Braunschweig. Wir sprechen mit Professor Ulrich Joger und erfahren viel über die Biologie der Wölfe und die richtigen Schutzmaßnahmen.

Wolfssichtungen jetzt auch in der Stadt Braunschweig –für das Naturschutzgebiet Riddagshausen, den Querumer Forst nördlich der Autobahn und die Buchhorst bereits bestätigt durch den Vorsitzenden der Braunschweiger Jägerschaft, Hennig Brandes gegenüber unserer Zeitung. Was bedeutet das für Braunschweig, die Natur, die Anwohner, Hunde- und Gartenbesitzer?

Wir sprachen darüber mit dem Biologen, Paläontologen und früheren Direktor des Naturhistorischen Museums in Braunschweig, Professor Ulrich Joger.

Herr Professor Joger, schon oft haben wir über den Wolf gesprochen. Sie sagten immer: Es ist nur eine Frage der Zeit, dann kommen Wölfe auch nach Braunschweig. Jetzt ist es so weit. Was sagen Sie jetzt?

Das war erwartbar. Der Wolf ist längst in Niedersachsen angekommen. Es gibt eine Menge Populationen. Aber jede von ihnen besteht aus Familien – Weibchen, Männchen und die Jungen. Letztere werden nach einem Jahr aus dem Revier vertrieben. Ich gehe davon aus, dass die Wölfe, die in Braunschweig erscheinen, solche vertriebenen jungen Wölfe sind, die auf der Suche nach einem eigenen Territorium herumstreifen. Das ist zunächst einmal nicht bedenklich. Man wird abwarten müssen: Was macht der Wolf? Wird er sich niederlassen – oder zieht er weiter?

Was vermuten Sie denn?

Im allgemeinen wird er weiterziehen, wenn sich hier bei uns in Riddagshausen oder in der Umgebung der Stadt kein geeignetes neues Revier gründen lässt. Denn er muss ja auch erst noch einen Partner finden, eine Wölfin, das ist das Ziel dieses Tieres. Dadurch erweitern die Wölfe ihr Territorium sehr schnell und besiedeln dadurch immer größere Flächen. Allerdings lassen sie Gebiete aus, in denen der Mensch siedelt. Sie siedeln drumherum, das ist zu erwarten.

Der Wolf meidet den Menschen. Warum ist das eigentlich so?

Der Wolf ist an sich ein scheues Tier von Natur aus. Er kennt den Menschen! Es gibt auch Wölfe, die Menschen noch näher kennengelernt haben, sie haben ihnen Futter hingeworfen. Das darf man nicht tun! Wenn so Vertrauen aufgebaut wird, besteht die Gefahr, dass der Wolf sich zu sehr nähert. Und dann kann er etwas tun, was wir nicht wollen, zum Beispiel einen Hund angreifen.

Wolf und Hund sind miteinander verwandt, wie ist ihr Verhältnis zueinander?

Wölfe betrachten Hunde nicht als Artgenossen, sondern als potenzielle Beute, gerade kleinere Hunde. Und so ein junger Wolf, der probiert auch alles mögliche aus.

Also sollte man keinen Fall in solch einer Gegend der Hund herrenlos herumlaufen lassen.

Ja, immer anleinen. Und falls tatsächlich ein Wolf herumstreift, dann sehr vorsichtig sein und den Hund an die kurze Leine nehmen. Und eher nicht in das Gebiet gehen, in dem der Wolf zuletzt gesehen wurde.

Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass man den Wolf doch mal sieht?

Alles Ungewohnte erschreckt den Wolf. Dann weicht er zurück. Das kann ein lauter Schrei sein. Eine Hupe, eine Trillerpfeife oder ein Musikinstrument hätten eine ähnliche Wirkung.

In den Städten liegt viel Müll und potenzielle Nahrung auch für den Wolf herum. Liegt darin nicht eine gewisse Gefahr?

Zunächst suchen sie, wie gesagt, ein neues Territorium. Natürlich müssen sie während dieser Zeit, während der Wanderung, auch etwas fressen. Das heißt aber nicht, dass sie gezielt in die Städte ziehen. Das ist eher Zufall, dass sie dort vorbeikommen. Opportunisten, die sie sind, werden sie natürlich das Futter nehmen, das am leichtesten zu bekommen ist.

Nach den neuesten Monitoring-Zahlen soll sich die Zahl der Wölfe bei uns in den nächsten Jahren verdreifachen.

Das bedeutet aber eben nicht, dass die Dichte der Wölfe zunimmt in dem Gebiet, in dem sie bereits siedeln. In der Heide nördlich von Braunschweig beispielsweise, wo sie schon sind, wird die Dichte nicht zunehmen, sondern sie werden auf neue Gebiete in Niedersachsen und in den benachbarten Bundesländern ausweichen und neue Reviere gründen.

Kann man das begrüßen? Die Aufnahme ins Jagdrecht ist ja bereits erfolgt. Aber muss es dann nicht auch die Möglichkeit geben, bejagend einzugreifen?

Das Bejagen sehe ich sehr kritisch. Denn der Wolf als Art ist da. Und ihn nun wieder auszurotten, das ist ja wohl nicht die Option. Wenn wir einzelne Tiere entnehmen, dann werden die Plätze, wo dies geschah, in kürzester Zeit von neuen Tieren besetzt werden. Sie haben halt ihre Territorien, die sind groß. Aber wenn eines leer ist, dann wir es sofort neu von einem anderen Exemplar besetzt.

Was ist jetzt also der richtige Weg?

Es ist tatsächliche der richtige Weg, den Tieren ihre Aktivität zu erlauben – und sie nicht anzugreifen. Wir wollen immer alles regeln. Aber hier müssen wir nichts regeln. Der Wolf regelt es selbst, indem er sich die Territorien, die möglich sind, aufteilt auf die gesamte Fläche. Der Wolf wird irgendwann alle für ihn möglichen Territorien in Niedersachsen besetzt haben – und mehr wird es nicht geben. Dann ist eine weitere Zunahme praktisch ausgeschlossen.

Wäre auch ein Wolfsrevier im Braunschweiger Stadtgebiet möglich?

Nein, das ist ausgeschlossen. Braunschweig hat noch nicht einmal annähernd eine solche unbesiedelte Fläche, die die Ansprüche erfüllt, die die Wölfe haben.

Wir sehen hier in der Stadt also nur Wölfe auf der Wanderschaft und Suche?

Genau, das geht in alle möglichen Richtungen. Das geht nach Instinkt und Zufallsprinzip – und übrigens auch nicht gerade auf den bestmöglichen Wegen. Die Wölfe werden also auch immer mal wieder in ungeeignete Gebiete kommen, da ziehen sie aber dann weiter.

Sie sagen: Gebt dem Wolf seinen Raum. Es besteht aber doch Gefahr für unsere Nutztiere. Was empfehlen Sie?

Wir müssen uns tatsächlich umstellen. Jeder, der tatsächlich einen Ponyhof oder eine Schafherde hat, muss entsprechende Umzäunungen einrichten, dafür hat das niedersächsische Umweltministerium ja bereits die entsprechenden Empfehlungen herausgegeben. Da steht genau drin, wie die Umzäunungen beschaffen sein müssen, damit der Wolf dort keinen Zugang hat. Wenn man das nicht tut, bekommt man übrigens auch keine Entschädigung.

Was bedeutet es für unsere Natur, wenn der Wolf wieder heimisch ist, so, wie es sich jetzt abzeichnet?

Für die Natur bedeutet es einen weiteren Top-Predator, wie der Fachmann sagt, also eine Art, die den Jägern ein bisschen die Arbeit abnimmt, die kranken und überzähligen Tiere zu entnehmen. Der Wolf nimmt ja nicht die Schafe oder Ponys als Hauptbeute an, sondern vor allem die Wildschweine und die Rehe. Die Wildschweine nehmen bei uns überhand, weil sie keinen Räuber haben, der sie fängt. Der Wolf kann das.

Das wäre aber doch schon eine etwas beängstigende Vorstellung, wenn in Riddagshausen die Wölfe die Wildschweine jagen ...

Ja, aber Riddagshausen ist auch nicht für eine dauerhafte Besiedlung durch Wölfe geeignet. Dazu ist die Fläche nicht groß genug. Stadt und Autobahn sind begrenzende Faktoren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dort ein Wolfsrudel ansiedeln wird.

Was ist für Sie das Wichtigste bei diesem Thema?

Ich wiederhole: Der Mensch kann nicht alles regeln! Die Natur muss zu ihrem Recht kommen. Und in diesem Fall ist das Eingreifen des Menschen wirklich nur im Notfall sinnvoll.

Und, ganz klar: Wenn sogenannte „Problemwölfe“ große Schwierigkeiten machen, ein Verhalten zeigen, das nicht den üblichen Verhaltensweisen des Wolfes entspricht, Menschen zu nahe kommen oder keine Furcht haben, dann ist sicherlich ein Abschuss auch gerechtfertigt, das sagt ja auch der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies.

Auch ich sage nicht, dass man alles tolerieren kann und soll. „Problemwölfe“ können entnommen werden, das wird ab und zu mal so sein. Aber die Population können wir nicht begrenzen, es sei denn, wir rotten sie wieder aus.

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