Berlin. Julia Roberts als Erin Brockovich: Warum wir nach einem Videoabend mit dem alten Film über Sexismus diskutieren und Feminismus finden.

Wenn Frauen mit Stilettos rennen, etwa, weil sie nach einem aufregenden Arbeitstag zu spät zum Babysitter kommen, um die Kinder abzuholen, wenn sie dabei einen viel zu kurzen, viel zu engen Rock tragen, aus dem dünne lange Beine ragen, dann sieht das ganz schön blöd aus.

Im Jahr 2000 war das noch anders. Da stolperte Julia Roberts als Erin Brockovich mit Minirock und High Heels zwischen Lover und Anwaltskanzlei durch die Gegend. Immer ein Baby auf dem Arm und zwei weitere Kinder im Schlepptau erspielte sie sich als beste Hauptdarstellerin einen Oscar und einen Golden Globe.

Power-Mutter, voll im Job: Julia Roberts als Erin Brockovich.
Power-Mutter, voll im Job: Julia Roberts als Erin Brockovich. © picture alliance / Everett Collection | ©Universal/Courtesy Everett Collection

Als ich damals den Film im Kino sah, fand ich nichts dabei, dass sich Julia Roberts, die Blockbuster-Ikone der 1990er- und Nuller-Jahre, als überlastete alleinerziehende Mutter zeigt, deren Brüste nur halbwegs von einem klaffenden Reißverschluss-Ausschnitt in Schach gehalten werden.

Ist die Regie von Steven Soderbergh sexistisch?

Und nun bin ich beim analogen Videoabend mit alten DVDs erschrocken, wie vermeintlich sexistisch Regisseur Steven Soderbergh die wahre Geschichte erzählt: Erin Brockovich, Mitarbeiterin einer kleinen Anwaltskanzlei, deckt einen Umweltskandal auf und initiiert einen grandiosen Schadensersatzprozess.

Das Teenager-Kind findet das Outfit der Protagonistin allerdings ziemlich cool. Tatsächlich sieht es so aus, als habe sie sich in die Crop-Tops (bauchfrei, tief ausgeschnitten, eng) der 16- bis 20-jährigen Mädchen gepresst.

Guck doch mal die Schuhe, rufe ich, die kann doch gar nicht rennen. Unser Teenie-Kind trägt zu den Tops weiße Turnschuhe, seit Jahren das immer gleiche Modell. Im Frühjahr hat es sich Sandaletten bestellt, die seitdem von allen Familienmitgliedern bestaunt werden.

Schöne Schuhe sind da, um bestaunt zu werdern. Wer läuft schon darin rum!

Getragen wurden sie noch nie, wie auch, wenn sich in Zeiten der Pandemie das soziale Leben auf Treffen in Parks beschränkt, deren Wiesen vom Dauerregen aufgeweicht sind.

Bisher hat das Crop-Top-tragende Kind die Erfahrung gemacht: Hohe Schuhe sind zum Anschauen da. Und zum Herumtragen. Wie Erin Brockovich im Film den turbulenten Alltag mit diesen Schuhen meistert, ist da schon ein echtes Vorbild.

Komplimente im Büro – wollen Frauen die noch hören?

Mensch, ist die tough – und dabei so sexy. Darf man das loben? Mir fällt ein, dass neulich ein Freund klagte, er dürfe Frauen gegenüber gar keine Komplimente machen. Zum Beispiel einer netten Kollegin sagten, dass ihr neues Sommerkleid perfekt sitzt.

Ich stelle fest: Wir Frauen machen uns in der Redaktion ständig Komplimente. Die Männer sind tatsächlich zurückhaltend geworden. Coole Sneaker, sagte neulich mal einer zu mir. Einem anderen fiel auf, dass ich beim Frisör war. Klinisch-rein, sozusagen. Total unverfänglich.

Im Job über Brüste reden: Unvorstellbar!

Im Job über die eigenen Brüste zu reden, so wie Erin Brockovich, die ihrem Chef gegenüber zugibt, mit dem Wackeln ihres Ausschnitts an die brisanten Akten gekommen zu sein – das ist absolut unvorstellbar.

Es sind auch die Zeiten vorbei, in denen Männer damit durchkommen, mit wenigen Frauen in Konferenzen zu sitzen, Zoten zu reißen und es mit plumper Anmache zu versuchen.

Alles gut also? Sagen wir so: Das Feuer schwelt. Dass es immer noch Kerle schaffen – wie neulich ein Skandal um den Chef einer Boulevardzeitung offenbarte –, mit Praktikantinnen Beziehungen einzugehen, Ex-Geliebte zu mobben und ein allgemein schwülstig-niederträchtiges Klima in der Arbeitswelt zu schaffen, zeigt, dass der alte Sexismus jederzeit wieder auflodern kann.

Wie Erin Brockovich mit Sexismus umgehen würde?

Ein Sexismus übrigens, den eine Person wie Erin Brockovich (Julia Roberts) mit einer Verbalattacke – und wenn das nicht reicht, mit einem gezielten Tritt – abwehren würde. Ihren Lover übrigens, der immer jammert, weil sie so wenig Zeit für ihn hat, schießt sie in den Wind. Sie liebt nur ihre Kinder. Und ihren Job. Und ihre Schuhe. Das ist kein Sexismus, das ist Feminismus – vom Feinsten.

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