Berlin. Sieben Jahre war es ruhig um Max Herre. Jetzt ist er wieder da. Im Interview spricht der Singer-Songwriter über Hoffnung und Liebe.

Max Herre ist einer der erfolgreichsten deutschen Rapper und Singer-Songwriter. Mit seinem neuen Album beschreitet der 46-Jährige nach langer Pause neue Wege – und wagt sich nach eigenem Bekenntnis an die Punkte seines Lebens, die ihm unangenehm sind. Ein Gespräch über Hoffnung, das ewige Suchen und die Liebe.

Ihr neues Album „ATHEN“ erscheint über sieben Jahre nach dem bislang letzten. Eine ganz schön lange Zeit.

Max Herre: Was ich überhaupt nicht als so lange empfunden habe. Ich habe nach „Hallo Welt“ eine Unplugged-Platte gemacht, danach viel live gespielt, Alben für andere Künstler produziert und die Arbeit an „ATHEN“ dauerte auch zweieinhalb Jahre. Ich bin da nicht herumgesessen, das war also keine leere Zeit.

Seither hat sich vieles auf unserem Planeten verändert. Einen so optimistischen Song wie „Hallo Welt“ würden Sie vermutlich nicht mehr so schreiben. Oder doch?

Herre: Ich glaube schon, dass ich irgendwann wieder in einer Phase bin, wo ich derartige Songs mit der gleichen Natürlichkeit und Ehrlichkeit machen kann. Ich habe davon abgesehen auch beides gleichzeitig in mir – wie wir alle. Wir sind zeitweilig unglaublich pessimistisch, und angesichts der Dringlichkeiten der Themen, die uns begegnen, müssen wir das auch sein. Gleichzeitig sehe ich das Engagement unglaublich vieler junger Leute. Das heißt, ich sehe Hoffnung, und genau daran will ich glauben: Dass man sich zusammenrauft und probiert, Dinge zu ändern.

Der Sehnsuchtsort Ihres Titelsongs scheint unerreichbar. Da heißt es „Wir kommen nie bis nach Athen“. Ist das Zufall?

Herre: Nein, „ATHEN“ ist kein Album über das Angekommen-Sein. Es geht eher darum, an Weggabelungen zurückzukehren und sich zu fragen, was passiert wäre, wenn man die andere Straße genommen hätte. Es geht um Erinnerung und um Bruchstellen. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass es Lebensthemen für mich gibt, die ich mir näher anschauen und an denen ich dranbleiben muss. Diese Bruchstellen sind Orte, an denen man sich vielleicht nicht ganz wohlfühlt. Das können bestimmte Momente in der Biografie sein oder Dinge, die man für sich nicht ganz zu Ende gedacht hat. An die habe ich mich in dem Album herangetraut.

Können Sie das näher erläutern? Worum geht es zum Beispiel in einem Song wie „Villa auf der Klippe“, von der es heißt, dass sie „am Abgrund liegt“?

Herre:Das war eher eine Betrachtung zu unserer Zeit. Wir alle sind in einer Vorstellung von Optimierung gefangen, dem optimierten Selbst am optimalen Ort, dass überhaupt niemand mehr neben uns in unser perfektes Bild passt. Wir können keine menschliche Unzulänglichkeit mehr akzeptieren.

Sind Sie durch die Auseinandersetzung mit diesen „Bruchstellen“ reifer geworden?

Herre: Vielleicht ist es so, aber ich glaube eher an das Motiv der ewigen Suchen. Ich bin auf einer Reise, wo ich auch mal links und rechts abfahre und mich für neue Dinge öffne. Ich habe mich davon ferngehalten, mit dieser Platte einen Ratgeber abzuliefern. Die Welt tendiert dazu, in Aphorismen und Punchlines zu denken, so nach dem Motto „Ich habe jetzt eine Wahrheit, und die bringe ich hier mit Ausrufezeichen heraus.“ Das konnte und wollte ich nicht. Ich habe vielmehr das Gefühl, je länger ich das mache und je älter ich werde, desto weniger absolute Wahrheiten gibt es in meinem Leben.

Können Sie eine dieser wenigen absoluten Wahrheiten nennen?

Herre: Eine absolute Wahrheit ist für mich Liebe, aber nicht nur partnerschaftliche. Es geht um alle Menschen, die ich um mich herum habe. Die Platte ist getränkt von diesen Beziehungen – auch zu meinen Eltern und meinen Kindern. In „Siebzehn“ beispielsweise gibt es eine Spiegelung zu meinem Sohn, wenn mir in dem Song mein damals 17-jähriges Ich nachts auf dem Flur begegnet.

„Das Wenigste“ wiederum, der von ihrer Frau Joy Denalane gesungen wird, dreht sich eindeutig um die partnerschaftliche Liebe. Welche Erkenntnisse stecken darin?

Herre: Dass man den anderen am Anfang einer Beziehung vor allem sieht, wie man ihn sehen möchte – als Projektion. Deshalb handeln 90 Prozent aller Liebeslieder von Superlativen: ‚Du bist das Allergrößte, was mir je im Leben begegnet ist.’ Aber wenn man ein paar Jahre hinter sich hat, kommt man an einen Kern, an das Fundament. Und wenn dieses stimmt, dann kann das Konstrukt einer Beziehung wahnsinnig viel aushalten.