Braunschweig. Die Wut unter Pflegekräften und Ärzten ist groß. Fast 1900 haben in kurzer Zeit unterschrieben. Anlass ist der Streit über Notdienste bei Streiks.

Am Städtischen Klinikum herrscht seit vergangener Woche dicke Luft. Auslöser ist der Gang der Klinikum-Leitung vor das Arbeitsgericht im Zuge der Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Kopitzke-Roß formuliert es so: „Die Leute sind richtig zornig, richtig sauer auf die Geschäftsführung. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interpretieren es so, dass das Klinikum nicht Verdi verklagt hat, sondern die eigenen Mitarbeiter.“

Fast 1900 Beschäftigte – Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte – haben vor wenigen Tagen innerhalb von 24 Stunden auf einer Unterschriftenliste ihren Ärger kundgetan. Das Klinikum hat insgesamt knapp 4300 Beschäftigte. Die Streikleitung hat diese Unterschriftenliste und eine Petition an Oberbürgermeister Thorsten Kornblum und den Aufsichtsratsvorsitzenden des Klinikums, Ersten Stadtrat Christian Geiger, übergeben.

Das Problem: Es gibt keine Einigung über eine Notdienstvereinbarung am Braunschweiger Klinikum

Zum Hintergrund: Normalerweise treffen Krankenhäuser und die Gewerkschaften bei Streiks Notdienstvereinbarungen. Diese sollen die Versorgung der Patienten sicherstellen. Vor dem ersten Warnstreik am 15. März waren die Verhandlungen zwischen Klinikum und Verdi aber gescheitert – ein Ausnahmefall in Niedersachsen.

Das Klinikum hatte eine Notdienstvereinbarung mit einer Besetzung auf Wochenend-Niveau mit dem Hinweis abgelehnt, dass dadurch bei einem länger andauernden Streik die Versorgung dringlich zu behandelnder Patienten gefährdet würde. Die Beschäftigten hatten daraufhin am 15. März einseitig einen Notdienst auf Wochenend-Niveau geleistet, wie er auch an anderen Maximalversorgern bei Streik üblich ist. 5 der insgesamt 28 OP-Säle waren besetzt.

Klinikum setzt vor Gericht die Besetzung von 14 OP-Sälen durch

Vor dem dann folgenden zweitägigen Warnstreik am Mittwoch und Donnerstag vergangene Woche ist das Klinikum vor das Arbeitsgericht gezogen. Per einstweiliger Verfügung hat Klinikum-Geschäftsführer Dr. Andreas Goepfert dort erwirkt, dass an beiden Streiktagen die Hälfte aller Operationssäle (14 von 28) und die angeschlossenen Stationen besetzt und einsatzbereit sein mussten. Anders als von Verdi geplant, durften zudem Stationen auf der Urologie und Unfallchirurgie nicht komplett geschlossen werden. In den übrigen Krankenhaus-Bereichen war es möglich, die Kapazitäten auf Wochenend-Niveau herunterzufahren.

Laut Verdi entsprach die Besetzung von 14 OP-Sälen dem Dreifachen des Wochenendniveaus – eine Besetzung, die mit Notversorgung überhaupt nichts mehr zu tun habe.

Das Klinikum erläutert dazu auf Nachfrage unserer Redaktion: „Für die tägliche Versorgung von Notfällen und dringlichen Fällen sind 14 OP-Säle notwendig. Pro Tag rechnen wir mit cirka 60 bis 70 solcher Fälle insgesamt“, so Sprecherin Thu Trang Tran. „Diese müssen wir sicher versorgen können, da wir gesetzlich dazu verpflichtet sind. Das Patientenwohl steht an erster Stelle.“

Verdi: Wir hatten sogar angeboten, statt an zwei Tagen nur an einem Tag zu streiken

Gewerkschaftssekretär Bruno Gehrkens kritisiert, dass durch diese Entscheidung viele Beschäftigte an einer verantwortungsvollen Ausübung ihres Streikrechts gehindert worden seien. Man habe ihnen das Recht genommen, für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten. Was ihn zudem ärgert: Verdi habe vor Gericht angeboten, statt an zwei Tagen nur an einem Tag zu streiken und eine Notdienstversorgung wie am 15. März sicherzustellen. Ohne Erfolg. „Wir warten jetzt auf ein Angebot des Klinikums für weitere Notdienstverhandlungen.“ Zwar habe das Klinikum vergangene Woche ein Angebot zur OP-Besetzung gemacht, aber Verdi erwarte ein vollständiges Angebot für alle Bereiche.

Das Klinikum verweist jedoch auf Anfrage auf das vorgelegte Angebot: Man sei zuversichtlich, dass sich vor eventuellen neuen Streiks eine gute Lösung finden lasse.

Forderung in der Petition: „Keine faktischen Streikverbote am Klinikum“

Laut dem Betriebsratsvorsitzenden Bernd Kopitzke-Roß ist die Stimmung unter den Beschäftigten auf einem Tiefpunkt. „Der Anwalt des Klinikums hat uns vorgeworfen, wir würden unsere eigenen Interessen über die Gesundheit der Bürger in der Region stellen – das war nicht ohne“, sagt er. Die Stimmung in der Branche sei angesichts des Mangels an Pflegekräften ohnehin schon schlecht. Nach dem Frust über die Corona-Pflegeprämie sei nun ein weiterer Schlag hinzugekommen. „Solche Ereignisse können dazu führen, dass noch mehr Mitarbeiter das Haus verlassen.“

In ihrer Petition fordern die Beschäftigten von Oberbürgermeister Kornblum und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Geiger: „Weisen Sie die Geschäftsführung in die Schranken.“ Es dürfe keine faktischen Streikverbote geben. „Damit jede und jeder bei uns eine menschenwürdige und qualitativ hochwertige Versorgung erhält, benötigen wir ausreichend und vernünftig bezahltes Personal. Dafür sind wir bereit zu streiken.“

Stadtverwaltung: Gespräch mit Klinikum-Geschäftsführer über Notdienstvereinbarung

Auf die Anfrage unserer Redaktion, wie die Verwaltungsspitze auf die Petition reagiere, teilt Stadtsprecher Rainer Keunecke mit: Kornblum und Geiger seien sich einig, dass ein Ausgleich gefunden werden müsse zwischen dem Streikrecht der Beschäftigten und der Rechtspflicht des Klinikums, auch während eines Arbeitskampfes die Versorgung sicherzustellen.

Den Abschluss einer Notdienstvereinbarung würden sie sehr begrüßen, so Keunecke. „Ein entsprechendes Gespräch werden sie in Kürze auch mit der Geschäftsführung des Klinikums führen.“ Besser als die Anrufung von Gerichten seien freiwillige Vereinbarungen. Darüber hinaus hofften Kornblum und Geiger auf eine baldige Einigung in den Tarifverhandlungen.

Und wie steht Klinikum-Geschäftsführer Goepfert zum Zorn der Beschäftigten angesichts seiner Entscheidung, vor Gericht zu ziehen? Klinikum-Sprecherin Thu Trang Tran geht darauf nicht konkret ein, sondern sagt: „Die aktuelle Situation ist aufgrund des unbefriedigenden Angebots auf Bundesebene der kommunalen Arbeitgeberseite bei den Beschäftigten angespannt. Wir alle hoffen, dass es in Potsdam bei den Verhandlungen schnell zu einer vernünftigen Einigung kommt.“

Bundestagsabgeordneter Pantazis bietet Vermittlung an

Der Braunschweiger Bundestagsabgeordnete Christos Pantazis (SPD) bietet vermittelnde Unterstützung an, damit im Falle weiterer Streiks eine Lösung gefunden werden kann. In einer Pressemitteilung betont er: „Die Beschäftigten des Städtischen Klinikums haben schon vor der Corona-Pandemie und auch währenddessen überragende Arbeit geleistet, um die Patientinnen und Patienten nach bestmöglichen Kräften zu versorgen. Ihr Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und einen finanziellen Ausgleich in den heutigen finanziell herausfordernden Zeiten erfordert unsere ganze Solidarität.“ Wenn der Arbeitsalltag an Kliniken nicht verbessert würde, drohten Versorgungsengpässe.

Die Versorgungssicherheit müsse jederzeit gewährleistet sein. „Vor diesem Hintergrund steht die Notwendigkeit der Einrichtung eines Notdienstplans außer Frage“, so Pantazis. „Dafür müssen dann gegebenenfalls bestimmte Einschränkungen hingenommen werden.“

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