Hannover. Im Interview: Niedersachsens Finanzminister Gerald Heere (Grüne) zur bevorstehenden Steuerschätzung, Investitionen und Sparauflagen.

Ein Grüner mit starken Braunschweig-Verbindungen ist Finanzminister in der dritten Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Mit Gerald Heere sprach im Finanzministerium Michael Ahlers über Investitionen, Schulden und Heeres Vorliebe für Zahlen.

Herr Heere, Sie haben an der TU Braunschweig studiert, waren Landtagsabgeordneter für die Grünen und dann Büroleiter beim Bremer Finanzsenator. Und Sie haben nun den vielleicht zweitwichtigsten Posten in der niedersächsischen Landesregierung. Inklusive Aufsichtsratsvorsitz bei der Nord/LB. Denken Sie jeden Morgen an die vielen Fallstricke, die da lauern können?

Nein (lacht). Das Finanzministerium ist ein sehr gut aufgestelltes Haus. Natürlich gibt es Herausforderungen, über die man sich Gedanken macht. Aber es ist nicht so, dass man schweißgebadet aufwacht. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.

Früher hätten wir als erstes über Schulden und Kredite gesprochen, doch in Krisen ist der starke Staat gefragt. Rot-Grün hat versprochen, mit dem ersten eigenen Haushalt nach der Regierungsbildung die eigenen politische Schwerpunkte anzugehen. Dazu zählt eine höhere Eingangsbesoldung für Grund-, Haupt- und Realschullehrer nach A13. Wie viel kostet Sie das?

Das kostet eine dreistellige Millionensumme. Das hat ja auch Folgewirkungen, zum Beispiel für die Grundschulleitungen, die aktuell nach A13 besoldet werden. Die können ja nicht das Gleiche verdienen wie ihre Lehrkräfte. Das ist finanziell also eine langfristige Belastung, aber wir müssen ja auch ein Stück weit wettbewerbsfähig im Vergleich zu unseren Nachbarländern sein.

Was sind weitere Schwerpunkte im Haushalt 2024, die auf Sie als Finanzminister zukommen?

Das wird natürlich das gesamte Thema der Transformation sein, der Klimaschutz, der gesamte Bildungsbereich. Ein Stück sind wir abhängig von der Steuerschätzung im Mai. Im Moment sind wir sind in guten Gesprächen auf Arbeitsebene mit den Ressorts.

Was sagen die Indikatoren, in welche Richtung es bei der Steuerschätzung gehen wird?

(lacht) Auf meinem Schreibtisch steht eine Glaskugel von Dietmar Strehl (Finanzsenator Bremen, die Red.) Es gibt aber Vermutungen, dass es etwas besser laufen könnte als zunächst erwartet. Wir wären froh, wenn wir ein kleines Plus hätten.

Niedersachsen hat einen riesigen Investitionsstau. Ob Krankenhäuser, Brücken oder Straßen, es müssten Milliarden über Milliarden investiert werden. Sie wollen dazu Investitionsgesellschaften gründen, um den Landeshaushalt nicht mit Krediten zu belasten. Wieso ist es in Ordnung, über solche Investitionsgesellschaften Schulden zu machen, wenn die „Schuldenbremse“ das für den Landeshaushalt untersagt?

Eine Gegenfrage: Wieso ist es bei ÖPP (Öffentlich-Private Partnerschaft, die Red.) erlaubt, dass Dritte für das Land Schulden machen? Das ist ja im Prinzip das gleiche Modell. Alle Bemühungen, die Schuldenbremse zu reformieren, um Spielräume für Investitionen zu eröffnen, sind bisher gescheitert. Der Europäische Verschuldungsrahmen lässt das sogar zu, mit 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das steht in Deutschland aber mit 0,35 Prozent nur dem Bund zu. Und zu der Frage: Diese Gesellschaften müssen ein tragfähiges Geschäftsmodell haben, das die Tilgung der Kredite erwirtschaftet. Daran arbeiten wir.

Sie denken an zwei Gesellschaften…..

Die Landeswohnungsgesellschaft ist die eine, in Federführung des Wirtschaftsministeriums, und die Landesliegenschaftsgesellschaft in Bezug auf unsere landeseigenen Gebäude. Das ist der Kern. Auch die N-Bank könnte eine Rolle spielen, um Mittel Dritter nutzbar zu machen.

Der erste Nachtragshaushalt hatte einen Umfang von 2,9 Milliarden Euro für die Jahre 2022/2023. Mit dem zweiten Nachtrag kommen für 2023 zusätzliche Ausgaben von 776 Millionen Euro. Davon sind 472 Millionen für Geflüchtete und Kommunen. Erwarten Sie hier durch die Vorstöße der Ministerpräsidenten beim Bund noch finanzielle Verbesserungen?

Das wäre natürlich sehr wünschenswert. Im Moment, habe ich den Eindruck, geht es um Aufnahme und Unterbringung, aber noch nicht wirklich um Integration. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, natürlich auch unsere. Und es ist eine Riesenchance für den Arbeitsmarkt.

Der Bund sagt, er könne nicht immer mehr tun. Finanzminister Lindner sieht eine „Schieflage“…

Bei der Umsatzsteuer hat sich die Verteilung zwar Richtung Länder verändert, aber hinterlegt mit Aufgaben. Deshalb ist es mitnichten so, dass es einseitig in eine Richtung gegangen ist. Wichtig ist aber, dass man sich nicht verhärtet, sondern im Gespräch bleibt. Ein kleiner Hinweis an Bayern...

Dazu kommen wir noch. Lassen Sie uns noch einmal zurück zu den Ausgaben. Es gibt im Nachtrag auch Geld für zusätzliches Personal, zum Beispiel für eine „Taskforce Energiewende“. 12 Millionen Euro sollen für die Förderung von Sprach-Kitas bereitstehen, auch gut. Das klingt aber alles ein bisschen so, als stehe eine Gelddruckmaschine im Keller. Der Finanzausschuss des Landtags hat sich Kritik des Landesrechnungshofs zu eigen gemacht, wonach das Land seinen Personalhaushalt nicht nachhaltig genug gestalte. Früher gab es Zielvereinbarungen zum Stellenabbau beim Land. Ist diese Seite der Finanzpolitik komplett eingeschlafen? Und was ist mit Personaleinsparung durch Digitalisierung?

Aufgabenkritik ist immer wichtig. Ich glaube aber nicht, dass wir einen großen Erfolg erzielen, wenn irgendwo ein Sparkommissar herumläuft und sich alles anguckt. Das ist regierungsseitig eher eine Daueraufgabe. Auch die Ressorts spüren aber den Fachkräftemangel. Mehr Geld hilft da nichts, weil man die Leute nicht bekommt. Also muss man schauen, wo man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielleicht besser einsetzen kann. Digitalisierung: unbedingt! Da läuft schon viel, auch um Personal einzusparen. Dieses Personal werden wir aber an anderer Stelle benötigen. Daraus ein Abbauprogramm zu machen, das sehe ich auf keinen Fall.

Gibt es in der mittelfristigen Finanzplanung des Landes einen Sparpfad beim Personal?

Es gibt eine gewisse Konsolidierung, was die Kopfzahl angeht. Wir sind derzeit bei 138.600 Beschäftigungsvolumen, für 2026 sind 137.000 geplant, das ist eher eine Stagnation. Aber durch die Tarifsteigerungen steigen die Personalkosten.

Wir kennen es vom Sondervermögen des Bundes für die Bundeswehr: Sondervermögen klingt immer toll, bringt aber nichts, wenn kaum Mittel abfließen. Auch in Niedersachsen haben Sondervermögen mittlerweile Tradition: von Straßenbau über Unikliniken bis zu Corona. Wie viele gibt es eigentlich?

Anfang dieses Jahres hatte Niedersachsen 42 Sondervermögen mit Beständen von insgesamt knapp 10 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf das „Sondervermögen zur Bewältigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ mit rund 5,3 Milliarden Euro.

Das sind nicht gerade wenige… Ist es sinnvoll, meist kreditfinanzierte Milliarden zu parken, wenn woanders Geld fehlt?

Wir werden uns sehr darum bemühen, dass die Abflüsse besser werden. Die nächste Bestandsaufnahme machen wir im Rahmen der Haushaltsplanungen für 2024.

Das so selbstbewusste Bayern war einst ein armer Schlucker und bekam Geld aus dem Länderfinanzausgleich. Das ist lange Vergangenheit, sogar der Länderfinanzausgleich heißt mittlerweile anders. Niedersachsen aber zählt weiter zu den „armen“ Nehmerländern. Was läuft da falsch?

Die letzten Jahrzehnte waren wir Empfängerland, ja, aber pro Kopf gerechnet sind wir nur einer der kleineren Empfänger. So schlecht sind wir also nicht.

Bayern klagt gegen den Finanzausgleich, das Land will nicht fast 10 Milliarden einzahlen müssen. Solche Sorgen hat Niedersachsen nicht….

Wir sollten nach vorne schauen. Wir haben in Niedersachsen Struktur- und Rahmenbedingungen, die große Chancen bieten, gerade in Bezug auf erneuerbare Energien. Und bestimmte Industriebereiche werden möglicherweise sagen, sie wollen dorthin gehen, wo sie ganz sicher erneuerbare Energie bekommen.

Sie sind auch Aufsichtsratsvorsitzender der Nord-LB. Die Braunschweigische Landessparkasse, Teil der Nord-LB, hofft seit langem auf mehr Eigenständigkeit. Es gibt nun Berichte über sparkasseninterne Diskussionen, die BLSK aus der Nord-LB herauszulösen. Anschließend würden dann die sogenannten Fides-Gesellschaften des Sparkassensektors von der Nord-LB zur BLSK wandern. Hintergrund dieser Gesellschaften wiederum ist die damalige Milliarden-Rettungsaktion für die Nord/LB. Kann die BLSK unter einem Minister Heere hoffen?

Im Koalitionsvertrag steht, dass wir die Frage BLSK ergebnisoffen prüfen werden. Das war auch mir ein Anliegen. Die Frage ist ja aber, wer die BLSK tragen kann. Können die Kommunen das Geld aufbringen? Das Land oder gar die Nord-LB können das Geld dafür nicht noch mitgeben. Es müssen Dritte sein, die das bezahlen. Und es müsste ein Modell sein, das für beide Seiten funktioniert. Denkbar wäre ja auch eine Tochtergesellschaft der Nord-LB, die mehr Eigenständigkeit hat. Es ist in jedem Fall wichtig, anders als mein Vorgänger das Signal an die Region zu senden, dass wir diese Bestrebungen sehr ernst nehmen.

Nochmal zurück zu Ihnen: Sie haben sich an der TU Braunschweig unter anderem mit Internationalen Beziehungen befasst. Auf Ihrer Webseite bezeichnen Sie sich als „Zahlenverdreher“. Im Nebenfach haben Sie Informatik studiert. Woher kommt dieses Interesse?

Aus dem Studium, weil ich als Sozialwissenschaftler ganz viel mit Statistiken gearbeitet habe. Dadurch hat man einen Einblick, was Zahlen machen können, wie sie wirken können. Und ich habe mich viel mit Finanzpolitik beschäftigt, dem Welthandel, dem Weltfinanzsystem… Das hat sich natürlich ausgewirkt, als ich mich dann politisch engagiert habe. Im Rat von Braunschweig war ich haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, im Landtag dann auch. Das ist nicht so ein Thema, das bei den Grünen sehr in der Breite vertreten ist. Das ist einer der Gründe, warum ich dann bei der Finanzpolitik gelandet bin.

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