Jerusalem. Israel steht vor der nächsten Corona-Welle. Auslöser ist die Omikronvariante BA.5. Sie kann besonders für zwei Gruppen gefährlich sein.

Den Satz „Aber wir dachten doch, es sei vorbei” hört man in diesen Tagen oft in Israel. Die Corona-Infektionszahlen gehen steil nach oben, vieles deutet auf den Beginn einer sechsten Welle hin, ausgelöst durch die Omikron-Subvariante BA.5.

Zwar ruft die Regierung noch dazu auf, nicht in Panik zu verfallen, Gesundheitsminister Nitzan Horowitz klingt in aktuellen Interviews aber schon ganz anders als noch vor einer Woche, und das liegt nicht nur daran, dass seine Stimme wegen einer akuten Covid-Erkrankung etwas kratzig ist.

Vor einer Woche war sein Ministerium noch überzeugt davon, dass nun die Zeit reif sei, um auch die allerletzte Corona-Einschränkung fallen lassen zu können: die Pflicht, im Fall einer Infektion in Quarantäne zu gehen. „Die Quarantänevorgabe werden wir jetzt wohl nicht abschaffen können”, räumt Horowitz ein. Und nicht nur das: Der Coronabeauftragte der Regierung, Salman Zarka, spricht schon von einer fünften Impfung für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen.

Omikron-Infektion schützt nicht vor erneuter Ansteckung

Fast 4700 neue Fälle wurden am Mittwoch gezählt, vor nur einer Woche waren es lediglich halb so viele Neuinfektionen gewesen, und die Kurve zeigt steil nach oben. Jeder fünfte Test, der den Behörden gemeldet wird, bringt ein positives Ergebnis, aber viele testen zuhause, und niemand nimmt davon Notiz. Eine hohe Dunkelziffer wird befürchtet, und nicht nur das: Manche Mediziner glauben, dass es diesmal noch schwerer sein könnte, die Menschen zu verantwortungsbewusstem Verhalten zu bewegen. „Die Menschen sind sorgloser geworden”, sagt ein Allgemeinmediziner in Jerusalem. „Es gibt Leute, die verlassen selbst mit Symptomen das Haus und lassen sich nicht testen, nur weil sie schon mit Omikron infiziert waren.”

Ein fataler Trugschluss, wie eine aktuelle Studie des Sheba-Spitals zeigt. Laut dieser Untersuchung sind die neuen Varianten noch besser dafür gerüstet, die bereits aufgebaute Immunabwehr des menschlichen Körpers auszutricksen. Gegen BA.4 und BA.5 sei nicht nur die Impfung weniger effektiv, auch Omikron-Genesene könnten sich demnach leichter anstecken, sagt Studienautorin Gili Regev-Yochai.

Fünfte Impfung - als erstes für ältere und immungeschwächte Menschen

Während die Infektionszahlen steigen, merkt man bei den schweren Erkrankungsfällen noch keine großen Bewegungen. Blickt man genauer hin, gibt es aber auch hier schon einen Anstieg bei einer Gruppe: den Ungeimpften. Unter diesen Covid-Patienten steigt die Zahl der schweren Verläufe an.

Die Studie bestätigt das. Die Impfung sei gegen die neuen Varianten zwar noch weniger effektiv als gegen Omikron, sagt Forscherin Gili Regev-Yochai. Gegen schwere Verläufe sind aber Geimpfte auch weiterhin deutlich besser geschützt als Ungeimpfte.

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Ob in Israel nun bald der fünfte Stich kommt, wird vor allem von der Lage in den Spitälern abhängen. Noch hoffen die Verantwortlichen im Gesundheitsministerium, dass die neue Variante zwar hochansteckend ist, aber nicht für eine hohe Zahl komplexer Verläufe sorgt. Sollten die kommenden Tage diese Hoffnung nicht bestätigen, werden ältere und immungeschwächte Personen wohl zur Auffrischung gerufen werden. In Israel konnten diese Gruppen bereits vier Impfungen erhalten, die letzte Impfwelle fand im Januar statt – also vor fünf Monaten. Die Schutzwirkung dieses Boosters könnte also bereits stark reduziert sein. Zusätzlich zu den Älteren werden auch Eltern aufgerufen, ihre Kinder boostern zu lassen, wenn sie nur zweifach geimpft sind.

Omikronvariante BA.5 - Sommercamps können Superspreader-Ereignisse werden

Von neuen Einschränkungen ist derzeit aber keine Rede. Im Gesundheitsministerium wird befürchtet, dass ein Appell an die Vernunft der Menschen derzeit mehr bewirkt als neue Verordnungen. Seit einiger Zeit gibt es in Israel keine Maskenregelung in Innenräumen mehr, es gilt nur eine Empfehlung für Krankenhäuser, Senioren- und Pflegeheime. Er denke auch weiterhin nicht daran, den Mund-Nasen-Schutz in Innenräumen wieder vorzuschreiben, sagte der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums Nachman Ash. Die Menschen sollten aber wissen, dass das Maskentragen eine „einfache und richtige” Maßnahme sei, um sich und andere vor einer Ansteckung zu schützen.

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Das Covid-Expertengremium, das die Politik in Pandemiefragen berät, hatte zuvor eine Maskenpflicht empfohlen. Von einer Wiedereinführung der Corona-Tests am Flughafen Tel Aviv ist laut Nash derzeit ebenfalls keine Rede. Auch das könnte sich aber von einem Tag auf den anderen ändern, wenn die Zahlen weiter stark nach oben gehen und sich die schweren Fälle häufen. Der Corona-Beauftragte Salman Zarka appelliert inzwischen an die Eigenverantwortung der Ankommenden am Flughafen: Sie sollen sich selbst um einen PCR-Test kümmern und sich nicht mit einem Antigentest zufrieden geben. Zarka empfiehlt die PCR-Tests nicht nur, weil sie präziser sind als Antigentests, sondern auch, weil sie den Labors die Möglichkeit geben, neu auftretende Virusvarianten zu identifizieren.

Der aktuelle Anstieg kommt zu keinem günstigen Zeitpunkt: Bald beginnt die Sommercamp-Saison in Israel. Dazu reisen auch viele Kinder und Jugendliche aus Übersee an. In vergangenen Wellen haben sich einige Camps als wahre Superspreader-Events erwiesen.

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