Friedland. Traumatisierte Kinder, leidgeprüfte Erwachsene: Klaus Siemens, Leiter des Grenzdurchgangslagers Friedland, spricht im Interview über die Lage.

Vor dem Krieg geflüchtete Menschen aus der Ukraine sollen im Grenzdurchgangslager Friedland im Landkreis Göttingen vor allem zur Ruhe kommen. „Es gilt im Grunde für alle Personen, die bei uns unterkommen: Wenn man diesen Weg hinter sich hat, ist man erst mal froh, wenn man etwas zur Ruhe kommen kann, die neuen Eindrücke auf sich einwirken lässt“, sagte Klaus Siems, seit Anfang März Leiter des Grenzdurchgangslagers, der Deutschen Presse-Agentur.

Landesweit sind knapp 1500 Menschen aus der Ukraine in Einrichtungen der Landesaufnahmebehörde, die Auslastungsgrenze in diesen Einrichtungen ist den Angaben zufolge erreicht.

Herr Siems, gerade erst haben Sie als Leiter des Grenzdurchgangslagers Friedland übernommen – hätten Sie sich vorstellen können, direkt mit den Folgen eines Krieges in Europa konfrontiert zu sein?

Vorstellung ist das eine, Hoffnung ist das andere. Ich habe natürlich gehofft, hier einen etwas ruhigeren Start erleben zu dürfen. Aber wir stehen vor großen Herausforderungen. Und wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen und versuchen, die Aufgaben, die vor uns liegen, vernünftig abzuarbeiten. Und dazu werde ich meinen Teil beitragen.

Klaus Siems, Leiter des Grenzdurchgangslagers Friedland. Siems möchte erreichen, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine im Lager zunächst zur Ruhe kommen.
Klaus Siems, Leiter des Grenzdurchgangslagers Friedland. Siems möchte erreichen, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine im Lager zunächst zur Ruhe kommen. © dpa | Hannah Hintze

Wie viele Flüchtlinge aus der Ukraine sind inzwischen bei Ihnen im Lager?

Wir haben 77 Ukrainerinnen und Ukrainer bei uns. Das ist eine Zahl, die immer mal wieder anschwillt und auch wieder niedriger wird durch den Zu- und Ablauf, den wir hier täglich erfahren. Es gibt sehr hohe Schwankungen, in beide Richtungen.

Zur Person

Klaus Siems, 51 Jahre alt, leitet seit dem 1. März 2022 das Grenzdurchgangslager Friedland. Seit 1998 arbeitet er in der Landesaufnahmebehörde, seit 2014 ist er Standortleiter, zunächst in Braunschweig, dann in Oldenburg.

Und Ihre Kapazität?

Das ist nur eine theoretische Größe. Wir haben eine Kapazität von 820 Unterbringungsplätzen an einem Standort, wovon wir allerdings nur einen Teil für den Kreis der Ukrainerinnen und Ukrainer frei halten können, weil wir neben den Ukrainern auch Spätaussiedler beherbergen. Darüber hinaus haben wir Sonderkontingente im Rahmen von humanitären Aufnahmeprogrammen – etwa die afghanischen Ortskräfte. Die kommen parallel zu den Ukrainern dazu. Die Besonderheit hier am Standort ist, dass wir Plätze für Menschen vorhalten, die über verschiedene Fluchtrouten kommen.

Wie ist denn unter den Geflüchteten aus der Ukraine die Stimmung? Viele dürften mit Ängsten und psychischen Problemen zu kämpfen haben – wie bewältigen Sie das?

Wir versuchen die Menschen zunächst einmal zu screenen, wir bieten ihnen aber vor allem eine Unterkunft an, damit sie erst einmal zur Ruhe kommen. Es gilt im Grunde für alle Personen, die bei uns unterkommen: Wenn man diesen Weg hinter sich hat, ist man erst mal froh, wenn man etwas zur Ruhe kommen kann, die neuen Eindrücke auf sich einwirken lässt. Das Aufarbeiten, denke ich, wird später kommen müssen.

Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie im Lager? Die Impfquote in der Ukraine ist schließlich deutlich geringer als hier.

Einen Corona-Ausbruch kann ich derzeit nicht bestätigen, wir haben aber durchaus Personen separiert. Alle Neuankommenden werden wir testen, und aufgrund der Tests wird entschieden, ob separiert wird oder nicht. Wir bieten darüber hinaus auf dem Gelände Corona-Impfungen an, allerdings haben wir wegen der großen Fluktuation am Anfang noch nicht so viele Personen, die sich dafür aktiv interessieren. Wir haben derzeit einen relativ kurzen Verbleib hier auf dem Gelände, und ob ein Impfangebot gleich am ersten Tag nach der Ankunft sein muss, hängt auch von der betreffenden Person selbst ab, die zu uns kommt.

Aber die Bereitschaft zum Impfen ist da?

Es durchaus Interesse da und es werden auch Nachfragen gestellt, sowohl bei uns auf der Krankenstation oder auch bei unserem Sozialdienst. Und wir vermitteln dann entsprechende Termine zum Impfen. Aber selbst, wenn sich heute alle impfen lassen würden, heißt es noch lange nicht, dass sie dann nicht trotzdem ansteckend sein können. Das ist die Hürde und die Herausforderungen für uns: Wir müssen versuchen, die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten.

Sie sagten, die Verweildauer sei kurz. Warum?

Das hat rechtliche Gründe. Ukrainer oder Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine bereits ein Bleiberecht haben, brauchen nicht zwingend ins Asylverfahren. Die Landesaufnahmebehörde wiederum ist eigentlich vorrangig für Personen zuständig, die ins Asylverfahren möchten – beziehungsweise für den Personenkreis, der illegal in Deutschland ist. Dazu zählen die Ukrainer aber nicht, sie haben durch zwischenstaatliche Vereinbarungen zwischen der Ukraine und der EU die Möglichkeit, visafrei im Bundesgebiet oder auch im ganzen europäischen Gebiet zu reisen. Das gilt zunächst für 90 Tage. Um das zu verlängern, müssen sie sich bei einer Ausländerbehörde melden. Das impliziert, dass sie nicht zwingend über die Landesaufnahmebehörde müssen.

Die Clowns Maria und Filou von den „Roten Nasen“ machen für die aus der Ukraine geflüchteten Kinder im Willkommenszelt am Berliner Hauptbahnhof ihre Späße. Täglich kommen am Bahnhof der Bundeshauptstadt mehrere Tausend Menschen an und es werden weiter steigende Zahlen von Flüchtlingen aus der Ukraine erwartet.
Die Clowns Maria und Filou von den „Roten Nasen“ machen für die aus der Ukraine geflüchteten Kinder im Willkommenszelt am Berliner Hauptbahnhof ihre Späße. Täglich kommen am Bahnhof der Bundeshauptstadt mehrere Tausend Menschen an und es werden weiter steigende Zahlen von Flüchtlingen aus der Ukraine erwartet. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Sondern direkt in den Kommunen unterkommen?

Wenn sie irgendwo eine Aufenthaltsmöglichkeit haben, können sie die wahrnehmen – bei Bekannten, bei Freunden oder mittlerweile eben auch bei Unterstützern. Sie melden sich dann bei ihrer zuständigen Ausländerbehörde an, das ist in der Regel der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis. Dadurch haben sie dann ein Bleiberecht in Deutschland. Wir machen auch die Erfahrung, dass wirklich Verwandte, Bekannte, Freunde vorbeikommen und Menschen bei uns abholen, wenn sie hören, dass jemand bei uns ist. Die sind gut vernetzt untereinander, sie haben eine gute Community und sind über soziale Medien im Austausch, so dass Personen erst einmal privat unterkommen und sich nicht in erster Linie Gedanken um den Aufenthaltsstatus machen.

Wie nehmen Sie die Lage wahr – erfahren Sie Unterstützung?

Es ist eine sehr große Herausforderung für jeden unserer Mitarbeiter, nicht nur hier im Grenzdurchgangslager, sondern überall in der Landesaufnahmebehörde, bei allen, die derzeit mit der Flüchtlingskrise zu tun haben. Theoretisch bräuchten wir eigentlich eine kleine Pause zum Durchschnaufen, aber ich glaube, das wird zwischen den kriegführenden Parteien ausgehandelt werden müssen. Und wir nehmen eine sehr hohe Spenden- und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung wahr.