Sie erpressen, handeln und morden: Immer mehr Frauen sind Clan-Chefinnen der Mafia. Lesen Sie hier, wie sie an die Macht gelangen.

Die schwarz gekleideten, schmerzerfüllten Ehefrauen der Mafia-Bosse gehören längst der Vergangenheit an und sind inzwischen nur noch in alten Filmen zu sehen. Frauen spielen in den Spitzenstrukturen des organisierten Verbrechens eine immer aktivere Rolle.

Wenn ihre Väter, Ehemänner oder Söhne inhaftiert werden, rücken sie zum "Boss mit Rock" auf. Dabei handelt es sich um Frauen, die an Härte und Brutalität ihren Männern in nichts nachstehen. Die Clan-Chefinnen, die den Drogenmarkt beherrschen, Geld waschen und Killer anheuern, sind die neuen "Patinnen" der Mafia, die genauso kaltblütig agieren wie ihre männlichen Familienmitglieder.

Mafia: Frauen übernehmen Clans

Im Rahmen der laufenden Ermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft gegen einen Clan der 'Ndrangheta, der Mafia aus Kalabrien, die längst ihre rentablen kriminellen Geschäfte im finanzstarken Norditalien abwickelt, wurden vor wenigen Tagen fünf Frauen verhaftet. Zum ersten Mal haben Frauen auch in der Region Lombardei, dem Wirtschaftsmotor Italiens, eine operative und organisatorische Rolle übernommen, berichtet die Mailänder Anti-Mafia-Staatsanwältin, Alessandra Cerreti. Gegen den Clan wurden 49 Haftbefehle erlassen.

Als Schlüsselelement der Organisation gilt die 45-jährige Caterina Giancotti, die "rechte Hand" von Clanchef Christian Bandiera. Mit ihrem entschlossenen Temperament habe sie die Wertschätzung des Chefs verdient, so die Ermittler. Giancotti ist die erste Frau, die als Anführerin der 'Ndrangheta in der Lombardei bezeichnet werden kann, meint die Staatsanwältin.

Ihr sind "Aufgaben der Planung und der Festlegung der zu ergreifenden Maßnahmen und Strategien" zugeordnet, erklärten die Ermittler, die die Verhaftungen in Mailand und Umgebung durchgeführt haben. Unter anderem war Giancotti mit der heiklen Aufgabe betraut worden, Schuldner zu bedrohen und sie mit harten Methoden zur Zahlung zu bewegen.

Buch
Buch "Die Stunde der Patinnen". © styriabooks

Mafia-Patinnen: Darum gibt es mehr Frauen in Clan-Strukturen

Caterina Giancotti ist am Mafia-Firmament keine Ausnahme. Die Zahl der "Mafia-Patinnen" nimmt immer mehr zu. Wenn Bosse verhaftet werden, rücken Frauen häufig nach. Oft sind es die Schwestern, aber auch die Ehefrauen. Sie kennen die Strukturen bestens, gelten als vertrauenswürdig und nach außen hin auch als unverdächtiger.

Die Mafia hat s Die Stunde der Patinnen ich in den letzten Jahren stark entwickelt. Der terroristische Aspekt steht nicht mehr im Vordergrund, dafür ist sie immer mehr eine Wirtschaftsholding, die in Bereichen wie Finanz, Bauwirtschaft und Transportwesen aktiv mitmischt. Dort spielen auch Frauen eine aktive Rolle. Ein Beispiel ist Giusy Vitale: Als ihre Brüder verhaftet wurden, übernahm sie das Kommando im sizilianischen Familienclan.

Nach einer ersten Festnahme Ende der 90-er Jahren entschloss sie sich zur Zusammenarbeit mit den Justizbehörden. 2021 wurde sie erneut verhaftet. Laut den Ermittlern in Palermo ist sie seit einigen Jahren wieder als Familienoberhaupt tätig. Ihr wird unter anderem Drogen- und Waffenhandel, Erpressung und Korruption vorgeworfen. Im Olymp der Patinnen ist sie nicht allein.

Mehr Clanchefinnen: So gelangen Frauen an die Macht

Ombretta Ingrascì, die seit Jahren das Phänomen der Frauen in mafiösen Strukturen ergründet, zeigt, wie Frauen in der Mafia im Laufe der Jahre von Ehefrauen und Müttern zu Drogenkurieren, Finanzmaklern und schließlich Clanchefs aufgerückt sind. Dieses Phänomen ist jedoch nicht als Ergebnis eines Emanzipationsprozesses zu betrachten, sondern oft eine Folge der Inhaftierung der Ehemänner, oder Familienangehörigen, die im Clan Spitzenpositionen besetzen.

Frauen übernehmen den Ehrenkodex der Mafia-Strukturen und passen sich voll an. Diese Ansicht teilt auch die österreichische Journalistin und Mafia-Expertin Mathilde Schwabeneder. In ihrem Buch "Mafia-Patinnen" berichtet sie, dass Frauen in der Mafia schon immer eine Rolle gespielt haben, auch schon als Mütter und Erzieherinnen. Sie sind Trägerinnen des Wertekodex.

Mehr Mafia-Verbrechen: Frauen sagen gegen Clankriminalität aus

In den letzten Jahren sorgen auch viele Frauen für Aufsehen, weil sie gegen die Mafia-Domäne rebellieren, zu Kronzeuginnen werden und der Justiz Einblick in die blutgetränkte Welt des organisierten Verbrechens verleihen. Die Zahl der Aufdeckerinnen, die sich unter Lebensgefahr dafür einsetzen, dass die Verbrechen der Mafia verfolgt werden, wächst ständig.

Der Bogen spannt sich von der Kronzeugin Piera Aiello, Augenzeugin der Ermordung ihres Mannes, die 2018 ins italienische Parlament gewählt wurde, über die Investigativjournalistin Alessia Candito, die mehrfach von der kalabrische Mafia bedroht wurde, bis zur Ex-Senatorin Laura Garavini, die in Deutschland große Zivilcourage bewiesen hat und nach den Mafia-Morden in Duisburg 2007 eine Anti-Mafia-Organisation gründete.

"Die Frauen, die ich kennenlernen durfte, zeichnen sich durch große Stärke aus. Sie zu Interviews zu überreden, war nicht immer ganz einfach. Sie tun ihre Arbeit lieber ruhig im Hintergrund. Keine Einzige sieht sich selbst als Heldin oder als besonders couragiert", berichtet Schwabeneder.

Der Einfluss der Mafia vor allem in Zeiten nach der Coronakrise droht immer mehr zu wachsen. Zeiten der Wirtschaftskrise sind für mafiöse Organisationen eine große Chance, tiefer in die legale Wirtschaft einzudringen. Die Mafia stärkt sich als Geldgeber, weil sie in Zeiten der Not Geld verteilen kann. Die verschiedenen mafiösen Strukturen treten als eine alternative Sozialhilfe auf, denn sie unterstützen Personen in schwierigen Zeiten, und ziehen damit die Menschen in ihren Bann.