Berlin. Offene Beziehungen sind kompliziert. Noch komplizierter wird es, wenn Kinder ins Spiel kommen. Ein Vater erzählt seine Geschichte.

Neben der Monogamie werden heutzutage viele andere Beziehungsformen ausgelebt. Partnerschaften und Ehen werden geöffnet. Doch was geschieht, wenn neben einem zusätzlichen Lebenspartner noch ein Kind ins Spiel kommt? Der Zeitschrift "myself" der Funke Mediengruppe hat ein Vater über sein Leben und Elternsein in einer Dreiecksbeziehung berichtet.

Erfahrung mit Polyamorie: Ein Kind, drei Eltern

Jeden Morgen bringe ich Anna in den Kindergarten. Sie läuft neben mir her, ihre kleinen Finger um meinen Zeigefinger gewickelt. Am Eingang ruft sie mir ein schnelles "Tschüss Papa" zu, klatscht mit mir ab und verschwindet in ihrer Gruppe. Wenn ich sie zwischen den anderen Kindern sehe, denke ich oft: Sie ist das hübscheste, klügste, charmanteste Kind von allen. Wie Väter eben so denken, klar. Aber ich bin nicht Annas Vater. Sie ist das Kind eines anderen.

Was mich bewogen hat, unsere Geschichte aufzuschreiben, war ein Satz meines Vaters. "Das kann nicht gut gehen", prophezeite er, als ich vor etwas mehr als drei Jahren erzählte, dass meine Frau ein Kind von einem anderen Mann bekommt – ich mich aber nicht von ihr trennen würde. So verständlich seine Reaktion rückblickend war, sie verletzte mich. Warum sollte es nicht gut gehen? Hätten wir gleich aufgeben sollen, ohne es versucht zu haben? Wenn es nach meinem Vater ginge, ja. Und wenn ich ganz ehrlich bin, war ich damals wirklich nah dran, meine Frau zu verlassen. Aber ich entschied mich fürs Bleiben.

Schwanger in offener Beziehung: So reagiert das Umfeld

Meinen Eltern damals von der Schwangerschaft zu erzählen, war überfällig. Ich hatte bis zum letzten Moment gezögert. Auch mit über 40 habe ich noch immer das Gefühl, ihnen für mein Leben Rechenschaft schuldig zu sein.

Sie wissen schon seit längerem, dass wir zu dritt zusammenleben: meine Frau, ihr Freund und ich. Der Freund hat mittlerweile eine Wohnung bei uns im Haus. Diese Dreiecksbeziehung ist das Ergebnis einer turbulenten Lebensphase, die vor einigen Jahren begann. Der Freund meiner Frau ist geblieben. Ich bin geblieben. Nicht nur wegen der gemeinsamen Kinder, sondern weil ich bei ihr bleiben wollte. Die Situation gab uns beiden die Gelegenheit, unsere Beziehung neu auszurichten, andere Prioritäten zu setzen. Heute sind wir kein Liebespaar mehr. Wir sind Freunde.

Polyamore Beziehungen mit mehreren Partnern sind heute keine Seltenheit mehr.
Polyamore Beziehungen mit mehreren Partnern sind heute keine Seltenheit mehr. © Elisaveta Ivanova/iStock

Ein Leben zu dritt funktioniert nicht ohne Reibereien, ohne Eifersucht und bestimmt ohne Zweifel. Aber es kann funktionieren. Nur: Kann es auch dann funktionieren, wenn ein Kind ins Spiel kommt? Mein Vater war nicht der Einzige, der das bezweifelte. Mein bester Freund reagierte genauso. Nur meine Mutter hatte einen sensibleren Blick, ohne sich gleichzeitig festzulegen: "Pass einfach auf dich auf!"

Während der Schwangerschaft hatte ich ein seltsam distanziertes Gefühl zu meiner Frau, zu ihrem Bauch und dem Kind das darin wuchs. Ich verdrängte, was auf mich, auf uns zukommen könnte. Wenn ich auf die Schwangerschaften mit meinen leiblichen Kindern zurückblicke, ging es mir damals ähnlich. Respekt, Ehrfurcht, Hilflosigkeit, Verdrängung. Es waren viele diffuse Gefühle, mit denen ich zu kämpfen hatte.

Bei diesem neuen Kind kam noch dazu, dass es nicht von mir war. Ich weiß noch, wie meine Frau vor Annas Geburt die Vorbereitungen traf, die wir bei unseren eigenen Kindern gemeinsam getroffen hatten. Strampler, Windeln, Kinderwagen. Ich weiß auch noch: Ich war nicht bereit für das, was nach der Geburt kommen würde.

Frau bekommt Kind von anderem Mann

Die Geburt. Im Juni. Anna hat sich damals zum Glück dafür entschieden, an einem Wochenende auf die Welt zu kommen. Ich bleibe zu Hause bei unseren beiden Kindern, meine Frau und ihr Freund sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Angst, ob alles gut gehen wird, habe ich schon. Aber ich will auch: nachdenken, immer wieder. Wie jetzt alles werden wird?

Es ist eine schwere Geburt. Sie kommen erst nach Tagen zurück. Zu dritt. Als wir das Auto hören, rennen dir Kinder schon los. Ein kleines, zerknautschtes Bündel schläft auf dem Rücksitz in der Babyschale. "Schau mal so eine weiche Haut" – mein Sohn ist der Erste, der Worte findet. Wir anderen stehen ehrfürchtig drum herum. Ich mache in meinem Kopf ein Foto, für die Ewigkeit. Anna kommt mir so winzig und zerbrechlich vor. War das bei den anderen Kindern auch so? Als sie die Augen öffnet und ihren kleinen Mund zu einem stillen Gähnen verzieht, hat sie mein Herz erobert.

Drei Eltern: Alltag in einer Dreiecksbeziehung

Nichts ist mehr einfach: Arbeit, Kinder, Baby. Dazwischen die halbherzigen Versuche, mein ursprüngliches Leben mit Hobbys und Freunden weiterzuleben. Wir helfen, so gut es geht, zusammen. Meine Frau ist froh, dass ich da bin.

Wir haben zwei Kinder großgezogen. Wir sind routiniert und immer noch erstaunlich eingespielt. Natürlich genieße ich das. Aber am Abend kommt oft die Einsamkeit. Die Kleine schläft bei ihrer Mutter und ihrem Vater. Meine eigenen Kinder sind mit sich selbst beschäftigt. Endlich Ruhe, aber es ist eine sehr einsame Ruhe. Ich liege wach und höre unten in der Wohnung das Baby schreien. Ein Teil von mir empfindet Neid, der andere Teil Erleichterung.

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    Dann holt uns die Bürokratie ein: Da ich mit meiner Frau verheiratet bleibe, gilt Anna vor dem Gesetz als mein Kind. Um das zu ändern und den leiblichen Vater eintragen zu lassen, müssen Schritte veranlasst werden – ich bin immer wieder erstaunt, wie gut organisiert meine Frau in solchen Dingen ist.

    An einem regnerischen Vormittag sitze ich in einem Behandlungszimmer und habe ein Wattestäbchen im Mund. Ein Schleimhautabstrich soll beweisen, dass Anna nicht mein leibliches Kind ist. Hoffnung, dass sie doch von mir sein könnte, habe ich nicht. Trotzdem ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es schön wäre, wenn sie es doch wäre. Die Ärztin sagt zum Abschied: "Ein süßes Töchterchen haben Sie." Anna war eine Woche vorher zum Abstrich da. Die Ärztin hat mich verwechselt. Dachte, ich sei da, um die Vaterschaft bestätigt zu bekommen. Aber das Ergebnis ist eindeutig: Ich bin nicht Annas Vater.

    Der nächste Termin: vor dem Amtsgericht. Ich habe einen Tag Urlaub genommen und fahre mit meiner Frau und Anna hin. Wir müssen lange warten. Die vorangehende Scheidungsverhandlung dauert länger als geplant. Der Ort bedrückt mich. Ich trage das schlafende Kind durch die langen Gänge. An allen Türen Belegungspläne, hauptsächlich Scheidungen. Hier endet also meistens die Liebe. Nicht meine, nehme ich mir vor. Nicht die zu meiner Frau nicht die zu dem Kind auf meinem Arm. Zwei Stunden später ist Anna auch vor dem Gesetz nicht mehr meine Tochter.

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    Kaum jemand weiß von ihr. Ich habe es nur sehr vertrauten Freunden und meinen Eltern erzählt. Eines Tages treffe ich eine Kollegin in der Apotheke. Neben mir steht Anna mit schokoverschmiertem Mund. Auf die Frage der Kollegin, woher denn die Kleine kommt, ob sie etwas verpasst hätte, antworte ich: "Ich bin nur der Babysitter." Immerhin keine Lüge. Trotzdem fühle ich mich schäbig.

    Es ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, Anna zu verraten, indem ich sie verleugne. Aber in diesem einen hilflosen Moment bin ich einfach nur froh, dass sie mich nicht "Papa" ruft. Denn das tut sie, seit sie sprechen kann. Es kommt mir verrückt vor, dass so wenige Menschen von diesem kleinen Mädchen wissen, das in meinem Leben einen so großen Platz einnimmt.

    Ich habe jetzt öfter das Gefühl, eine Lüge zu leben. Je älter Anna wird, je mehr wir zusammen unternehmen, desto schlimmer wird es. Im Zoo, im Schwimmbad, beim Einkaufen: Überall habe ich Angst, jemandem zu begegnen, der mich kennt. Denn wenn man uns zusammen sieht, würde man nicht darauf kommen, dass sie nicht meine Tochter ist.

    Was wäre anders, wenn alle es wüssten? Wahrscheinlich nichts. Aber ich habe Angst, als jemand zu gelten, der sein Leben nicht im Griff hat. Der im Job nicht belastbar ist, weil er jetzt noch mehr Stress hat. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Dieses Kind gibt mir Kraft. Mein Leben und mein Job sind heute viel routinierter als zu der Zeit, in der meine leiblichen Kinder klein waren.

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    Mit fast großväterlicher Ruhe kann ich mich Anna widmen, ihr Heranwachsen beobachten, die Faszination entdecken, die darin steckt. Der erste Schritt, das erste Wort, der erste Satz, das erste Mal, dass sie hinter "Papa" meinen Namen setzt, um klarzustellen, welcher Papa gerade gemeint ist.

    In meinem Alltag, der durch die Pandemie noch wahnsinniger geworden ist, bekomme ich von Anna täglich gezeigt, wie klein wir alle anfangen. Wie wenig selbstverständlich und doch einfach alles am Anfang ist. Ich entdecke das Staunen wieder und pure, unverstellte Freude. Diese Freude straft die Prophezeiung meines Vaters einmal mehr Lügen.

    Aber wie wird es sein, wenn Anna älter ist? Wenn ihr bewusst wird, dass sie in einer besonderen Konstellation lebt? Wird sie das Gefühl haben, sich entscheiden zu müssen? Vielleicht ist das ein typischer Erwachsenengedanke. Vielleicht wird Anna das, was wir sind, den Rest ihres Lebens für das Selbstverständlichste auf der Welt halten. Ich wünsche es ihr. Und mir.