Berlin. Droht ein Elternabend, ob in Schule oder Sportverein, hat unsere Autorin ständig Angst zu versagen. Übertrieben oder herrlich normal?

Kündigt sich ein Elternabend an, fühle ich einen Stein in der Magengrube und mein Gesicht grimassiert, als ob sich eine alte Kopfschmerztablette in meinem Mund auflöst. Mein Kopf ist überfordert mit Bildern, Gedanken und Druck: Der enge Klassenraum, die triste Bar im Vereinsheim, Eltern gedrängt auf kleinen Stühlen – manche kommen tatsächlich zu zweit! Wer macht so etwas freiwillig? Schatz, lass uns doch zusammen hingehen!

Als ob es sich um einen Kinoabend und den neuen Elyas M’Barek-Film handeln würde. Apropos: Die Direktorin Gudrun Gerster, dargestellt von der großen Katja Riemann in den „Fuck ju Göhte“-Filmen, schnüffelt Kleber zur Beruhigung! Das will ich auch, einen ganzen Stapel, wenn ich schon hinten links in der Ecke, Tische in U-Form angeordnet, sitzen muss.

Elternabend: Werde ich als Betrügerin enttarnt?

Trockene Kehlen, bröselige Kekse, die rumgereicht werden, Krümel im Mund, die nicht weggehen wie die Selbstzweifel, die sich in der Brust breitmachen, sobald man für einen Elternabend eine Schule betritt. Noch heute träume ich gelegentlich, ich hätte mein Abitur nicht geschafft. Ich schlussfolgere im Traum: Damit wäre mein Studienabschluss gar nicht regulär! Ich stehe plötzlich als Betrügerin da, als eine, die nicht gut genug ist für die Welt! Die ersten Sekunden, wenn ich langsam aufwache, sind so orientierungslos furchtbar, dass ich erleichtert bin, wenn ich feststelle, dass ich doch durchgekommen bin, dass ich die Schule hinter mir lassen kann. Denkste!

Denn gibt es Eltern da draußen, die es kalt lässt, wenn das eigene Fleisch und Blut Vieren und Fünfen nach Hause bringt? Nicht nur aus Sorge um die Zukunft des Kindes sondern auch aus Sorge um den eigenen Ruf? Heißt es nicht, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und muss der Nachwuchs nicht mindestens genauso begabt, sogar besser sein, weil er alle Möglichkeiten der Welt hat und Mama und Papa zu allem bereit sind?

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Kind schlecht gleich Eltern schlecht, oder? Also korreliert mein Versagerinnentum in der Kurvendiskussion vor 30 Jahren mit dem Schulerfolg meines Kindes heute. Übrigens stehe ich nicht allein da: Laut einer Studie leiden 55 Prozent der Eltern von Babys unter Versagensängsten. Ich sage Ihnen, dass wird schlimmer. Warum können wir nicht in einer Welt leben, in der der Schulerfolg meines Kindes nichts mit mir zu tun hat? Studien belegen das Gegenteil. Der Bildungserfolg hängt am Elternhaus nicht wie ein seidener Faden sondern wie ein meterdickes Tau.

Elternabend: Erstes Stadium – Der Abwehrkampf

In meinem Kopf dreht sich alles um den Abwehrkampf. Erstes Stadium: Ich gehe nicht zum Elternabend hin, er geht. Oft ist so ein Datum weit im Voraus angekündigt. In meinem Fall gibt es zwei Elternteile, also mich und den Vater. Meine Strategie: Ich lasse beiläufig fallen, dass Elternabend ist, ob er hingehen könne (?), weil ich höchstwahrscheinlich eher länger arbeiten muss.

Zweites Stadium: Was würde die Lehrerin denken, wenn ich nicht hingehe?

Zweites Stadium: Er kann nicht. Ich muss – oder ich finde eine Ausrede und jemand anderes schreibt mit. Aber was erweckt das für einen Eindruck bei der Lehrerin? Schließlich weiß ich, so die Mutter, so das Kind, oder? Und mein Kind, das kann ja nichts für mich, hat keine Schuld an meinen Komplexen. Also gehe ich hin.

Drittes Stadium Elternabend: Ich versuche durchzukommen

Drittes Stadium: Der Elternabend läuft. Ich versuche durchzukommen. Schreibe eifrig mit, eine andere Mutter, ich denke, sie leidet auch, sucht Blickkontakt. Sie schickt mir das Emoji, das wie Edvard Munchs „Der Schrei“ aussieht per SMS. Kurz muss ich lachen, fühle mich aber gleich von der Lehrerin ertappt. Bei jeder Wahl für ein Amt versinkt mein Blick in meinem Notizbuch. Nicht nur, weil ich es nicht schaffe, sondern auch, weil ich glaube, dass Mutter A und Vater B besser Protokoll schreiben, besser ins Medienmuseum begleiten und sich sicherlich an den Geburtstag der Lehrerin erinnern.

Diana Zinkler schreibt hier regelmäßig über die Gesellschaft und Deutschland von morgen.
Diana Zinkler schreibt hier regelmäßig über die Gesellschaft und Deutschland von morgen. © ZRB | ZRB

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Mutter A meldet sich freiwillig als Elternsprecherin (puuh), Vater B will auch unbedingt, eine Wahl steht an, die Konfrontation: Die Wahl wird per Handzeichen abgehalten: Hier teilen wir uns in Team A und B, diese Wunde wird nie wieder heilen. Und die Anforderungen erst, je drei Klassenarbeiten in Gewi (Was soll das für ein Fach sein?) und Nawi, noch mehr in Deutsch, Mathematik und Englisch. Ja, und dann kommt es natürlich für die Versetzung auf die weiterführende Schule auf das Zeugnis an, das vom nächsten Halbjahr ist gleich wichtig.

Viertes Stadium: Der Film „Frau Müller muss weg“ ist keine Fiktion

Kennen Sie den Film und das Theaterstück „Frau Müller muss weg!“?, darin versuchen Eltern auf einem Elternabend die Lehrerin wegzumobben, weil die den Schülern und Schülerinnen zu schlechte Noten gibt. Herrlich irre, herrlich wahr.

Als ich voller Hass auf die anderen und zerstörerischem Selbsthass nach Hause komme, fragt weder das Kind, nicht einmal der Vater, wie es war. Ich berichte in Rage. Man sagt mir: Ich solle loslassen. Viertes Stadium: Ich bin allein.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.