Schliersee/Miesbach. In der Seniorenresidenz Schliersee herrschten offenbar dramatische Zustände. Jetzt haben die Behörden die Betriebserlaubnis entzogen.

Es ist leer geworden auf den Fluren des skandalumwitterten Altenheims. 142 Damen und Herren könnten in der mondän wirkenden Seniorenresidenz mit Alpenblick, direkt am oberbayerischen Schliersee gelegen, versorgt werden. Doch viele Zimmer sind verwaist, die meisten Bewohner bereits ausgezogen.

Nur noch um die 40 leben in der Einrichtung, die bundesweit traurige Bekanntheit erreicht hat. Die letzten Verbliebenen müssen sich nun ebenfalls eine neue Unterkunft suchen: Die Residenz, in der womöglich mehrere Senioren verhungert und verdurstet sind, wird geschlossen.

Der Mann, der das Ende beschlossen hat, ist Olaf von Löwis. Der CSU-Politiker ist Landrat des Kreises Miesbach – und hat dem Träger des Heims, dem italienischen Konzern Sereni Orizzonti, die Betriebserlaubnis entzogen. Ende November ist Schluss am Schliersee, spätestens. Mehr zum Thema: Senioren sollen in Bayerns Horror-Altenheim verhungert sein

Seniorenresidenz: Staatsanwaltschaft ermittelt

„Wir müssen zum Schutz der Bewohner die Reißleine ziehen und haben in einem enormen Kraftakt aus unserer Sicht ausreichend Material als Grundlage für die Betriebsuntersagung gesammelt“, sagt von Löwis.

Lange hat es gedauert. Ende März war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft München II wegen des Verdachts auf Körperverletzung bei 88 Bewohnern ermittelt. Zeugen erzählten von völlig verwahrlosten Senioren, zu wenig Personal, Schimmel und Schmutz. Der Anklagebehörde zufolge werden 17 Todesfälle untersucht.

Nur von außen idyllisch: die Seniorenresidenz Schliersee in Oberbayern.
Nur von außen idyllisch: die Seniorenresidenz Schliersee in Oberbayern. © picture alliance / dpa | Peter Kneffel

„Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen“, sagt Oberstaatsanwältin Andrea Mayer auf Anfrage. Wann Ergebnisse präsentiert werden, sei nicht absehbar. Außerdem wird wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug ermittelt.

Der Bayerische Rundfunk berichtete kürzlich unter Verweis auf interne Unterlagen, dass die massiven Missstände in der Residenz trotz der laufenden Ermittlungen bis Mitte August angedauert hätten. Ein Bewohner nahm demnach so stark ab, dass er nur noch knapp 44 Kilogramm wog. Einige Senioren hätten am Tag nur 100 Milliliter getrunken. Lesen Sie auch: Corona: Altenheimbewohner sind an Einsamkeit gestorben

Patientenschützer kritisiert Zögern der Behörden

Das Landratsamt weiß bereits seit langem um die gravierenden Mängel. Olaf von Löwis, bis 2020 Bürgermeister der Kleinstadt Holzkirchen, beteuert: „Seit meinem Amtsantritt vor anderthalb Jahren ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung gedacht habe.“

Wie kann es sein, dass die Kreisverwaltung erst jetzt die Betriebserlaubnis kassiert hat? Von Löwis verweist auf gesetzliche Hürden: „Als Amt können wir eine Einrichtung nicht einfach so schließen, aber ich habe seit meinem ersten Arbeitstag alle Schritte veranlasst, um eine bestmögliche Versorgung der Bewohner sicherzustellen.“

Aus Sicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz steht dahinter ein generelles Problem – es dauere zu lange, bis Heime geschlossen werden, wenn dort schwere Verstöße gegen Pflegestandards auftreten. „Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaften tun sich bei Abhilfe und Aufklärung von Missständen und Hygienemängeln in Pflegeheimen schwer“, kritisiert Vorstand Eugen Brysch gegenüber dieser Redaktion.

Die örtlichen Behörden seien zögerlich. „Bei einer Schließung muss zunächst geklärt werden, wo die Pflegeheimbewohner alternativ leben können. Auch ist offen, wer dann die Mehrkosten für die neue Unterbringung trägt.“ Zudem verstünden es Heimbetreiber, „durch schnelle Trägerwechsel die Verantwortlichkeit zu verschleiern“.

Auch die Betreiber der Seniorenresidenz Schliersee wechselten mehrfach, seit 2019 wird es von einem Tochterunternehmen von Sereni Orizzonti geführt. Der Konzern aus Udine besitzt alleine in Italien 80 Pflegeeinrichtungen – und muss sich dort vor Gericht verantworten. Es geht auch in Italien um den Vorwurf des Abrechnungsbetrugs.