Paris. Regisseur Woody Allen wird am Sonntag 84 Jahre alt. In Paris sprach er über Ängste im Alter und haarscharf umschiffte Katastrophen.

Vorweg: Über die Missbrauchsvorwürfe spricht Woody Allen nicht. Schon 1993 hatte seine Ex-Partnerin Mia Farrow (heute 74) behauptet, der Regisseur habe ihre gemeinsame Adoptivtochter Dylan sexuell missbraucht. Im Zuge der #MeToo-Bewegung bekräftigte die heute 34-Jährige die Vorwürfe, auch Farrows Sohn Ronan Farrow (31) stellte sich hinter seine Schwester.

Der Journalist war es auch, der durch seine investigative Recherche maßgeblich den Missbrauchsskandal um Hollywood-Boss Harvey Weinstein (67) ans Licht geholt und damit die Bewegung ins Rollen gebracht hatte. Als wir Woody Allen im Pariser Luxushotel Le Bristol treffen, soll es aber um seinen neuen Film „A Rainy Day in New York“ gehen, der ab dem 5. Dezember im Kino zu sehen ist.

Woody Allen: Hommage an New York ist von Vorwürfen überschattet

Doch die Romantikkomödie, eine weitere Liebeserklärung Allens an seine Heimatstadt, ist überschattet von den Vorwürfen. Schon 2018 sollte sie ins Kino kommen. Die Amazon Studios jedoch, die den Film finanzierten, ließen ihn in der Versenkung verschwinden, weil er „faktisch nicht zu vermarkten“ sei.

Daraufhin verklagte Allen die Amazon Studios auf 68 Millionen Dollar Schadensersatz und bekam die Filmrechte zurück. Aber auch die Darsteller aus seinem Film wie Timothée Chalament oder Rebecca Hall weigerten sich, die Komödie zu bewerben.

Zuvor hatten bereits Colin Firth oder Greta Gerwig erklärt, nicht mehr mit Allen zusammenarbeiten zu wollen. „Was soll ich dazu sagen?“, meint Allen und blickt den Interviewer listig durch seine schwarze Hornbrille an.

Woody Allen unbeeindruckt von Schauspieler-Boykott

Er trägt einen moosgrünen Strickpulli und braune Cordhosen. Der Filmemacher wird am Sonntag 84 Jahre alt. Er hört ein bisschen schwer und beugt sich im Gespräch oft weit vor, um die Fragen besser zu verstehen.

„Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern“, fährt er fort. „Mich trifft das nicht. Mir hat es großen Spaß gemacht, mit ihnen zu arbeiten. Abgesehen davon gibt es genügend Schauspieler, die sehr gerne mit mir zusammenarbeiten. Vor Kurzem habe ich meinen neuen Film ,Rifkin’s Festival’ abgedreht. Mit ganz fabelhaften Schauspielern. Wie zum Beispiel Gina Gershon, Louis Garrel und Christoph Waltz.“

Die Kraft der Familie – doch die ist kompliziert

Ansonsten betont Allen während des Gesprächs die Kraft der Familie. Familie, das ist in seinem Fall ein komplexes Konstrukt: Mit Soon-Yi Previn (49) ist er seit 1997 verheiratet, sie ist die Adoptivtochter seiner früheren Lebensgefährtin Mia Farrow.

Zwei Kinder hat Allen gemeinsam mit Farrow adoptiert, darunter Moses Farrow, der seinen Vater immer wieder gegenüber den Missbrauchsvorwürfen in Schutz nahm. Ronan Farrow gilt offiziell als gemeinsamer Sohn von Allen und Farrow, auch wenn die Schauspielerin später verkündete, ihr Exmann Frank Sinatra sei wahrscheinlich der biologische Vater.

Zwei weitere Kinder hat Allen mit seiner jetzigen Frau adoptiert. Allen fasst es etwas übersichtlicher zusammen: „Ich habe eine Frau, die mich liebt, eine Familie, ich habe eine sehr enge Beziehung zu meiner Schwester.“

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„Mein Leben ist sehr Mittelklasse“

An Katastrophen sei er stets haarscharf vorbeigeschlittert. „Ich war auch immer ziemlich gesund“, sagt er weiter. „Mein Leben ist sehr Mittelklasse, müssen Sie wissen. Ich stehe ziemlich früh auf, mache Gymnastik, frühstücke, übe ein bisschen Klarinette und gehe dann oft mit meiner Frau im Central Park spazieren. Abends treffe ich gelegentlich ein paar Freunde. Ich lebe also ganz sicher kein Jetset-Leben.“

Sorgen dagegen macht dem jüdischen Filmemacher der Rechtsruck in vielen Teilen der Welt: „Wie sagte schon Sigmund Freud: ,Es wird immer Antisemitismus geben, denn die Menschheit ist ein furchtbarer Haufen.‘ Dem stimme ich voll und ganz zu! Ich habe in meinem Leben viele Leute getroffen, die Antisemiten waren. Denn das ist leicht.“

Arbeit als Ablenkung vor dem Tod

Politisch will er in seinen Filmen trotzdem nicht werden: „Wenn ich einen Film abgedreht habe, dauert es meist ein Jahr, bis er in die Kinos kommt. Da wäre jedes politische Statement längst kalter Kaffee.“ Für ihn sei das Filmemachen eher „ein wunderschöner Eskapismus, der mich von der Realität des Lebens fernhält“.

Aufhören will er noch lange nicht. Die Arbeit sei schließlich auch eine Ablenkung „vor dem sicheren Tod“. Allen: „Machen wir uns doch nichts vor. Ich bin 84 Jahre alt. Ich könnte jetzt – während des Interviews – tot vom Stuhl fallen. Und Sie würden sich nicht mal darüber wundern.“