Berlin. Nur wenige Berufstätige kurieren sich bei Krankheiten richtig aus. Jeder zehnte Corona-Kranke erscheint sogar im Büro. Die Gründe.

Wer krank ist, sollte sich in Ruhe auskurieren. Dieser Empfehlung von Medizinern folgen keineswegs alle Menschen – erst recht nicht, wenn sie berufstätig sind. Drei Viertel aller Berufstätigen gehen trotz Krankheit zur Arbeit, auch wenn sie damit teilweise zur Ansteckungsgefahr für ihre Kolleginnen und Kollegen werden.

Jeder Zehnte erscheint sogar bei einem milden Corona-Verlauf und trotz positiven Tests im Büro oder im Betrieb. Weitere gut 20 Prozent kommen mit ansteckenden Infekten in den Job. Dies sind Ergebnisse einer repräsentativen Studie „Arbeiten 2022“ der Betriebskrankenkasse Pronova BKK, für die rund 1200 Beschäftigte befragt wurden.

Am häufigsten gehen Mitarbeitende mit Rückenschmerzen in die Firma (49 Prozent), 38 Prozent trotz Allergien. Auch ein Drittel der Beschäftigten mit psychosomatischen oder psychischen Beschwerden erscheinen im Job. Nur 28 Prozent der Deutschen bleiben bei Krankheit konsequent Zuhause und arbeiten nicht, unter den 18- bis 29-Jährigen sind dies nur 23 Prozent. Bei Rückenschmerzen sind es nur acht Prozent.

Corona: Unzumutbare Gefahr für Kollegen und Kolleginnen

Doch das Weiterarbeiten trotz Krankheit ist aus Sicht von Medizinern gerade bei ansteckenden Infektionen mehr als fragwürdig. „Wer sich nicht in Ruhe auskuriert, riskiert, dass Viruserkrankungen auch Herz oder andere Organe angreifen oder sich durch Medikamente unterdrückte Symptome verschlimmern“, sagt Gerd Herold, Beratungsarzt bei der pronova BKK. „Noch dazu können Mitarbeitende angesteckt werden.“ So sei die Präsenz im Büro trotz positivem Corona-Test „eine unzumutbare Gefahr“.

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Erstaunlich ist, dass selbst die Corona-Maßnahmen nichts an der Gewohnheit geändert hätten, krank im Job zu erscheinen. Seit Beginn der Pandemie haben viele Beschäftigte die Möglichkeit, von Zuhause zu arbeiten. Obwohl Homeoffice in vielen Unternehmen erlaubt ist, arbeiten etwa 34 Prozent der leicht Erkrankten weiterhin im Büro und nur 18 Prozent von Zuhause aus.

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Bei Corona-Erkrankungen mit milden Verläufen erscheinen laut Umfrage 9 Prozent im Betrieb, unter den Jüngeren unter 30-Jährigen sind es 6 Prozent. 17 Prozent arbeiten von Zuhause aus, weitere 17 bleiben ein paar Tage Zuhause bis die schlimmsten Symptome vorüber sind. 8 Prozent entscheiden über ein daheim bleiben danach, was auf der Arbeit los ist. 33 Prozent der Befragten bleiben bei einem leichten Corona-Verlauf so lange Zuhause, bis sie wieder gesund sind. 16 Prozent der Befragten waren noch nicht an Corona erkrankt.

Krank im Büro: Viele wollen den Job nicht verlieren

„Manche haben Sorge, als faul zu gelten oder den Kolleginnen und Kollegen die Vertretung zuzumuten“, erläutert Herold die Ursachen für das Verhalten, krank zur Arbeit zu erscheinen. Etwa jeder Zehnte macht sein Erscheinen in der Firma davon abhängig, wieviel zu tun sei und nicht vom eigenen Gesundheitszustand.

Vor allem Jüngere unter 30 Jahren gehen deutlich häufiger krank zur Arbeit als der Bevölkerungsdurchschnitt. Ihr körperliches und seelisches Befinden hat sich während der Corona-Pandemie laut der Studie deutlich verschlechtert.

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Nur noch 64 Prozent der 18- bis 29-jährigen Befragten empfinden ihren Gesundheitszustand derzeit als gut oder sehr gut. Vor zwei Jahren sagten dies noch 78 Prozent. In der Gesamtbevölkerung sank das positive Gesundheitsempfinden während der Pandemie nur um zwei Prozentpunkte auf 67 Prozent.

Die große Mehrheit der Jüngeren (94 Prozent) leidet unter Stress. Dieser wird vor allem durch psychische Komponenten am Arbeitsplatz ausgelöst, heißt es in der Studie. In der Gesamtbevölkerung klagen nur 84 Prozent darüber.

Stress im Job: Jüngere leiden besonders unter vielen Überstunden

Jüngere Beschäftigte bemängeln besonders häufig viele Überstunden (38 Prozent) und den ständigen Termindruck (27 Prozent). Zu schaffen macht ihnen – wie auch vielen Älteren – die hohe körperliche Belastung (26 Prozent), die Forderung nach ständiger Erreichbarkeit (23 Prozent) und die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie (19 Prozent).

Jeder fünfte jüngere Arbeitnehmer empfindet auch Schichtarbeit oder monotone Arbeit als belastend. Homeoffice halten 13 Prozent der Jüngeren und 11 Prozent der Älteren für eine Last – ähnlich fällt die Einschätzung für die Arbeit in Großraumbüros aus.

Bei den weicheren Stressfaktoren bemängeln gerade jüngere Beschäftigte das schlechtes Arbeitsklima (28 Prozent), zu kurze Pausen (27 Prozent) und emotionalen Stress (26 Prozent). Zu schaffen macht ihnen aber auch ein hoher Erfolgsdruck (24 Prozent), das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen (23 Prozent), Mobbing (18 Prozent) und das hierarchische Denken in Unternehmen (16 Prozent).

Corona-Krise: Berufsanfänger leiden besonders

Gleichzeitig sorgen sich aktuell 19 Prozent der Jüngeren um den Verlust ihres Jobs, 2020 waren es nur 13 Prozent. Unter den Älteren bangen 17 Prozent um ihren Job. Um dieser Angst entgegenzuwirken, leisten 38 Prozent der 18- bis 29-Jährigen Überstunden.

„Die Corona-Krise hat denen zu schaffen gemacht, die sich am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn befinden, ihren Abschluss im Lockdown gemacht haben oder ihre Berufsentscheidung treffen mussten“, analysiert Herold. „Die Belastungen machen sie anfälliger für Infekte und haben psychische Leiden gefördert.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.