Washington. Ohne Moderator, aber doch mit besonderen Momenten: Bei der Oscar-Verleihung gab’s überschwänglichen Jubel und ehrliche Freudentränen.
Die weißgraue Mähne von Brian May war das Erste, was man sah. Der Gitarrist der Rockband Queen gab mit den im kollektiven Gedächtnis eingravierten Riffs von „We Will Rock You“ und danach „We Are The Champions“ live den Ton des mit Erwartungen und Befürchtungen überfrachteten Abends vor. Aber haben die 91. Oscars wirklich gerockt? Und waren Hollywoods Stars wirklich die unübertroffenen Meister?
Als Julia Roberts in pinkestem Pink 3 Stunden und 15 Minuten später mit „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ den besten Film des Jahres 2018 ausrief, gingen die Meinungen darüber weit auseinander. Die wahre Geschichte vom schwarzen Jazz-Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali), der sich von einem weißen, latent rassistisch grundierten Taxifahrer (Viggo Mortensen) zu Lynch-Zeiten durch den rassistischen Süden der USA kutschieren lässt, ist sentimentales Taschentuch-Kino.
In den USA wird der Film wegen vieler Stereotypen extrem kontrovers diskutiert. Auch wenn Regisseur Peter Farrelly erklärte, der Film handele nur davon, wie „Liebe“ die Unterschiede zwischen den Menschen überbrücken könne.
Apropos überbrücken: Weil die „Academy of Motion Pictures Arts and Sciences“ den ausgeguckten schwarzen Komiker Kevin Hart wegen schwulenfeindlicher Sprüche aus grauer Vorzeit abservierte und niemand kurzfristig einspringen wollte, ging die prestigeträchtigste Leistungsshow des Filmgewerbes zum ersten Mal seit 30 Jahren ohne Durch-den-Abend-Führer (oder Führerin) über die Bühne.
Der Oscar-Gala fehlte der Moderator
Ein Manko, das die Produzenten der Show, die vor zwanzig Jahren 58 Millionen Amerikaner vor den Fernseher lockte (im vergangenen Jahr waren es nur noch 26 Millionen), nie wirklich wettmachen konnten. Nicht durch reizende Preis-Ansager-Pärchen wie Daniel Craig/Charlize Theron oder die „Wayne’s World“-Spaßvögel Mike Myers und Dana Carvey. Nicht durch musikalische Einlagen: Jennifer Hudson und danach ein großes Orchester mit Star-Dirigent Gustavo Dudamel.
Nicht durch eine gestraffte Regie, die dafür sorgte, dass Show-Laufzeiten von vier Stunden und mehr wie in der Vergangenheit den Zuschauern im Dolby Theatre von Hollywood und daheim erspart blieben. Auch nicht durch teilweise überraschende Entscheidungen in der Frage, wem die kleinen Gold-Statuetten zuteil werden sollen. Und wem nicht.
Mehr als einmal hätte man sich sehnlich gewünscht, dass ein Mann vom Kaliber eines Billy Crystal (neunmaliger Zeremonienmeister) unerwartet aus der Kulisse springt und die strukturell bedingt ermüdende Nummern-Revue theatralischer Selbstbeweihräuchrung durch dosierten Spott aus der Vogelperspektive verdaulicher macht. Ohne dabei aggressiv die Hand zu beißen, die ihm das Honorar zahlt; die „Academy“. Ohne Moderator fehlte den Oscars die Korsettstange, die alles zusammenhält. Und Lacher garantiert. Oder Fremdschämen.
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Samuel L. Jackson nahm Spike Lee auf den Arm
In Abwesenheit inszenierter oder spontaner Skandale oder Momente, an die man sich auch noch in 48 Stunden gerne erinnert, darf darum schon jetzt die Szene als außerordentlich gelten, als Samuel L. Jackson Regisseur-Legende Spike Lee wie ein jubelndes Baby auf den Arm nahm – leider nur für das beste adaptierte Drehbuch im großartigen Film „BlacKkKlansman“.
Lee, in posthumer Verehrung für den verstorbenen Pop-Star Prince ganz in Lila gewandet, erinnerte in seiner Rede an die Sklaven-Vergangenheit Amerikas und seiner Vorfahren. Man müsse von ihnen lernen, sagt der kleine Mann aus Brooklyn, „dann erlangen wir unsere Menschlichkeit wieder“. Mit Hinweis auf die 2020 nahenden Präsidentschaftswahlen propagierte der 61-Jährige in Anlehnung an einen seiner Klassiker: „Lasst uns das Richtige tun – Liebe statt Hass.“
Mehrere Seitenhiebe auf US-Präsident Donald Trump
Was nicht der einzige Seitenhieb auf den in Hollywood verhassten Mann im Weißen Haus blieb. Bereits bei der Eröffnung verkündete Maya Rudolph (aus „Brautalarm“) kategorisch, dass „Mexiko nicht für die Mauer bezahlen wird“. Javier Bardem („No Country For Old Men“) hielt seine Ansage vor dem besten fremdsprachigen Film auf Spanisch und betonte demonstrativ, dass es für Talente keine Grenzen gebe.
Apropos Talente: Die Abräumer dieser Oscar-Nacht waren das Freddy-Mercury-Biopic „Bohemian Rhapsdody“ (vier Oscars). Wobei Rami Malek als Queen-Frontmann Mercury die Auszeichnung als bester Hauptdarsteller mit nach Hause nahm und von einem „monumentalen Moment“ sprach. „Roma“, „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ und „Black Panther“ kamen auf jeweils drei Preise.
Mahershala Ali gewinnt den zweiten Oscar
Zu den Besonderheiten, die nicht untergehen dürfen, gehört: Zum ersten Mal gingen Oscars an mehr als eine/n schwarze/n Filmschaffende/n. Mit Mahershala Ali („Green Book“) gewann ein schwarzer Schauspieler zum ersten Mal den zweiten Oscar in der gleichen Kategorie (beste Nebenrolle – wie 2017 für „Moonlight“). Mit „Roma“ hat zum ersten Mal ein Werk aus Mexiko den Auslands-Oscar geholt.
Und die großartige Glenn Close blieb auch bei ihrer achten (!) Nominierung unberücksichtigt und wurde wieder nicht beste Hauptdarstellerin. Was trotz ihrer starken Rolle in „Die Frau des Nobelpreisträgers“ am Ende in Ordnung ging. Die Britin Olivia Colman, die in „The Favourite“ eine hochgradig wunderlich-irre Königin gibt, war einfach zu köstlich.
Lady Gaga trug 30-Millionen-Dollar-Diamanten
Zu den Überraschungen des Abends zählten die Nasenstüber für vermeintliche Top-Favoriten. „A Star Is Born“ holte nur den Preis für den (von Bradley Cooper und Lady Gaga sehr live und sehr intim aufgeführten) Titelsong „Shallow“. Wobei die Gaga viele Aaaahs und Oooohs auslöste, trug sie doch einen Leih-Diamanten von Tiffany um den Hals (30 Millionen Dollar wert), der zuletzt vor über 50 Jahren von Audrey Hepburn spazieren getragen wurde.
http://Oscars_2019-_Das_sind_die_besten_Kleider
„Vice – Der zweite Mann“ schließlich, die nachträgliche Abrechnung mit Schlimmfinger-Vizepräsident Dick Cheney (Christian Bale), kam lediglich in der Nebenkategorie Make-up/Maske zum Zug.
Der heimliche Superstar des Oscar-Abends: Mexiko
Womit man bei dem heimlichen Superstar des Abends angelangt wäre: Mexiko. Alfonso Cuarón hat mit „Roma“, einem in Schwarz-Weiß gedrehten, sehr ruhigen Sozialmilieu-Stück aus dem Mexiko der 70er Jahre, eine neue Dimension eröffnet. Der Film entstammt nicht einem der großen US-Studios. Sondern dem Streaming-Koloss Netflix, der eben jenen Studios mit Eigen-Produktionen den Kampf angesagt hat.
Mit Cuaróns Preisen (darunter den für den besten Regisseur und die beste Kamera) hat das bei Präsident Donald Trump bekanntermaßen nicht in sonderlich hohem Kurs stehende Nachbarland im Süden Geschichte geschrieben. Mit Alejandro Gonzalez Innaritu, Guillermo del Toro und Alfonso Cuarón sind von den letzten sechs Oscar-Rennen um den „besten Regisseur“ fünf von Mexikanern gewonnen worden. Darum die Mauer, Donald Trump?
Eine der schönsten Dankesreden hielt Schauspielerin Regina King
Zu den schönsten Dankes-Elogen gehörte die ganz am Anfang: Regina King, beste Nebendarstellerin. Sie spielt in dem herzzerreißenden afro-amerikanischen Liebes-Drama „If Beale Street Could Talk“ (nach einem Buch von James Baldwin – ab 7. März in deutschen Kinos, sehr zu empfehlen) eine unbeirrbar von Liebe geleitete Mutter, die ihrer Tochter in schwerer Zeit von Schwangerschaft und irregulär inhaftiertem Mann zur Seite steht.
King weinte authentische Freudestränen und verabschiedete sich mit einem schlichten Satz: „Gott ist gut – überall.“
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