Washington. Ein US-Pharmakonzern hat ein Mittel gegen Covid-19 entwickelt. Großbritannien hat es nun zugelassen. Beendet die Pille die Pandemie?

  • Das Pharmaunternehmen Merck hat laut eigenen Angaben ein wirksames Corona-Medikament entwickelt
  • Die Medizin namens Molnupiravir ist zur Behandlung in Großbritannien zugelassen worden
  • Ob es bei der Pandemie-Bekämpfung wirklich helfen kann, ist aus einem einfachen Grund fraglich

Was wäre, wenn es eine Pille gegen das Coronavirus gäbe? Wenn jeder, der sich infiziert hat, ein einfach paar Tabletten schluckte und dann genesen wieder in seinen Alltag zurückkehren könnte? Die Fantasie einer solchen Wunderpille ist so alt wie die Pandemie selbst. Nun, inmitten einer erneuten Infektionswelle infolge der Delta-Variante, könnte sie Wirklichkeit werden.

Mit Großbritannien hat am Donnerstag das erste Land weltweit ein entsprechendes Medikament zugelassen. Dabei handelt es sich um das Präparat namens Molnupiravir der Pharmakonzerne Merck Sharp & Dohme (MSD) und Ridgeback Biotherapeutics. Eingesetzt werden darf es im Vereinigten Königreich bei leichten bis mittelschweren Covid-Erkrankungen. Der britische Gesundheitsminister Sajid Javid sprach von einem „historischen Tag“ für sein Land: Zum ersten Mal gebe es ein „antivirales Mittel zur Behandlung von Covid-19, das zu Hause eingenommen werden kann“. Es sei sicher und effektiv, erklärte die britische Regierung.

Corona-Medikament soll Hospitalisierungsrate halbieren können

Molnupiravir soll laut einer eigenen Studie von Hersteller Merck die Rate der Hospitalisierungen und Zahl der Todesfälle bei Corona-Infizierten um die Hälfte senken können. Allerdings wirkt das Mittel klinischen Studien zufolge nur dann wirklich effektiv, wenn es so bald wie möglich nach einem positiven Test eingenommen wird und innerhalb von fünf Tagen nach dem Beginn von Symptomen.

Darauf verweist auch die britische Regierung. Vor diesem Hintergrund bleibt es zumindest fraglich, ob Moinupiravir tatsächlich einen großen Einfluss auf die Eindämmung von Sars-CoV-2 haben kann. Voraussetzung dafür wäre, dass sich Infizierte schnell testen ließen und die Symptome ernstnähmen.

Das Anti-Corona-Medikament verändert den genetischen Code des Virus bei der Replikation und hemmt somit dessen Ausbreitung im Körper. Medikamente mit einer ähnlichen Funktionsweise werden bereits seit langem zur Behandlung von Erkrankungen wie HIV benutzt. Wie bei HIV dürften Anti-Viral-Medikamente auch bei Covid-19 kein Wundermittel werden, dass die Seuche rasch beendet. Zu erwarten ist aber, dass sie sich in den kommenden Monaten, aller Vorbehalte zum Trotz, zur wichtigen zweiten Säule der Pandemie-Eindämmung entwickeln werden.

Hinzu kommt, dass bei der Behandlung mit Molnupiravir eine fünf Tages-Kur von zwei Dosen pro Tag erforderlich ist. Eine solche Menge an Medikamenten dürfte bei einer Bevölkerung, die schon gegenüber einer Corona-Impfung skeptisch ist, nur eine geringe Akzeptanz finden. Lesen Sie hier: Studie: Booster-Impfungen erhöhen Schutz gegen Corona deutlich

US- und EU-Behörden prüfen Zulassung von Molnupiravir

Eine Notfallzulassung hatte Merck in den USA bereits Mitte Oktober bei der nationalen Pharma-Aufsicht FDA (Food and Drug Administration) beantragt. Damit könnte das Medikament auch dort noch vor Ende des Jahres auf den Markt kommen. Dr. Anthony Fauci, Direktor des nationalen Instituts zur Seuchenbekämpfung, bezeichnete etwa die Entwicklung des neuen Medikaments als „Hoffnungszeichen“. Er betonte jedoch, dass es auf keinen Fall einen Ersatz für eine Impfung darstelle.

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte Ende Oktober angekündigt, den Einsatz von Molnupiravir zu prüfen. Die EMA prüft zudem sieben weitere mögliche Corona-Mittel. Neben Merck arbeiten auch Pfizer, Roche und Atea bereits an ähnlichen Präparaten.

Kein Todesfall unter Probanden, die das Mittel erhielten

Molnupiravir wurde von den US-Herstellern in einem regulären Studienverfahren getestet. Die Daten sind allerdings noch nicht veröffentlicht und wurden noch keiner unabhängigen Untersuchung unterzogen.

In den Studien hätten Corona-Patienten mit milden bis moderaten Symptomen, die mit einem Placebo behandelt wurden, in 14,1 Prozent der Fälle innerhalb von 29 Tagen ins Krankenhaus gemusst oder seien gestorben. In der Patienten-Gruppe, die mit dem Medikament Molnupiravir behandelt wurde, seien es mit 7,3 Prozent nur etwa halb so viele gewesen.

Die Zahlen basieren auf einer Auswertung der Daten von 775 Corona-Patienten. Alle Probanden wiesen mindestens einen Risikofaktor auf, der einen schweren Verlauf wahrscheinlicher macht. In der Testgruppe, die das Merck-Medikament erhielt, habe es im Studienzeitraum keine Todesfälle gegeben, teilte das Unternehmen mit. Dagegen seien acht Menschen gestorben, die nur das Placebo erhielten.

USA wollen Behandlungen fördern - Experten: "Kein Wundermittel"

Die US-Bundesregierung hat angesichts der Studienergebnisse angekündigt, jede Behandlung mit 700 Dollar (rund 610 Euro) zu unterstützen. Das ist der reguläre Preis des Medikaments. Zudem, so Anthony Fauci, hätten die USA sich neben den schon bestellten 1,7 Millionen Dosen, eine Option auf Millionen weiterer Dosen gesichert. „Wir setzen einiges auf die Behandlung“, so Fauci.

Nachdem in den USA bereits mehr als 750.000 Menschen an Corona gestorben sind, möchte Fauci, seinen eigenen Worten zufolge, „jeden Tod verhindern, der zu verhindern ist.“ Dazu ist dem Chef-Epidemiologen jedes Mittel recht, das auch nur den geringsten Erfolg verspricht.

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"Wir sind optimistisch, dass Molnupiravir ein wichtiges Medikament als Teil der weltweiten Bemühungen im Kampf gegen die Pandemie werden kann“, erklärte Merck-Chef Robert Davis. Auch Experten reagierten insgesamt positiv auf die Merck-Studienergebnisse, mahnten aber zugleich Zurückhaltung an.

„Ein sicheres, erschwingliches und wirksames orales antivirales Medikament wäre ein riesiger Fortschritt im Kampf gegen Covid“, schrieb der Infektiologe Peter Horby von der Universität Oxford im Kurzbotschaftendienst Twitter. Er warnte aber, es müsse darauf geachtet werden, dass das Coronavirus keine Resistenz gegen das Medikament entwickle.

Der US-Medizinprofessor Peter Hotez pflichtete Horby in diesem Punkt bei. Zudem mahnte er wie schon Fauci, ein solches Medikament sei „kein Ersatz für Impfungen“.

(yah/bml/dpa/afp)