Berlin. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden unterstützt die Berliner Proteste. Das ist aber nicht der einzige Grund für den Besuch.

Als Greta Thunberg endlich an der Spitze des Protestzugs ankommt, bleibt es still. Zehntausende schieben sich vom Invalidenpark in Berlin-Mitte zum Startpunkt der Demo-Route, in Richtung Regierungsviertel. Dutzende Fotografen haben ihre Zoomobjektive gezückt, Kameramänner sind auf Leitern geklettert, Moderatoren haben für die Live-Schalte- nachgepudert, Teenager sind auf die Schultern ihrer Klassenkameraden geklettert, wanken jetzt neben bunten Protestplakaten im Wind. Wo ist Greta? Hast du sie gesehen?

Alle warten auf das Mädchen, das all das hier ausgelöst hat. Ein Aufstand der Kinder gegen die Politik. Den weltweiten Schülerstreik gegen den Klimawandel. All den Ärger von Politikern über die Schulschwänzer. Einen Generationenkonflikt.

Dass sich Greta Thunberg mit ihren blauen Laufschuhen, dem lila Anorak und den geflochtenen Zöpfen fast unbemerkt durch die Schülermenge zwängen kann, das war genauso geplant.

Rund 40 Menschen haben sich in einem weiten Kreis um sie aufgereiht, sie beantworten keine Reporter-Fragen, tragen weiße Bänder an den Oberarmen. Sie sollen Greta vor den Journalisten abschirmen. Die Bilder von der Ikone des Klimastreiks sollen zwar in die Welt. Aber all der Trubel soll nicht unkontrolliert über die 16-Jährige hereinbrechen.

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Greta Thunberg flüstert die Parolen mit

Jetzt klicken die Fotoapparate, hopsen Grundschulkinder auf und ab. Die kleine Greta Thunberg stellt sich auf die Zehenspitzen, streckt ihren Kopf über das riesige Banner vor ihr. Jemand brüllt in ein Megafon: „What do we want?“ (Was wollen wir?) Die Antwort prallt gegen die Häuserwände, hallt in den Straßen wieder: „Climate justice!“ (Klimagerechtigkeit!) Greta Thunberg flüstert die Parolen mit.

Mehr als 20.000 Schüler sind nach Polizeiangaben am Freitag in Berlin für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen. Die Veranstalter sprachen von mehr als 25.000. Deutschlandweit wurde in vielen Großstädten demonstriert. In der Hauptstadt war es der 15. Freitag in Folge, an dem Schüler nicht in die Schule, sondern auf die Straßen gingen.

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    Vor 32 Wochen begannen die Schulstreiks fürs Klima

    Greta Thunberg brachte das alles vor 32 Wochen ins Rollen. Es war der erste Schultag nach dem Dürresommer in Schweden, als sie ein Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för klimatet“ („Schulstreik für das Klima“) vor den Stockholmer Reichstag trug – und die Schule schwänzte.

    Daraus ist inzwischen eine weltweite Protestbewegung geworden. Vor zwei Wochen gab es Kundgebungen in mehr als 1000 Städten und über 100 Ländern. Mehr als 12.000 Wissenschaftler haben sich als „Scientists for Future“ hinter die Schüler gestellt. Greta Thunberg ist zur Schwedin des Jahres gekürt worden, am Sasmstag erhält sie von der Funke-Mediengruppe, zu der auch unsere Redaktion gehört, die Goldene Kamera. Sie ist für den Friedensnobelpreis nominiert.

    Ikone einer ganzen Generation

    Greta Thunberg ist innerhalb weniger Wochen zur Ikone einer ganzen Generation geworden. Und beobachtet man die 16-Jährige am Freitag in Berlin, wie sie entschlossen und verschüchtert zu gleich in hunderte Kameras blickt, man fragt sich: Ist das noch gut? Für Greta? Für die Klimabewegung? Und schaffen es ein paar Dutzend Schüler aus Berlin, einen derartigen Rummel zu bewältigen?

    Mittwochabend in einer Lagerhalle in Berlin-Kreuzberg. Aus Musikboxen dröhnt ein Rap-Song. „Hurra, diese Welt geht unter“. An die 30 Jugendliche haben sich um ein beiges Leinenbanner auf dem Boden versammelt: eineinhalb Meter hoch, sieben Meter lang. Wie jeden Mittwoch vor der Demo haben die Organisatoren zum „Art-Space“ geladen. Hier werden die bunten Pappbanner bemalt, werden Sprüche wie „Kürbisse statt Kohle“ oder „Make earth great again“ erdacht.

    Famke Hembus, eine 15-Jährige Schülerin aus Berlin-Schöneberg, ruft alle um das große Banner zusammen. „Wir brauchen ein cooles Zitat von Greta“, sagt Hembus. Sofort prasseln die Ideen auf sie ein. „Greta-Zitate sind halt sau lang“, sagt jemand. Dann wird das Banner ausgemessen. Und abgestimmt.

    Der Klimastreik, das ist nicht nur Greta

    Fragt man unter den Jugendlichen hier, was ihnen der Besuch von Greta Thunberg bedeutet, man hört vor allem Zurückhaltung. Mehrfach fällt das Wort Personenkult. Emil (17): „Das ist nicht gut, wir haben das alles gemeinsam auf die Beine gestellt.“ Famke (15): „Sie ist schon ein Vorbild für mich“. Sofia (18): „Es geht vor allem darum, dass sie sicher und in Ruhe mit uns zusammen demonstrieren kann.“ Die Botschaft ist klar: Der Klimastreik, das ist nicht nur Greta, das sind sie alle.

    Wer glaubt, dass die Schüler naiv oder unorganisiert sind, dass es ihnen vor allem darum geht, einmal die Woche die Schule zu schwänzen, der sollte ihnen einmal zuhören – und sich erklären lassen, wie der Protest am Freitag organisiert wird.

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    Luisa Neubauer, das Gesicht der Klimaproteste in Deutschland, hat mindestens drei Assistenten, die sich um die vielen Presseanfragen kümmern.

    Über insgesamt fünf Whatsapp-Kanäle, Twitter, Instagram, Telegram mobilisieren die Jugendlichen die Demonstranten, organisieren ihre Treffen. Jeden Dienstag tagen mehrere Diskussionsgruppen im Berliner Greenpeace-Büro, dort kommen alle Ideen in einem Plenum zusammen.

    Für diese Woche haben sie wegen des Besuchs aus Schweden ein extra Treffen anberaumt. Das leitet eine Greenpeace-Mitarbeiterin. Sie hat Aktivisten aus ganz Deutschland eingeladen. Jene, die am Freitag die Schutzkette um Greta Thunberg bilden werden, wurden handverlesen. Das seien Leute, denen man traut.

    Die Europawahlen im Mai sollen Klimawahlen werden

    Um Punkt 10 Uhr am Freitag ist es so weit. Die ersten Redner betreten die Bühne im Invalidenpark. Eine Schülerin aus Polen ist angereist, Jugendliche aus der Schweiz sprechen zu den Demonstranten, ein Brite spricht von der Verantwortungslosigkeit der Politik.

    Auch die internationale Besetzung folgt einer Idee. „Wir werden die Europawahlen im Mai zu Klimawahlen machen“, sagt Luisa Neubauer. Und: „Nicht eine einzige unserer Stimmen wird an eine Partei gehen, die sich nicht um unsere Zukunft kümmert.“

    Zum Auftakt der Demonstration wiederholt Neubauer die Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung. Die sind so einfach wie unerreicht: Haltet das Klimaabkommen von Paris ein, die Klimaziele, zu denen sich auch Deutschland 2015 verpflichtet hat. Bis jetzt schafft das kein einziges europäisches Land. Kohleausstieg, Verkehrswende. Das sind die Schlagwörter der Klimademonstranten. „Wir werden erst aufhören zu protestieren, bis die Politik wirklich anfängt zu handeln“, sagt Neubauer.

    Während sie vor der Menge im Invalidenpark spricht, gelangen einige rechte Demonstranten auf das Gelände. Sie tragen Plakate, die mit einer Titelseite des neu-rechten Magazins „Compact“ bedruckt sind. Darauf die Aufschrift: „Greta nervt“. Sofort werden sie von einer Gruppe Klimaschützer umzingelt, ein Mann mit einer Antifa-Fahne ruft: „Nazis raus!“ Dann gehen gut zwanzig Polizisten dazwischen.

    Zwischenfall in Jena: Mann greift 17-jährigen Redner an

    Das solche Konfrontationen eskalieren können, zeigt ein Vorfall in Jena. Ein 36-Jähriger hat am Freitag laut Polizei einem 17-jährigen Redner das Mikrofon aus der Hand gerissen und ihm ins Gesicht geschlagen. Danach habe er auf mehrere Jugendliche, die dazwischengingen, eingeprügelt. Der Polizei gegenüber soll der Mann angegeben haben, von der lauten Versammlung genervt gewesen zu sein.

    Für die Sicherheitsvorkehrungen um Greta Thunberg in Berlin gibt es also Gründe. Auch Gretas Asperger-Diagnose – eine leichte Form von Autismus – ist so einer. Sie reagiere sensibel, wenn das Gedränge, der Krach ihr zu Nahe komme, so sagen es die Veranstalter. Auch davor soll sie die Schutzkette bewahren.

    Und dann huscht ein Lächeln über Gretas Gesicht

    Als das Startsignal durch ein Megafon verkündet wird, huscht ein Lächeln über Greta Thunbergs Gesicht. Sie hat gerade ihre Worte auf dem Front-Banner gelesen. Es ist jener Satz, den die Berliner Jugendlichen am Mittwoch in der Kreuzberger Lagerhalle darauf gemalt haben. „Our house is on fire“, steht da. Greta Thunberg hat den Satz im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt. Es war Teil eines Appells an die Weltpolitik. Sie sagte: „Ich will, dass ihr handelt, wie ihr das in der Krise machen würdet. Ich will das ihr handelt, als ob das Haus brennt. Denn das tut es.“

    Laut dem Jugend- und Protestforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance in Berlin, sind es solche Sätze, die Greta Thunberg zur Ikone gemacht haben: Ihre Fähigkeit, friedlich, stur und klar zu handeln und zu sprechen. Dass die Klimabewegung eine solche Figur hat, ist laut Hurrelmann von großem Vorteil. „Der Inhalt muss sich irgendwie in einer Person widerspiegeln“, sagt der Soziologe.

    Mit etwa einer Stunde Verspätung, erreicht der Protestzug am Freitag das Brandenburger Tor. Greta Thunberg betritt als letzte Rednerin das Podium. Kreischen. Applaus. „Greta! Greta!“

    Sie spricht leise, bestimmt, kurz. „Die älteren Generationen haben es nicht geschafft, die größte Krise der Menschheit zu meistern“, sagt sie. „Wir wollen eine Zukunft, ist das zu viel verlangt?“ Sie bedankt sich bei den Demonstranten. Und sagt: „Das ist erst der Anfang vom Anfang.“

    Greta Thunberg wird bis Sonntag in Berlin bleiben. Die Umweltaktivistin wird am Samstag mit dem Sonderpreis „Klimaschutz“ der Goldenen Kamera geehrt. Die Gala zur Verleihung der Goldenen Kamera, die von der Funke Mediengruppe veranstaltet wird, zu der auch unsere Redaktion gehört, wird 2019 besonders. So wird etwa die Band Westlife ihr Deutschland-Comeback bei der Verleihung feiern.

    Hintergrund: Die Goldene Kamera – Was sie 2019 so besonders macht