Washington. . Nach Veröffentlichung der Polizei-Videos aus Memphis herrschen Wut, Trauer und Abscheu über den Tod des 29-jährigen Tyre Nichols.

Lora Dene King hatte dicke Tränen in den Augen, als sie im fernen Los Angeles das brutale Polizei-Video aus Memphis sah. „Ich bin verloren. Es tut mir so leid, dass wir mehr als 30 Jahre danach immer noch so was erleben.” 1991 war ihr Vater, Rodney King, von Polizisten während einer Verkehrskontrolle krankenhausreif geprügelt worden. Danach stand das Land in Flammen. King überlebte. Tyre Nichols nicht.

Der Tod des Schwarzen (29), der vor drei Wochen von fünf schwarzen Polizisten windelweich geschlagen wurde und drei Tage später im Spital laut Autopsie seinen inneren Verletzungen erlag, bringt nach Freischaltung der Polizei-Videos am Freitagabend die amerikanische Seele in Wallung. In TV-Interviews flossen reihenweise Tränen. Kommentatoren verloren ob der Verrohung der Staatsgewalt die Fassung.

Proteste in Großstädten von Los Angeles über Atlanta und New York bis Washington verliefen bis auf wenige Festnahmen und kleinere Sachschäden (eine Windschutzscheibe an einem Polizeiauto hier, eine Rauchbombe auf eine Polizeiwache dort) bisher friedlich; auch weil die Mutter des Opfers inständig darum gebeten hatte.

Polizei-Gewalt: Proteste in den USA

Aber Wut, Trauer und Abscheu über den größten polizeilichen Gewaltexzess seit 2021 der Fall George Floyd in Minneapolis, werden sich laut Experten noch monatelang manifestieren. Zu „extrem” und „unentschuldbar” sei der Einsatz gewesen, sagte der Präsident des Berufsverbandes „Fraternal Order of Police”. Patrick Yoes spricht von einem „kriminellen Angriff unter dem Vorwand des Gesetzes”.

In scharfen Stellungnahmen verurteilten auch Präsident und Vize-Präsidentin das Vorgehen. Joe Biden, der den Angehörigen am Telefon sein Beileid aussprach, sagte, er sei „total schockiert”. Kamala Harris betonte, wieder trauere Amerika „um ein Leben, das brutal von den Händen derer beendet wurde, die geschworen haben zu schützen und zu dienen”.

Tyre Nichols: Warum wurde das Opfer festgenommen?

Es fängt damit an, dass der Auslöser für die Festnahme am Abend des 7. Januar immer noch unklar ist. Die Cops geben an, Nichols sei „rücksichtslos” gefahren, konkret: falsch herum in einer Einbahnstraße. Memphis` Polizeichefin Cerelin Davis will das nicht „bestätigen”.

War es pure Lust an der Gewalt? Ex-Obama-Berater Van Jones spricht bewusst von „Killer-Cops”. Schon die ersten Video-Sequenzen lassen Schlimmes erahnen.

Brutales Video: Polizisten prügeln Nichols

Nichols wird im Auto auf einer Kreuzung gestoppt. Cops reißen sofort die Fahrertür auf, zerren den spirgeligen, nur 65 kg schweren Afro-Amerikaner heraus, schlagen erstmals zu, drücken ihn zu Boden. „Du kriegst `ne Klatsche”, brüllt einer. Nichols wehrt sich nicht, beteuert: „Ich habe nichts getan. Ich versuche nur nach Hause zu kommen.”

Seine Mutter, nach der er im Verlauf der folterähnlichen Auseinandersetzung mehrfach herzzerreißend rufen wird, wohnt knapp 100 Meter entfernt. „Wichser, nimm` Deine Hände auf den Rücken, bevor ich dir den Arsch verhaue”, bekommt Nichols dafür zu hören. Später sagt ein Cop sinngemäß übersetzt: „Ich werde dir die Scheiße aus dem Leib prügeln.” Genau so sollte es kommen.

Mit der Faust und mit Anlauf ins Gesicht - während Nichols von zwei anderen Beamten zynischerweise die Arme auf den Rücken gedreht wurden. Mit dem Fuß und voller Wucht mehrfach an den Kopf, während Nichols schon benommen am Boden liegt. Mit dem eisernen Schlagstock auf den Rücken, während das Opfer bereits von drei anderen Beamten traktiert wird. Dazwischen Pfefferspray und Elektroschocker. Beim Ansehen der Videos wird einem schlecht.

Was Polizei-Experten wie Chuck Wexler mit am meisten entsetzt hat: Kein einziger Cop ist deeskalierend eingeschritten ist, „um den Furor der Kollegen zu mildern”.

Auch dass medizinische Hilfe für fast 20 Minuten nach Eintreffen der „paramedics” unterblieb, sei Beweis dafür, dass Nichols „nicht wie ein menschliches Wesen behandelt wurde”, sagt der kalifornische Polizeiberater Ed Obayashi und fügte hinzu: „So was habe ich noch nie gesehen.” So was Zynisches.

Als Nichols, von inneren Blutungen geplagt und an ein Polizeiauto gelehnt, plötzlich nach links wegsackt, hört man einen der Polizisten sagen: „Hey, Alter, setz Dich aufrecht hin.”