Berlin. Claudia Michelsen gehört zu Deutschlands Schauspiel-Spitzenklasse. Im Interview spricht sie über Spiritualität und das Älterwerden.

Claudia Michelsen gehört zur Crème de la Crème deutscher Charakterdarsteller. Im Kino war sie in letzter Zeit in „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ und dem Thriller „Das Ende der Wahrheit“ zu sehen.

Im Fernsehen spielte sie unter anderem in Uwe Tellkamps „Der Turm“, in der Nachkriegs-Trilogie „Ku’Damm ’56 und ’59“ – „Ku’damm ’63“ sendet das ZDF im Frühjahr – und als Kommissarin Doreen Brasch im „Polizeiruf 110“. In der ARD-Krimiserie geht sie am 16. Februar zum ersten Mal alleine auf Verbrecherjagd.

Sie haben zwei Folgen von „Polizeiruf 110“ mit Ihnen als Solo-Ermittlerin abgedreht. Welche neuen Möglichkeiten haben sich denn da ergeben?

Claudia Michelsen: So neu sind die Möglichkeiten gar nicht. Doreen Brasch war ja schon immer als einsame Reiterin konzipiert, die sich weder an Vorschriften, noch an ein soziales Miteinander hält. Sie hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitswahn und kommt sozusagen im Sturzflug immer denen zu Hilfe, die in Not sind. Sie tastet sich nicht heran, sondern geht immer den kurzen, direkten und dadurch manchmal schmerzhafteren Weg.

Sie spielen Doreen Brasch seit sieben Jahren. Wie haben Sie in dieser Zeit die Figur verinnerlicht und weiterentwickelt?

Michelsen: Das Interessante ist, dass wir mit Brasch mal anders angefangen haben. Mein damaliger Kollege Sylvester Groth, der den Hauptkommissar Jochen Drexler spielte, war ähnlich wie Brasch eine sehr verschrobene, eigenwillige und großartige Figur. Und damals hat man diese beiden nicht sozialisierbaren Figuren aufeinander losgelassen. Herrlich war das. Als Sylvester dann leider aus der Reihe ausschied, kam Brasch damit natürlich in eine andere Position.

Dann kam ein anderer Kollege für Brasch, nämlich Matthias Matschke als Dirk Köhler dazu – und auch dadurch veränderte sich Brasch wieder ein wenig. Es ist wie im Leben, manchmal ergänzt man sein Umfeld und vermeidet die Positionen, die andere schon besetzt haben. Wenn einer laut ist, braucht der andere nicht auch noch laut zu sein, man sucht sich die Lücke, ergänzt. Das ist spannend, was dadurch tatsächlich auch mit Brasch passiert ist. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie hat dazu gelernt und tut es fortwährend. Aber sie wird natürlich nie eine Musterschülerin werden.

Sie sagten mal: „Die Schauspielerei ist eine Lebenserfahrung, die man geschenkt bekommt.“ Können Sie diesen Gedanken noch weiter ausführen?

Michelsen: Das Geschenk ist, dass man Reisen in andere Leben macht. Aber diese Leben auch wieder verlassen darf. Als Schauspielerin komme ich ja von außen in das Leben einer Figur hinein, wenn man das so sagen kann. Allein schon deshalb habe ich einen ganz anderen Blick darauf als zum Beispiel auf mein eigenes Leben. Deshalb ist dieses Eintauchen in ein fremdes Leben auch immer fast schon eine Form von Therapie, wie ich finde.

Weil man sehr genau sezieren oder beobachten kann, was in dem Leben derer, die man da besucht, so los ist, und warum jemand genauso ist, wie er ist. Man muss wissen, warum und vor allem wie Figuren das tun, was sie da eben tun in den Geschichten. Dieses „wie“ zu erzählen ist die Aufgabe von uns Schauspielern. Wie interpretiere ich diese Figur und wie positioniere ich mich dazu? Und das ist ein Geschenk. Denn dadurch erhält man viele Momentaufnahmen aus anderen Leben. Und ich glaube diese nimmt man dann mit in seinen eigenen Lebensrucksack.

Sie sind in der DDR aufgewachsen. Wovon mussten Sie sich denn da in Ihren prägenden Jahren vor allem emanzipieren?

Michelsen: Zum Beispiel von diesem brutalen Atheismus. Es hat auch eine Weile gedauert, bis ich mir meine ganz persönliche, auch spirituelle Gedankenfreiheit erlauben konnte.

Das Theater in der DDR war wohl auch eine geschützte Zone, wo man anders sein konnte, oder?

Michelsen: Absolut. Ich studierte mit 16 Jahren schon an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, und mit 19 wurde ich bereits an die Volksbühne in Berlin engagiert. Ich durfte mit Regisseuren wie Heiner Müller, Luc Bondy, Frank Castorf, Christoph Marthaler und Hans Kresnik arbeiten. Mein eigentlicher Impuls, warum ich damals ans Theater wollte, war ein politischer. Ich wollte dabei sein. Ich wollte etwas tun gegen dieses kranke System. Ich wollte etwas verändern. Und Theater war ein Treffpunkt zwischen Publikum und Künstlern, eine stille Verbindung durch Gedanken, die dort frei sein konnten.

Wie kommen Sie denn mit dem Älterwerden zurecht?

Michelsen: Ich empfinde das Älterwerden als einen Luxus, natürlich solange man gesund bleibt. Weil man sich mit bestimmten Dingen nicht mehr aufhält. Sondern sich fragt: „Ist mir das jetzt wirklich wichtig – oder nicht? Ist mir dieser Mensch wichtig? Möchte ich das wirklich tun? Zeit bekommt eine andere Bedeutung. Mit wem möchte man diese Lebenszeit verbringen und wie? Diese Erkenntnis hatte ich als junge Frau noch nicht. Das ist auch gut so, wie will man sonst losgehen und die Welt erobern. Alles fühlt sich doch an, als wär’s für ewig. Wunderbar.

Michelsens „Polizeiruf“-Kollegen Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau suchten in „Söhne Rostocks“ nach einem untergetauchten Jungunternehmer, der unter Mordverdacht stand. Dabei begegnete das Ermittler-Duo auch einem alten Bekannten – eine eher unerfreuliche Begegnung.