Mainz. Andrea Kiewels ZDF-Fernsehgarten ist eine groteske Open-Air-Show. Sonntags schauen Millionen Menschen zu und schunkeln mit. Warum nur?

Lange bevor die Frau, die sich selbst „Kiwi“ nennt, fröhlich auf die Bühne stapft und das Studiopublikum mit einem orangefarbenen ZDF-Mikrofon in der Hand begrüßt, sind die Zuschauer bereits gut drauf. Morgens um zehn gönnen sie sich eine Bratwurst und einige ein Bier – so kommen sie in Stimmung für die speziellste Open-Air-Show Deutschlands: den „Fernsehgarten“.

Schauplatz dieses grotesken TV-Phänomens ist der Mainzer Lerchenberg. Die Kulisse erinnert an eine Vereinigung von Freizeitpark und Landesgartenschau, und die Zuschauer klatschen nicht immer rhythmisch zur Musik. Sonntag für Sonntag schalten rund zwei Millionen Menschen ein. Warum nur? Drei Faktoren tragen zum Erfolg bei.

Fernsehgarten-Erfolgsfaktor 1: Die Moderatorin

Der Fernsehgarten ohne Andrea Kiewel, das ist kaum denkbar. Seit 22 Jahren steht die Berlinerin – mit kurzer Unterbrechung – sonntags zur Katerfrühstückszeit zwischen Blumenbeeten und brabbelt sympathisch-aufgeregt vor sich hin. Die 57-Jährige ist ein Heiterkeitsbollwerk – schlechte-Laune-Themen wie Corona und Krieg kommen bei ihr so gut wie nicht vor, dafür befragt sie ihre Expertengäste gerne zu unverfänglichen Themen wie Kochrezepten oder den neuesten Urlaubstrends.

Ihr Motto: „Wir retten nicht die Welt, aber wenn wir gut sind, dann machen wir die Menschen für einen Moment froh.“ Dafür gibt sie gerne die Klamauk-Königin, auch wenn sie Wert darauf legt, kein „Tralala“ zu veranstalten.

Andrea Kiewel im „Fernsehgarten“: Heiterkeitsbollwerk mit Anspruch.
Andrea Kiewel im „Fernsehgarten“: Heiterkeitsbollwerk mit Anspruch. © dpa | Hannes P Albert

Das ZDF hat es mal ohne sie versucht. 2007 war das, da verbannte der Sender sie, weil sie penetrant Schleichwerbung für eine Diätmethode gemacht hatte. Doch ihre Fans gingen auf die Barrikaden, unter Kurzzeitnachfolger Ernst-Marcus Thomas (49) sanken die Quoten Richtung Keller. Also holte das ZDF Kiewel nach knapp einem Jahr zurück – und der Fernsehgarten fand zurück zu alter Form. Die Zuschauer und sie, findet die ehemalige DDR-Leistungsschwimmerin, „wir haben eine Liebesbeziehung miteinander“.

Fernsehgarten-Erfolgsfaktor 2: Die Musik

Der Fernsehgarten, das ist Wohlfühl-TV für alle. Zuletzt hat sich Kiewel allerdings verkalkuliert. Am vergangenen Sonntag lief sie in schwarzem T-Shirt und Nietengürtel durch die Kulissen und rief: „Heute sind wir laut, heute sind wir hot.“

Es war eine etwas andere Sendung – statt Schlagermedleys gab es Rockklassiker zu hören. Bevor die Fernsehgarten-Saison 2022 Ende September nach 19 Livesendungen endet, wollte sie die Routine durchbrechen. Das Problem ist: Das Stammpublikum will weder Metalqueen Doro Pesch (58) noch die Finnenrocker von The Rasmus sehen, jedenfalls nicht im Fernsehgarten.

Der Fernsehgarten ist Schlagerrevier: DJ Robin & Schürze präsentieren im Juli ihren umstrittenen Hit „Layla“.
Der Fernsehgarten ist Schlagerrevier: DJ Robin & Schürze präsentieren im Juli ihren umstrittenen Hit „Layla“. © dpa | Hannes P Albert

Kiewel findet zwar, „dass wir musikalisch so breit aufgestellt sind, dass letztendlich für jeden was dabei ist“. Tatsächlich ist die Show immer dann besonders stark, wenn sie die ganze Familie anspricht – also auch die jüngeren Zuschauer. Und die wollen in der Regel keine Rockheroen der 70er hören. Letzten Sonntag schalteten viele lieber „Immer wieder sonntags“ ein, das betuliche, weniger erfolgreiche Konkurrenzformat im Ersten, das seit 2005 vom bayerischen Volksmusikanten Stefan Mross (46) moderiert wird.

Der ließ Jürgen Drews (77) vom Bett im Kornfeld singen und versammelte ausnahmsweise mehr Menschen vor den Geräten als Kiewel. In der nächsten Sendung setzt die wieder auf Altbewährtes: Das Motto am kommenden Sonntag lautet „Goldene Kultschlager“, zu Gast sind Bernhard Brink (70) und Katja Ebstein (77). Bewährtes Personal also.

Fernsehgarten-Erfolgsfaktor 3: Die Ironie

Als im Juni 1986 der erste Fernsehgarten über die Bildschirme lief, leitete ihn noch die spätere Talkshowikone Ilona Christen († 2009). Das Konzept hat sich seitdem kaum verändert. Doch erst Kiewel dirigierte die Sendung ins digitale Zeitalter.

Die Internetkultur trägt dazu bei, dass der Fernsehgarten auch bei Jüngeren hoch im Kurs steht. Die behaupten mitunter, die Sendung „ironisch“ zu schauen: Sie teilen kurze Ausschnitte etwa auf Twitter und kommentieren in Echtzeit, was gerade im Fernsehen passiert.

Die Hobby-Kommentatoren machen die Show lächerlich, etwa wenn eine Frau während der Rocksendung in Anspielung auf den auf Coverversionen spezialisierten Dauergast Giovanni Zarrella (44) schreibt: „Wenn nicht wenigstens der Zarrella kommt und irgendwas von AC/DC auf Italienisch singt, ist das nicht mehr mein Fernsehgarten.“

Kiewel kann das egal sein. Hauptsache, ihre Show bleibt im Gespräch.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.