen indigenen Führer zu unterstützen, die als Vorbilder für junge Menschen fungieren.