Der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, hält die Hilfe zur Selbsttötung aus theologischer Perspektive für zulässig – und plädiert dabei für eine aktivere Rolle von Ärzten.
In einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) sagte der 58-Jährige: „Wenn mir Gott das Leben schenkt, gibt er mir auch die Berechtigung zu dessen Gestaltung.“ Dies beinhalte die Möglichkeiten, sich selbstständig für ein Ableben zu entscheiden. Ärzten, so Meister weiter, sollte es daher künftig erlaubt sein, ein tödliches Medikament zu verschreiben und auch zu verabreichen: „Darüber müssen Gesetzgeber und Bundesärztekammer sprechen.“
Bundesverfassungsgericht: Sterbehilfe als „Akt autonomer Selbstbestimmung“ – Gesetz muss neu geregelt werden
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte im vergangenen Februar das in Paragraf 217 des Strafgesetzbuches verankerte Verbot organisierter Sterbehilfe. Verfassungsrichter erlauben geschäftsmäßige Sterbehilfe Die Entscheidung, „dem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen“, sei als „Akt autonomer Selbstbestimmung“ von Staat und Gesellschaft zu akzeptieren, hieß es unter anderem in der Begründung.
Das umfasse gleichermaßen „die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“. Der Gesetzgeber behalte aber durchaus Spielraum, was genaue Regelungen betreffe. Seit dem Urteil wird nun über eine entsprechende Neuregelung zur Sterbehilfe diskutiert.
Sterbehilfe: Hannovers Landesbischof Meister pro Beratungspflicht für Ärzte – Kritik von Patientenschützern
Bischof Meister sprach sich im NOZ-Interview jedoch gegen geschäftsmäßige Suizidassistenz, wie sie etwa vom Verein Dignitas angeboten wird, aus. Denkbar sei eher „eine Beratungspflicht, wenn möglich zusammen mit Angehörigen und Ärzten“, so der Theologe, der seit 2011 an der Spitze der Landeskirche Hannovers steht.
Die Bundesverfassungsrichter hatten in ihrem Urteil von Februar hervorgehoben, dass niemand dazu verpflichtet werden könne, Sterbehilfe zu leisten. Eine Pflicht zur Beratung gilt ebenso wenig. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit Sitz in Dortmund, bezeichnete Meisters Aussagen nun als „leichtfertig“. Er betonte: „Die Beratungspflicht würde Suizid zur selbstverständlichen Therapieoption machen.“
Stiftung Patientenschutz macht eigenen Vorschlag zur Neuregelung der Sterbehilfe
Neue Regeln dürften zudem nicht nur für sterbende, leidende und schwerkranke Menschen gelten. „Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass es keine Alters- und Leidenskriterien für die organisierte Hilfe zur Selbsttötung geben darf“, so Brysch.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat mittlerweile einen eigenen Vorschlag zur Neuregelung der Sterbehilfe veröffentlicht. Hier sind etwa eine Erhöhung der Haftstrafe bei gewerbsmäßiger Assistenz auf fünf Jahre (bislang drei) oder Straffreiheit bei langjährigem engen Verhältnis zum Betroffenen inbegriffen.
Lesen sie mehr: Niedersachsens Sozialministerin für Recht auf Selbsttötung
- Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/1110111 und 0800/1110222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.
Respekt bis zum letzten Atemzug
Hannovers Landesbischof Ralf Meister
Selbsttötung darf nie normal sein
Eugen Brysch, Vorstand Deutsche Stiftung Patientenschutz
Respekt bis zum letzten Atemzug
Hannovers Landesbischof Ralf Meister
Ich war 19 Jahre alt, als mich ein pflegebedürftiger Mann fragte, ob ich ihm beim Sterben helfen könne. Eineinhalb Jahre hatte ich ihn zuvor schon begleitet und gepflegt. Am Anfang und am Ende unserer Gespräche sprach er immer die gleiche Frage aus: Helfen Sie mir, zu sterben?
Diese Hilfe konnte und wollte ich ihm nicht geben, doch die bittende Frage habe ich nie vergessen. So geht es wahrscheinlich vielen, der sich einmal mit derartigen Situationen konfrontiert sah. Solche Fragen betreffen aber nicht nur sterbenskranke Menschen, deren Angehörige oder diejenigen, die in Pflegeberufen arbeiten.
Wir brauchen in unserer Gesellschaft eine offene und ehrliche Diskussion darüber, wie wir mit dem Wunsch nach selbstbestimmten Sterben umgehen wollen. Als Christ glaube ich, dass Gott mir mein Leben geschenkt und zugleich in meine Verantwortung gelegt hat. Diese Verantwortung währt – wenn möglich – bis zum letzten Atemzug. So kann ich auch den Zeitpunkt und die Art, wie ich sterbe, mitgestalten.
Ich wünsche mir, dass ich in diesem Entscheidungsprozess, der nicht nur mich, sondern auch meine Freunde und Familie sowie meine Beziehung zu Gott betrifft, helfende Begleitung haben werde. Wir sollten Menschen ermöglichen, ohne Scheu oder Scham über ihren Wunsch zu sprechen, ihr Leben zu beenden. Sie sollten dann auf ein Beratungsnetzwerk zugreifen können, das nicht von kommerziellen Interessen geleitet und völlig unabhängig ist von allen Bestrebungen etwa zur Kostenminimierung im Gesundheitswesen.
Innerhalb der Beratung, in die auch Angehörige, Ärzte und Seelsorger eingebunden sind, eröffnet sich die Chance, den Betroffenen zu zeigen, dass ihr Leben einen Wert hat – selbst dann, wenn er von den Menschen mit Sterbewunsch nicht mehr gesehen wird. Eine entscheidende Hilfe im Prozess werden weiterhin alle Möglichkeiten der Palliativ- und Hospizarbeit bieten. Diese Art der individuellen Begleitung „in die kommende Welt“ ist eine der kostbarsten Errungenschaften unserer heutigen Sterbekultur.
Doch wenn sich ein Mensch am Ende entscheidet, seinen Todeszeitpunkt selbst zu wählen, müssen wir lernen, das zu respektieren. Und fortan die Hilfen geben, die er sich wünscht. Wir bleiben auch dann an seiner Seite, um ein würdevolles Sterben zu ermöglichen.
Selbsttötung darf nie normal sein
Eugen Brysch, Vorstand Deutsche Stiftung Patientenschutz
Seit 140 Jahren sind in Deutschland Selbsttötung und die Hilfe dazu straffrei. Auch geschäftsmäßige Suizidassistenz ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar wieder möglich. Täglich wenden sich Menschen in ihrer Not an Psychologen, die Telefonseelsorge oder bei uns Patientenschützern. Betroffenen stehen somit zahlreiche Hilfsangebote zur Verfügung – und sie haben keine Scheu, sich Gehör zu verschaffen. Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass es bei psychotherapeutischen Angeboten gerade für Senioren noch großen Nachholbedarf gibt.
In ihrem Urteil haben die Karlsruher Richter ausdrücklich betont, dass der Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Suizidwilligen oberste Priorität hat. Alters- und Leidenskriterien verbieten sich damit. Doch genau dieser Autonomie-Anspruch wird vom Hannoverschen Landesbischof Ralf Meister und anderen Stimmen in der ethisch-politischen Diskussion oft ignoriert. Anders als die Verfassungsrichter stellen sie ausschließlich körperlich schwerkranke und sterbende Menschen ins Zentrum der Debatte. Kaum beachtet werden hingegen lebenssatte oder pflegebedürftige Menschen und Suizidwillige mit einer langjährigen psychischen Erkrankung. Sie alle sind nicht todgeweiht.
Hier sind keine Palliativmediziner, sondern Psychologen und Psychotherapeuten gefragt. Wer bei einer Neuregelung der Suizidassistenz nur auf den Ausbau palliativer Therapie und Hospizbegleitung setzt, hat das Thema schlichtweg verfehlt. Auch ist abzulehnen, dass die Rolle des Arztes ins Gegenteil verkehrt wird – vom Heiler und Begleiter zum Tötungshelfer.
Der Gesetzesvorschlag der Deutschen Stiftung Patientenschutz orientiert sich eng am Urteil des Bundesverfassungsgerichts und stellt die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt. Klar ist, dass mit der Hilfe zur Selbsttötung kein Geld verdient werden darf. Daher muss gewerbsmäßige Suizidassistenz strafbar werden.
Zudem ist in jedem Fall zu verhindern, dass die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption wird. Deshalb verbietet sich die Einführung einer Beratungspflicht, wie sie Bischof Meister fordert. Denn eine staatlich legitimierte Hilfestellung beim Selbsttöten setzt eine Dynamisierung in Gang. Wer so etwas will, muss in Konsequenz Tausende zusätzlicher Selbstmorde verantworten.