Kairo. Technisches Versagen wird nicht ausgeschlossen. Ein Anschlag aber ist wahrscheinlicher.

Unsere Leserin Angelika Kühn aus Helmstedt fragt:

Warum denkt man sofort wieder an einen Anschlag? Unfälle passieren immer wieder ...

Die Antwort recherchierten Martin Gehlen und Dirk Breyvogel

Natürlich muss man der Leserin beipflichten: Es gibt bei Flugzeugunglücken keinen Automatismus. Unglücke kommen immer wieder vor. Und wer dachte vor der Germanwings-Katastrophe in den französischen Alpen im März 2015 daran, ein psychisch kranker Pilot könnte aus eigener Todessehnsucht heraus, eine Maschine zum Absturz bringen? Aber auch das hatte es zuvor schon gegeben.

Im Falle der nun vermissten „Egyptair“-Maschine musste man zwangsläufig aufhorchen. Start des Fluges MS 804 war Paris, die von mehreren islamistischen Terrorattacken gebeutelte französische Hauptstadt. Ziel war Kairo, die ägyptische Hauptstadt.

Ägypten hat einen sehr schlechten Ruf, wenn es darum geht, eigene Fehler oder Versäumnisse einzuräumen sowie Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. So weigert sich Kairo nach wie vor, den Absturz des russischen Ferienfliegers im letzten Oktober, der auf dem Weg von Sharm al-Sheikh nach St. Petersburg über dem Nordsinai explodierte, offiziell als Terroranschlag einzustufen und damit schwere Lücken bei der eigenen Flughafensicherheit zuzugeben.

Damals weigerten sich die ägyptischen Offiziellen sogar, das Wort Terroranschlag im Zusammenhang mit dem Absturz überhaupt in den Mund zu nehmen. Der IS, der auch auf dem Sinai organisiert ist, hatte in einem Artikel in ihrem Propagandamagazin „Dabiq“ behauptet, die Bombe sei in einer Getränkedose an Bord geschmuggelt worden. Russland und Großbritannien stoppten nach dem Unglück, bei dem 224 Urlauber starben, ihren Charterverkehr in die ägyptischen Baderegionen am Roten Meer. Sie haben ihn bis jetzt, acht Monate später, nicht wieder aufgenommen, weil die Behörden in London und Moskau mit den Sicherheitsprozeduren auf den ägyptischen Flughäfen nach wie vor unzufrieden sind.

Noch Ende März 2016 entführte ein Ägypter, der mit der Attrappe eines Selbstmordgürtels an Bord gelangt war, eine Egyptair-Maschine auf einem Inlandsflug nach Zypern. Der Mann, den Passagiere als geistig verwirrt beschrieben, sitzt in Haft.

„Wir sind sehr bewegt und traurig“, erklärte Ägyptens Verkehrsminister Sherif Fath, gestern während draußen vor der Küste Flugzeuge und Schiffe aus Ägypten, Griechenland und Frankreich erste größere Wrackteile der abgestürzten Egyptair-Maschine orteten. Seine Regierung schließe keine Hypothese aus, versicherte Fathy, weder ein technisches Versagen, noch einen Terroranschlag, den er aber als die wahrscheinlichere Ursache bezeichnete. „Wir werden nicht leichtfertig und voreilig herumreden“, erklärte er. Der Minister versprach ein „absolut professionelles Verhalten“ und sagte Angehörigen Hilfe zu.

Doch solange die Flugschreiber nicht gefunden sind, bleibt vieles rätselhaft an dem Absturz über dem Mittelmeer. Eines jedoch wissen die Verantwortlichen in Kairo: Ihr Land kann nichts schlechter gebrauchen, als eine neue Debatte über Terrorgefahr in Ägypten. Die Egyptair-Unglücksmaschine, ein 13 Jahre alter Airbus 320, war am Mittwochabend um 23.21 Uhr auf dem Charles-de-Gaulle Flughafen in Paris gestartet. An Bord: 56 Passagiere, darunter 30 Ägypter, 15 Franzosen und elf Bürger anderer Nationen plus sieben Besatzungsmitglieder und drei Sicherheitsleute.

Nach Angaben der Fluggesellschaft verschwand die Maschine gegen 2.30 Uhr früh plötzlich von den Radarschirmen, 45 Minuten vor der geplanten Landung in Kairo. Der Unglücksort liege rund 280 Kilometer von der ägyptischen Küste entfernt, hieß es in der Mitteilung. Wie Fotos von Wettersatelliten zeigten, herrschte in der Region wolkenloser Himmel. Der Jet befand sich auf seiner Reiseflughöhe von rund 11 000 Metern.

Frankreich und Ägypten richteten Krisenstäbe ein, die Präsidenten François Hollande und Abdel Fattah al-Sissi telefonierten miteinander. Die ägyptische Seite hatte zunächst gemeldet, die Piloten hätten Minuten vor dem Absturz ein Notsignal gesendet, eine Information, die später dementiert wurde. Bewohner der griechischen Insel Karpathos wollen einen Feuerball gesehen haben. Im Internet kursierte ein 17 Sekunden langes Video, das angeblich ein brennendes Flugzeug am Nachthimmel zeigt. Die Echtheit ist nicht bestätigt.

Das griechische Verteidigungsministerium meldete, die Maschine mit der Flugnummer MS-804 habe zunächst eine 90-Grad-Kehre nach links gemacht, sich dann einmal um die eigene Achse gedreht, bevor sie rapide an Höhe verlor. Eine plötzliche Katastrophe an Bord, die den Piloten selbst für einen Notruf keine Zeit mehr ließ, nährt Spekulationen über einen Terroranschlag.

Frankreich und Ägypten standen in den letzten Jahren im Fokus von Al-Kaida und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Im Januar 2015 starben in Paris bei Anschlägen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt 17 Menschen. Im November massakrierten IS-Anhänger 130 Besucher in einem Konzerthaus und in mehreren Straßencafés.

In Ägypten kamen bisher über 700 Polizisten und Soldaten bei Anschlägen ums Leben, die meisten im Nordsinai, Dutzende aber auch in Kairo. Im Juni 2015 konnte auf dem Gelände des Karnak-Tempels in Luxor ein Massaker an Touristen in letzter Minute verhindert werden. Allein für die ersten drei Monate 2016 registrierte das Tahrir Institute for Middle East Politics 210 Terroranschläge im ganzen Land.

Egyptair genießt in der Luftfahrtbranche einen guten Ruf. Die ägyptische Fluggesellschaft ist Mitglied der Star Alliance, zu der auch die Lufthansa und Austrian Airlines gehören. Die beiden Piloten der nun abgestürzten Maschine waren sehr erfahren, der 36-jährige Kapitän hatte 6275 Flugstunden, davon 2101 auf dem Airbus 320, der Copilot 2766 Flugstunden.

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