Washington. Ein 29-Jähriger wurde nach einer Fahrzeugkontrolle von fünf Polizisten totgeschlagen. Von der Prügel-Attacke existiert ein Video.

Bislang war Derek Chauvin das hässliche Gesicht einer zu oft unverhältnismäßig brutal vorgehenden Polizei in Amerika. Der weiße Cop beförderte vor drei Jahren in Minneapolis George Floyd vor laufender Handykamera von Passanten auf offener Straße zum Tode, indem er dem am Boden liegenden Schwarzen unbarmherzig mit dem Knie den Hals zudrückte. Floyd rief immer wieder: „Ich kann nicht atmen.”

In Memphis,Tennessee stehen demnächst fünf afro-amerikanische Polizisten wegen einer ähnlich grausamen Tat vor Gericht. Wegen „Mord zweiten Grades” – vergleichbar mit Totschlag im deutschen Strafrecht – an dem 29-jährigen Schwarzen Tyre Nichols. Den Beamten werden außerdem schwere Körperverletzung, Geiselnahme und Fehlverhalten im Dienst vorgeworfen.

Polizeigewalt in den USA: Opfer traktiert wie eine „Piñata”

Wie sich dieser Totschlag, dem am 7. Januar eine banale Fahrzeugkontrolle wegen zu schnellen Fahrens vorausging, über drei quälend lange Minuten vollzogen hat, zeigt ein offenbar unerträgliches Polizei-Video, das am Freitagabend in Memphis zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit gezeigt wird.

Die, die es schon gesehen haben, etwa die am Boden zerstörte Mutter des Toten und ihr landesweit in solchen Fällen präsenter Anwalt Benjamin Crump, sagen, die Officer Tadarrius Bean, Demetrius Haley, Emmitt Martin III, Desmond Mills Jr. und Justin Smith hätten den Vater eines vierjährigen Sohnes wie eine menschliche „Piñata” traktiert.

Das sind eigentlich fantasievolle Puppen-Figuren, auf die Knirpse bei Kindergeburtstagen solange eindreschen, bis sie platzen und die im Innern gebunkerten Schoko-Riegel und Gummibärchen herausfallen.

Wem die Metapher nicht sofort aufgeht, bekommt von Anwalt Crump nachgereicht, dass Tyre Nichols ähnlich blindwütige Polizei-Prügel kassiert habe, wie Anfang der 90er Jahre, lange vor der Smartphone-Gegenwart, der schwarze Trucker Rodney King in Los Angeles.

Als damals die verwackelten Video-Aufnahmen ins Fernsehen gerieten, ging ein Aufschrei durch Amerika und es kam lange vor Derek Chauvin und „Black Lives Matter” zu schwersten Unruhen, Vandalismus und Brandschatzungen.

Polizei-Chefin: Grundlegende Menschenrechte missachtet

Das soll Memphis, der Geburtsstadt des Blues und der Stadt, in der 1968 die schwarze Bürgerrechts-Ikone Dr. Martin Luther King erschossen wurde, erspart bleiben.

Polizeichefin Cerelyn Davis hat die Sicherheitsvorkehrungen bis hin zu berittener Polizei hochfahren lassen. In einer fein abgeschmeckten Ansprache hat die Afro-Amerikanerin die mutmaßlichen Reaktionen vieler Bürger auf das Schreckens-Video gewissermaßen vorempfunden.

„Ich erwarte, dass Sie fühlen, was die Familie von Nichols fühlt. Ich erwartete, dass sie Empörung verspüren über die Missachtung grundlegender Menschenrechte. Und ich erwarte, dass unsere Bürger von ihrem Recht auf Protest Gebrauch machen und Veränderungen verlangen werden. Aber wir müssen gewährleisten, dass unsere Stadt im Laufe dieses Verfahrens sicher bleibt.”

Soll heißen: Macht Memphis seiner programmierten Wut so Luft, wie es in den vergangenen Jahren in den USA nach extremer Polizeigewalt immer wieder geschehen ist, schreitet die Ordnungsmacht ein und geht dabei nicht zimperlich vor.

USA: 400 Tote durch Polizei in vier Jahren

Eine deeskalierende Wirkung versprechen sich die Stadt-Oberen von der außergewöhnlichen schnellen und klaren Herangehensweise von Polizei und Justiz. Die Cops wurden umgehend aus dem Dienst entlassen, angeklagt und inhaftiert. In anderen Fällen dauerte so etwas viele Monate.

Die Staatsanwaltschaft um Chef-Ermittler Steve Mulroy lässt nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass die Beamten schuldig sind und auch die kurzzeitige Flucht Nichols' bei der Fahrzeugkontrolle keine Rechtfertigung für den Gewaltexzess sein könne.

Nichols erlag drei Tage später seinen schweren Verletzungen. Fotos aus dem Krankenhaus zeigen ihn bewusstlos, an Schläuche angeschlossen und im Gesicht geschwollen wie ein Boxer nach der elften Runde. Auf Tadarrius Bean und seine Kollegen warten im Fall einer Verurteilung nach dem Gesetz in Tennessee Haftstrafen zwischen 15 und 60 Jahren.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine erschreckende Zahl, die auf Langzeit-Recherchen der „New York Times" zurückgeht. Danach haben Polizisten in den USA zwischen 2017 und 2021 bei Routine-Begegnungen mit dem Bürger (wie etwa einer Fahrzeugkontrolle) 400 Fahrer oder Beifahrer getötet. Keinem der Fälle lag ein zu verfolgendes Gewaltverbrechen zugrunde. In keinem Fall wurden die Cops mit einem Messer oder einer Schusswaffe bedroht.