Birgit und Cesare Bortoluzzi leben in Bayern, sind aber derzeit in Norditalien. Das Paar schrieb uns mit einem dramatischen Appell.

Sie liegen nur 1070 Kilometer voneinander entfernt, 806 Kilometer Luftlinie trennen Berlin und Bergamo. Nur doppelt so viele Kilometer wie Berlin und München. Ein „Kriegsschauplatz zum Greifen nah“.

Vielleicht kennen Sie die wunderschöne „Città Alta“ auf dem Hügel, der zu den letzten Ausläufern der Alpen gehört. Die letzte Schlacht, die Bergamo schlagen musste, war im April 1945, als die Stadt durch die Alliierten und italienische Partisanen erobert wurde. Wir schreiben den 19. März 2020, und der übermächtige unsichtbare Gegner heißt Covid-19.

Selbst die venezianischen Stadtmauern Bergamos, die seit 2017 zum Unesco-Welterbe gehören, können diesen Feind nicht abhalten. Allein nur an einem Tag (18. März) sind dort 319 Menschen diesem übermächtigen Feind zum Opfer gefallen. 118 Ärzte sind derzeit infiziert, und die Ärzte vor Ort müssen entscheiden, wer überleben darf, abhängig von Alter und Vorerkrankungen. Eine sehr schlimme und mehr als dramatische Situation.

Bergamo hat 121.639 Einwohner, ist also ca. so groß wie Fürth oder Würzburg. Wir selbst wohnen im wunderschönen Bayern, auch wenn wir derzeit noch im Veneto (Venetien; Anm. d. Redaktion) sind, da wir auch hier Familie haben und wissen, wie wichtig es ist, wirklich die Verhaltensregeln und Ausgangssperren zu beachten.

Bergamo am Montag: Ein Bestatter im Schutzanzug transportiert einen Sarg auf dem Zentralfriedhof in Bergamo.
Bergamo am Montag: Ein Bestatter im Schutzanzug transportiert einen Sarg auf dem Zentralfriedhof in Bergamo. © AFP | Piero Cruciatti

Dies sind keine übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen, sondern es geht dabei wirklich um Leben und Tod. Wir verfolgen auch von hier sehr intensiv die Medien in Deutschland und waren sehr erschrocken, wie unbeschwert noch viele Menschen dicht an dicht das traumhafte Wochenendwetter genutzt haben, ohne Abstände, ohne jegliche Schutzmaßnahmen, und als wir dann noch von Corona-Partys gelesen haben, waren wir einfach nur noch geschockt.

Uns sind bei diesen Bildern die Tränen gekommen, denn Covid-19 wird sich noch ganz andere Schauplätze als Bergamo suchen. Bitte, bitte versucht so gut es geht dem Motto zu folgen „ich bleibe zu Hause“. Wir haben die Chance hier, die italienischen Medien sehr intensiv zu verfolgen, und bitte glauben Sie mir, bei den Bildern und Hilferufen würden auch Sie nur noch weinen.

Gestern Abend (18. März, Anm. d. Redaktion) hat Fontanas (Lombardei) in einem dramatischen Appell zu den Menschen gesprochen. „Bleib zu Hause, bald können wir denen, die krank werden, nicht mehr helfen“. Vielleicht haben Sie die Bilder von gestern noch nicht gesehen, wie im Zentrum von Bergamo eine lange Kolonne von 70 Militärfahrzeugen (!) am Bargo Palazzo hält, nur wenige Hundert Meter vom Friedhof entfernt. Entschuldigung, aber ich muss gerade wieder weinen, denn sie bringen Särge für die Krematorien, da die Leichenhalle von Bergamo seit Tagen nicht mehr in der Lage ist, die Opfer von Covid-19 aufzunehmen.

Bergamo am Mittwoch: Trucks der italienischen Armee bringen Särge zum Zentralfriedhof.
Bergamo am Mittwoch: Trucks der italienischen Armee bringen Särge zum Zentralfriedhof. © AFP | Stringer

Gestern gab es im Fernsehen Fotos von Papst Franziskus mit Worten und Gebeten für Bergamo. So traurig und tief betroffen habe ich ihn noch nie gesehen. Papst Franziskus hat seinen tröstenden Segen für Gnade, Licht und Stärke überbracht. Er war nicht nur tiefbetroffen über die sehr vielen Toten, sondern auch darüber, dass all die Familien KEINE Chance haben, sich von den Toten zu verabschieden. Sie werden einfach weggebracht, niemand kann sich mehr verabschieden, weder auf Intensivstationen, noch auf Palliativstationen.

Sie können den geliebten Menschen keine letzten liebenden Worte mehr zusprechen und sagen: „Ich liebe dich“. Allein diese Vorstellung ist schrecklich und lässt mir mehr als Gänsehaut über den Rücken laufen.

Birgit und Cesare Bortoluzzi erleben derzeit in Venetien, wie die Coronavirus-Pandemie Italien an seine Grenzen bringt.
Birgit und Cesare Bortoluzzi erleben derzeit in Venetien, wie die Coronavirus-Pandemie Italien an seine Grenzen bringt. © Bortoluzzi | Bortoluzzi

Wir bitten Euch von ganzem Herzen, macht mit, denn es wird ein Morgen geben, und es liegt an jedem einzelnen von uns, Eigenverantwortung im Kampf gegen das Coronavirus zu zeigen, damit das Morgen für uns alle bunt werden kann – und nicht schwarz.

Denn die Verbreitung des Virus hängt von unserem Verhalten ab. Wir haben uns ganz klar entschieden – für das Bunte: Einhalten von Vorsichtsmaßnahmen, Solidarität mit unseren Mitmenschen, faires Miteinander, Befolgen der strengen Verhaltensregeln, um das Gesundheitssystem nicht zum Kollaps zu bringen und die Menschen, die dort täglich Enormes leisten müssen, zu entlasten (ganz großen Respekt hierfür), absoluter Schutz der Älteren und Risikogruppen, gemeinsam positiv in die Zukunft blicken. Und wir bleiben zu Hause!

Wir wünschen allen von ganzem Herzen Gesundheit und viel Kraft im Kampf gegen Covid-19, dem unsichtbaren und übermächtigen „Feind“ – wir sind fest davon überzeugt, dass wir ihn gewinnen können, wenn wir alle mitmachen. Darauf kommt es im Jetzt, Heute und Hier an.

Bitte seid dabei!!!

Birgit und Cesare Bortoluzzi

• Anmerkung der Redaktion: Der Leserbrief wurde von der Redaktion redigiert, inhaltlich aber nicht verändert. Der Brief gibt die Meinung unserer Leser wieder, nicht die der Redaktion. Die Redaktion hat Kontakt mit den Autoren aufgenommen, um den Brief auf Echtheit zu überprüfen. Die Autoren haben familiäre Verbindungen nach Italien, unter anderem auch nach Bergamo.

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