Braunschweig. Beim virtuellen Leserforum unserer Zeitung redeten Betroffene und Angehörige schonungslos über Sorgen und Nöte, aber auch ihre Hoffnungen.

Wenn es um das Thema Brustkrebs geht, schauen die einen peinlich berührt zu Boden, andere schlucken erst einmal. Krebs ist immer noch ein Tabu und mit viel Scham, Vorurteilen und Scheuklappen verbunden.

Alexandra von Korff, eine Brustkrebspatientin und Mutmacherin, wollte das ändern. Die Diagnose Brustkrebs im Sommer 2017 durchkreuzte ihre Pläne. Zwei kleine Kinder – am Ende ihrer Elternzeit war sie auf dem Sprung zurück in ihren alten Beruf. Der war immer das Allerwichtigste in ihrem Leben. Die Diagnose veränderte alles, erzählte von Korff am Mittwochabend beim digitalen Leserforum unserer Zeitung. Doch sie nahm das Schicksal in ihre Hände, kämpfte. Und will nun anderen Mut machen.

Das macht sie sehr offensiv. Sie ist in sozialen Netzwerken unterwegs und hat einen Podcast, dessen Titel wie mit dem Dampfhammer daherkommt. „2 Frauen, 2 Brüste“ , heißt dieser, der Untertitel: „Alltag zwischen Chemococktail & Legosteinen“. Zusammen mit einer weiteren Betroffenen ist von Korff in diesem Podcast gerne mal laut, echt und unverblümt, aber auch mit einem Augenzwinkern und einer guten Portion Humor unterwegs.

Wahnsinnig wichtig, über Krebs zu sprechen

So präsentierte sich von Korff auch beim Leserforum, das unsere Zeitung per Livestream auf unseren Internetseiten zeigte. Leser hatten die Möglichkeit, Fragen zu stellen. „Ich bin direkt nach der Diagnose raus und habe es jedem gesagt, der nicht bei drei auf den Bäumen war“, erklärte von Korff. „Das war sehr befreiend.“

Es ist wahnsinnig wichtig, über diese Krankheit zu sprechen. Da waren sich die Teilnehmer beim Leserforum vollkommen einig. Den Krebs aus der Tabuzone holen – das ist daher das Ziel von Deutschlands größter digitaler Selbsthilfegruppe für Krebspatienten: Die App namens „Yes!App“ vernetzt Krebserkrankte und ermöglicht es ihnen, sich unkompliziert untereinander auszutauschen und auch in Gruppen zu chatten.

Gegründet hat die Initiative „Yeswecan!cer“ der Medienunternehmer Jörg A. Hoppe, der vielen bisher nur als Macher in der Musikbranche bekannt ist. Hoppe entdeckte unter anderem Wigald Boning, Olli Dittrich, Verona Feldbusch oder Tim Mälzer für das Fernsehen. 1993 gründete er den Musikkanal Viva.

Virtuelles Leserforum – Offen über Krebs sprechen

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    Viel Desinformation und Unkenntnis

    Hoppe erhielt 2016 die niederschmetternde Diagnose: Leukämie. Seither tritt er mit anderen Mitstreitern an, um mithilfe des Online-Netzwerks „Yeswecan!cer“ Tabus im Umgang mit Krebs zu brechen.

    Hoppe erklärte beim Leserforum, dass er nach seiner Diagnose auf unheimlich viel Desinformation und Unkenntnis stieß, obwohl statistisch gesehen jeder zweite Deutsche im Verlauf seines Lebens einmal an Krebs erkrankt.

    Wie denn die Sprachregelung sei, sei er zum Beispiel kurz nach der Krebs-Diagnose gefragt worden, sagte Hoppe. Das mit dem Krebs könne man den Kunden und Mitarbeitern der eigenen Firma doch nicht sagen. Hoppe entschied sich für das Gegenteil – und machte seine Krankheit transparent. Freunde kamen dann auf ihn zu und erklärten ihm: „Jetzt kann ich es dir ja sagen: Ich hatte auch Krebs.“

    Die Psyche ist beim Heilungsverlauf so wichtig

    Professor Guido Schumacher vom Klinikum Braunschweig steht dem Online-Netzwerk beratend zur Seite. „Ich gehe davon aus, dass alle Ärzte gerne mit ihren Patienten sprechen“, sagte er. Dafür fehle aber manchmal die Zeit. Dabei sei die Psyche bei einem Heilungsverlauf so wichtig.

    Wie Hoppe, von Korff und Schumacher sprach sich auch Tobias Korenke, Sprecher von „Yeswecan!cer“ und ehemals Leiter der Unternehmenskommunikation der Funke-Mediengruppe, für eine intensivere Betreuung von Krebs-Patienten aus. Korenke verlor seine an Krebs erkrankte Frau 2017. Er forderte, auch die Angehörigen mitzunehmen.

    Moderator Armin Maus, Chefredakteur unserer Zeitung, wollte wissen, welche Fortschritte es in der Krebs-Forschung in den vergangenen 30 Jahren gegeben habe. Schumacher vom Klinikum Braunschweig sagte zwar, dass Metastasen bei Darmkrebs vor 30 Jahren noch ein Todesurteil gewesen seien. Mitte der 1970er Jahre hätten Mediziner aus Vorsicht das befallene Organ noch nicht einmal angefasst. Da sei man heute einen ganz großen Schritt weiter. „Auch mehr Forschung wird aber nicht sofort einen Quantensprung bringen“, meinte der Mediziner.

    Freunde sagten: „Wir schaffen das!“

    Hoppe erzählte, dass er nach der Strahlentherapie und dem Klinik-Aufenthalt erst einmal in ein tiefes Loch gefallen sei. Wenn er morgens in den Spiegel geschaut habe, habe er gedacht: „Das bin nicht ich!“

    Geholfen habe ihm seine Frau, auch gute Freunde. Von einigen habe er nach der Diagnose nie wieder etwas gehört, andere aber sagten ihm: „Wir schaffen das!“ Hoppe erklärte: „Das war unheimlich wichtig für mich. Wenn ich mich nicht geöffnet hätte, hätte ich diese Unterstützung niemals erfahren.“

    Auch von Korff berichtete über dunkle Momente. Sie sagte aber: „Offensive ist die beste Defensive.“ So gebe es „natürlich auch Fotos mit Glatze nach der Chemo“ von ihr. „Es war Winter, draußen habe ich sowieso Mütze getragen“, sagte sie. Wenn sie ein Geschäft betreten hat oder auf einer Familienfeier war und die Mütze abgenommen habe, habe sie gleich gesagt: „Nicht erschrecken, ich habe Krebs.“

    Mediziner Schumacher begrüßte diese positive Herangehensweise. Zwar sei jeder Mensch anders, es sei aber gut, offen mit der Krankheit umzugehen. Eine positive Einstellung sei sehr wichtig. „Wer positiv herangeht, übersteht eine OP viel besser“, sagte der Chirurg.

    Ein Patientengespräch beim Arzt dauert acht Minuten

    Moderator Maus wies darauf hin, dass Korenke seine kranke Frau durch den langen Kampf gegen den Krebs begleitet habe, sie aber schließlich verloren habe. Korenke antwortete daraufhin, dass es auch als Angehöriger „wahnsinnig wichtig“ sei, über die Krankheit zu sprechen. „Meine Frau ist immer offen damit umgegangen“, sagte er. Eine „tolle Familie, tolle Freunde“ hätten dem Ehepaar Halt gegeben.

    Medienunternehmer Hoppe berichtete über eine gute Resonanz für die Plattform „Yes!App“. Diese sei von Patienten für Patienten, das sei entscheidend. Denn viele Patienten seien zu Experten geworden, die andere an die Hand nehmen könnten. Hoppe sprach von „Lotsen durch die Krankheit“. Von Korff sah das ähnlich und sagte: „Mit Betroffenen kann ich mich ganz anders über die Krankheit austauschen.“

    Patienten sollten andere schon deswegen unterstützen, weil Medizinern oft die Zeit fehle, meinte Hoppe. „Ein Patientengespräch beim Arzt dauert in der Regel acht Minuten, die Hälfte davon geht für Bürokratie drauf.“

    Mediziner Schumacher wandte ein, dass das Patientengespräch für niedergelassene Ärzte nicht richtig vergütet werde. Das müsste durch die Krankenkassen dringend in den Katalog mit aufgenommen werden. „Hausärzte sind ja auch Geschäftsleute“, sagte er. Da hätten es Ärzte in Krankenhäusern deutlich einfacher und daher auch mehr Zeit.

    80 Prozent der App-Nutzer sind Frauen

    Hoppe bedankte sich für die Unterstützung von Medien und Künstlern für die App. Moderator Joko Winterscheidt, die Schauspieler Anna Loos und Axel Prahl zum Beispiel machen mit. Lediglich ein angesprochener Komiker habe abgesagt, weil er das Engagement seinem Publikum nur schlecht verkaufen könne.

    Etwa 10.000 Nutzer hat die „Yes!App“ bereits, Tendenz steigend. „Vor zwei Jahren haben wir die App auf den Markt geballert“, sagte Hoppe. 80 Prozent der Nutzer seien Frauen. Hoppe: „Männer verdrängen gerne, Frauen übernehmen traditionell auch das Gesundheitsmanagement in Familien.“

    Korenke bezeichnet die App und die Kontakte, die so möglich seien, als „Feier des Lebens“. Die App sei deshalb auch trotz des ernsten Hintergrunds nicht „beige und grau, sondern sehr bunt“ gestaltet.

    Hoppe forderte mehr Unterstützung durch die Politik. Das Thema Krebs dürfe kein Schattendasein mehr fristen. Auch die Wirtschaft müsse offensiver mit dem Thema umgehen, da immer wieder Mitarbeiter in Firmen erkranken würden. Das sonst oft gescholtene soziale Netzwerk Facebook nannte Hoppe als vorbildlichen Arbeitgeber. So würde Facebook eine zweite Mediziner-Meinung bezahlen und bei einer Diagnose Extra-Urlaub geben, damit sich die Mitarbeiter erst einmal sammeln können.

    Die Initiative

    „Yeswecan!cer“ bezeichnet sich als größte Krebs-Selbsthilfegruppe Deutschlands. Die Organisation unterstützt an Krebs erkrankte Menschen mithilfe einer Selbsthilfe-App namens „Yes!App“ . Etwa 10.000 Betroffene machen bisher mit.

    Die Initiative hat Ende September zum ersten Mal den „Yes!Award“ verliehen. Preisträgerin war Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Sie stand offen zu ihrer Brustkrebserkrankung.