Remlingen. Bundesministerin Steffi Lemke stellt sich bei ihrem Asse-Besuch hinter den Kurs der BGE. Das Zwischenlager soll an der Asse entstehen.

Ganz plötzlich und pünktlich stand sie mitten auf der Straße vor dem Betriebsgelände der Asse, und die Bundesumweltministerin war sofort von Mikrofonen und Kameras umringt. „Der Bedarf zum Austausch ist sehr groß“, sagte also Steffi Lemke. Sie sei gekommen, um sich die Sorgen und Nöte in der Region anzuhören.

Gekommen war die Ministerin, lange nach ihrem Amtsantritt und erst auf erheblichen Druck, aber wohl auch, um die Erwartungen in der Region niedrig zu halten. „Ich habe kein alternatives Zwischenlager im Gepäck“, verkündete die Grünen-Politikerin schon vor Beginn ihrer offiziellen Besichtigungstour. Denn das ist das Thema, das viele am meisten umtreibt. Den Fragen von Asse-Initiativen und Bürgern stellte sich Lemke immerhin zweimal: ganz am Anfang beim Eintreffen vor dem Tor und dann für eine Stunde nachmittags im Dorfgemeinschaftshaus von Remlingen.

Die Erwartungen an den Besuch der Bundesumweltministerin waren gering, und das liegt wahrlich nicht nur an Lemke. Die Politik hat beim Thema Endlagerung wenig vorzuweisen: Asse II gilt als aus dem Ruder gelaufene Atom-Müllkippe aus grauer Vorzeit. Das genehmigte Endlager „Konrad“ Salzgitter für schwach- und mittelaktive Abfälle wird mittlerweile von Niedersachsens rot-grüner Landesregierung offen in Frage gestellt. 2018, als der damalige SPD-Umweltminister Olaf Lies „Konrad“ besuchte, klang das noch ganz anders. Für die nationale Suche nach dem „großen Endlager“ schließlich musste die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) gerade jahrzehntelange Verzögerungen im Zeitplan verkünden. Vertrauen schafft all das nicht. Viele erinnerten sich am Donnerstag beim Lemke-Besuch auch an die Riege der Bundesminister, die bereits zur Asse gekommen waren.

Dort stellen sich gleich mehrere große Fragen. Die wichtigste: Wird der in der Asse eingelagerte oder einfach abgekippte Müll angesichts der immensen Schwierigkeiten überhaupt geborgen? So lautet zwar der gesetzliche Auftrag, doch der lässt bei Sicherheitsbedenken Hintertüren. Die Bergung kann dann abgebrochen werden. Die nächste Frage: Wo soll das große „Zwischenlager“ hin, in dem der Müll nach seiner Bergung bis zur Endlagerung bleiben soll? Man könnte ergänzen: wenn überhaupt ein Endlager gefunden wird. In der Bevölkerung gibt es allerdings nicht nur Befürchtungen, dass ein Zwischenlager an der Asse faktisch zum Endlager werden könnte. Es gibt auch den hässlichen Verdacht, dass auch anderer als nur „Asse-Müll“ in das Zwischenlager gepackt werden könnte. Das schloss Lemke am Donnerstag klar aus.

04.05.2023, Niedersachsen, Remlingen: Steffi Lemke (Grüne), Bundesumweltministerin, und Thomas Lautsch, technischer Geschäftsführer der Bundesgesellschaft für Endlagerung BGE, stehen unter Tage neben einem Fräskopf im Atommüllager Asse im Landkreis Wolfenbüttel.
04.05.2023, Niedersachsen, Remlingen: Steffi Lemke (Grüne), Bundesumweltministerin, und Thomas Lautsch, technischer Geschäftsführer der Bundesgesellschaft für Endlagerung BGE, stehen unter Tage neben einem Fräskopf im Atommüllager Asse im Landkreis Wolfenbüttel. © dpa | Julian Stratenschulte

Zwischenlager vor Ort der „sicherste Weg“

Die Asse-Betreiber, vor der BGE das Bundesamt für Strahlenschutz, wollen das Zwischenlage unmittelbar an der Asse. Die Weichen wurden bereits vor rund einem Jahrzehnt in einem „Kriterienbericht“ gestellt. „Gemäß dem Kriterienbericht sollen zunächst nur potenzielle Standortflächen betrachtet werden, die im unmittelbaren Umfeld des Betriebsgeländes der Schachtanlage Asse II liegen bzw. sich in sinnvoller Weise mit diesem verbinden lassen“, heißt es denn auch beim Nachfolger BGE. Der technische Geschäftsführer der BGE, Thomas Lautsch, nannte ein Zwischenlager vor Ort bei der zunächst übertägigen Besichtigungstour mit Ministerin Lemke knapp den „sichersten Weg“.

Die Asse-Gruppen wie „Aufpassen“ von Heike Wiegel dagegen finden es schwer erträglich, dass keine alternativen Standorte erwogen wurden – ganz grundsätzlich, aber auch wegen der Nähe eines Asse-nahen Zwischenlagers zu umliegenden Dörfern. Die Strahlenbelastung für die Bevölkerung nehme ab einer Entfernung von vier Kilometern deutlich ab, sagt Wiegel zwei Tage vor dem Termin mit Lemke am Telefon. In einem offenen Brief des Asse-II-Koordinationskreises um Andreas Riekeberg heißt es: „Remlingen, Wittmar, Mönchevahlberg, Groß und Klein Vahlberg – tausende Menschen wohnen in den Orten an der Asse. In teils nur 1-2 Kilometer Entfernung plant die Bundesgesellschaft für Endlagerung eine riesige Anlage zur Atommüll-Verarbeitung und ein Atommüll-Lager zu errichten.“

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Was wird mit Fledermäusen?

Bergung, Konditionierung der Abfälle, Zwischenlagerung: Alle Risiken konzentrierten sich so nahe der Dörfer, heißt es seitens der Kritiker weiter. Sie führen auch Naturschutzaspekte ins Feld. Unter anderem würden rund 12 Fledermausarten durch die großen Erweiterungsbauten gestört, und das in einem Schutzgebiet. Beim Besichtigen der für das Zwischenlager auserkorenen Fläche, „Kuhlager“ getauft“, sagte Samtgemeinde-Bürgermeister Dirk Neumann der Ministerin seinen Frust direkt ins Gesicht.

Lemke hatte allerdings schon bei ihrer Ankunft den Fokus geschickt auf die Bergung („Rückholung“) an sich gelenkt. Die habe Priorität. Vom Schutz des Grundwassers sprach sie, vom rückgängig machen alter Fehler. Auch dass Lemke an ihre eigenen früheren Protest gegen Castor-Transporte erinnerte, an ihren Einsatz für den Atomausstieg auch und gerade nach Amtsantritt, erhielt eine Botschaft an die Kritiker: Ich bin, was Anti-Atom angeht, eine von euch. Zweifel daran, dass sie bei den Asse-Erweiterungsbauten auf Recht und Gesetz achte, verbat sie sich beim ersten Zusammentreffen mit den Kritikern allerdings. Sie werde sich auch die Argumente der BGE anhören, sagte sie vor dem Asse-Eingang zum Reizthema Zwischenlager. Auch das war deutlich.

Ein Schild ·Zutritt für Unbefugte verboten· hängt im Atommülllager Asse im Landkreis Wolfenbüttel.
Ein Schild ·Zutritt für Unbefugte verboten· hängt im Atommülllager Asse im Landkreis Wolfenbüttel. © dpa | Julian Stratenschulte

Lemke nennt Umstände im Asse-Bergwerk „absolut inakzeptabel“

Wie groß die Herausforderungen der Bergung sind, ließ sich Lemke von der BGE-Führung ausführlich erläutern und unter Tage dann auch zeigen. „Absolut inakzeptabel“ nannte die Ministerin die schwierigen Umstände im Bergwerk.

Dort muss unter anderem seit langem Wasserzutritt gemanagt werden. Lemke konnte dank Problemen mit einer Auffang-Folie sogar eine „Pfütze“ präsentiert werden. Hintergrund der Probleme: Gebirgsbewegungen. Auch das unterstreicht die Dramatik.

Als größtes Problem bezeichnete Lautsch allerdings das Thema Bergungstechnik. Es gebe für das Herausholen des Mülls keine Blaupause, sagte er weiter. „Frühestens in den frühen 2030er Jahren könnten die ersten Abfälle geborgen werden, wenn dann ein Zwischenlager zur Verfügung steht“, heißt es in einem BGE-Factsheet zum Lemke-Besuch. Auch das ist deutlich: Für ein Aufrollen der Zwischenlager-Frage ist laut BGE keine Zeit. Und auch keine Notwendigkeit. „War doch klar“, sagte ein Anwohner in einer Nebenstraße, der vor der Diskussion im Dorfgemeinschaftshaus mit Lemke schon mal dort vorbeigeschaut hatte.

Auch dort stellte Lemke das Bergen des Mülls als Ziel in den Mittelpunkt. „Das bleibt für mich das Wichtigste“, sagte sie. Der kritisierte Prozess habe einen langen Vorlauf, sagte sie weiter. Das soll wohl heißen: Ich kann zu Details und früheren Entscheidungen nichts sagen. Sie habe sich sehr wohl bereits vor ihrem Besuch mit dem Thema beschäftigt, betonte Lemke. Doch ihr Versuch auch hier, über das Thema Atomausstieg zu punkten, ging nicht auf. Wolfenbüttels Landrätin Christiana Steinbrügge (SPD) forderte erneut einen Zwischenlager-Standortvergleich. Zwischenlager könnten auch Angriffsziele werden, warnte Steinbrügge mit Blick auf den Ukraine-Krieg. „Wir brauchen die Bereitschaft, die Standortfrage noch einmal ergebnisoffen zu prüfen“, so die Landrätin. „Sie müssen die Richtung vorgeben“, mahnte ein Teilnehmer der Versammlung die Ministerin zu mehr Engagement. Die entgegnete, sie arbeite eher im Hintergrund. Lemke machte auch klar, dass sie ein Zwischenlager an der Asse befürworte, wenn so der Müll geborgen werden könne. Hinweise über die mögliche Eignung einer nahen Bundeswehr-Fläche, die in der Versammlung kamen, wolle sie aber nachgehen. „Ich verstecke mich hinter niemanden“, konterte Lemke Vorwürfe mangelnder Präsenz in Sachen Asse. Ihre Redeanteile in der Veranstaltung waren gering.

„Frust abgeladen“

Mit zunehmender Dauer der Diskussion wurde der Frust im Gemeinschaftshaus größer. Sie verstehe durchaus, dass Vertrauen zerstört sei, sagte Lemke am Ende. Ihr sei auch klar, dass die Situation für die Region „ungerecht“ sei. Um den gescheiterten Dialog und Begleitprozess wieder in Gang zu bringen, zeigte sich die Ministerin für eine „Mediation“ offen. „Sie haben jetzt sehr viel Frust bei mir abgeladen“, sagte die Grüne weiter. Das sei auch ok. Bedingungen für einen neuen „Begleitprozess“ mit der Region, insbesondere das Aufrollen der Zwischenlagerfrage, wollte die Bundesministerin aber nicht akzeptieren. So blieb am Ende zwar die Aussicht auf einen weiteren Dialog. Doch der bleibt schwierig.

Steffi Lemke hat sich am Donnerstag den Fragen der Bürger in der Region gestellt.
Steffi Lemke hat sich am Donnerstag den Fragen der Bürger in der Region gestellt. © dpa | Bernd von Jutrczenka

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