Hannover. Bei den Dienstwagen der Minister ist von einer Verkehrswende aber bislang nicht viel zu sehen. Greenpeace spricht von einem „Armutszeugnis“.

Niedersachsen soll Vorreiter beim Klimaschutz werden – kein anderes Thema hat sich die Landesregierung aus SPD und CDU in den vergangenen Monaten offensiver auf die Fahnen geschrieben. „Wer jetzt noch immer nicht verstanden hat, dass der Kampf gegen den Klimawandel oberste Priorität haben muss, der wird die drohenden Folgen hautnah spüren“, sagte etwa Umweltminister Olaf Lies (SPD) im August. Und mit dem neuen Klimagesetz erhält der Klimaschutz sogar Verfassungsrang im Land. Doch wie halten es Ministerpräsident Stephan Weil und seine Minister beim eigenen Fuhrpark mit der Verkehrswende?

10 von 11 Regierungsmitgliedern fahren mit Diesel

Die Deutsche Presse-Agentur in Hannover hat die Staatskanzlei zu den Dienstwagen und Dienstflügen des Kabinetts befragt. Das Ergebnis stößt bei Umweltschützern auf Kritik. Denn: 10 der 11 Regierungsmitglieder fahren mit Diesel, darunter Ministerpräsident Weil. Das einzige Elektroauto, ein VW E-Golf, steht Umweltminister Lies zur Verfügung – aber nur als Zweitwagen für Kurzstrecken. Alle anderen Autos kommen von der zum VW-Konzern gehörenden Marke Audi. Innenminister Boris Pistorius fährt als einziger einen Benziner.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace wertet den hohen Dieselanteil als „Armutszeugnis“ für die deutschen Autohersteller. „Für eine Limousine mit emissionsfreiem Antrieb hätten sich die Minister bisher an Tesla wenden müssen – das wollte den VW-Managern in Wolfsburg niemand antun“, sagt Verkehrsexperte Benjamin Stephan. Er sieht aber auch ein „Versagen der Politik“ und fordert die Regierungsmitglieder auf, kleinere Modelle zu fahren.

Klimaschonende Antriebe erst 2030

Im Klimagesetz, das der Landtag derzeit berät, heißt es zwar, dass für den Fuhrpark des Landes „nur noch Fahrzeuge mit klimaschonenden Antrieben beschafft werden“ sollen – aber erst ab 2030. Bisher ist der Standardwagen der Landesregierung der Audi A8. In verschiedenen Ausführungen fahren ihn fast alle. Nur einer weicht davon ab: Umweltminister Lies, der neben dem E-Golf einen A6 nutzt.

Verkehrsexperte Stephan von Greenpeace findet das vorbildlich. „Ein erster Schritt zu mehr Klimaschutz wären deutlich kleinere Modelle, die für viele Ministerien vollauf genügen“, sagt er. Den Menschen, die für Klimaschutz demonstrieren, sei „nicht zu vermitteln, dass alle Minister eine Oberklasse-Limousine wie den Audi A8 brauchen“.

Hybridvarianten seien „Mogelpackungen“

Auffällig ist, dass unter den Dieselwagen des Kabinetts auch vier Hybridvarianten mit einem zusätzlichen Elektromotor sind. Stephan bezeichnet diese jedoch als „Mogelpackung“: „Ein Audi A8 als Diesel-Mildhybrid bietet keinen elektrischen Fahrmodus und verbraucht weiter um die acht Liter Sprit“, erklärt er.

Zu den Hybrid-Fahrern zählt Ministerpräsident Weil. In die Entscheidung für seinen Audi A8 L50 TDI quattro seien „Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes“ eingeflossen, teilt die Staatskanzlei mit. Der Audi entspreche „dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“. Der Einsatz eines vollelektrischen Autos hingegen könne erst in Betracht kommen, wenn ein solches Auto die benötigte Reichweite biete und gleichzeitig die Kosten dafür vertretbar seien.

Landtagspräsidentin nutzt primär die Bahn

Wie es anders gehen könnte, zeigt abseits des Kabinetts die Präsidentin des Landtags, Gabriele Andretta. Zwar setzt auch sie noch auf den Diesel-Hybrid von Audi. Nach Angaben ihres Sprechers nutzt sie das Auto aber nur, wenn zur Wahrnehmung von Terminen eine Anreise mit der Bahn nicht möglich ist. Und: Sie hat den Umstieg schon veranlasst. Für Kurzstrecken im Stadtverkehr bekommt sie Anfang 2020 einen E-Golf hinzu. Zudem habe Andretta „aus Klimaschutzgründen“ einen VW ID 3 geleast – das erste Modell einer neuen rein elektrischen Modellfamilie der Wolfsburger. Das Elektroauto soll im Sommer 2020 geliefert werden.

Derart konkrete Wechselpläne hin zu E-Autos haben die Minister nicht. Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) will immerhin vom Diesel auf einen Diesel-Hybrid umsteigen. Und aus dem Umweltministerium heißt es, Lies würde gerne nur noch E-Autos nutzen – doch noch sei deren Reichweite für das Flächenland nicht groß genug.

Hybride immer noch höhere Emissionen als E-Autos

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen – ein Beratungsgremium der Bundesregierung – wollte sich zu den Autos der Landesregierung nicht äußern, hielt aber grundsätzlich fest, dass „weniger, leichtere, geringer motorisierte Fahrzeuge“ notwendig seien. „Im Bereich der Pkw sehen wir große Vorteile bei der Elektromobilität, insbesondere wegen des viel besseren Wirkungsgrads im Vergleich zum Beispiel zu Brennstoffzellenfahrzeugen und vor allem synthetischen Kraftstoffen“, sagt die Geschäftsführerin des Umweltrats, Julia Hertin.

Auch Hertin zufolge ist es mit Hybriden noch nicht getan, weil auch diese Wagen höhere Emissionen hätten als reine E-Autos - und zudem keine Anreize lieferten, die Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität auszubauen. Mit Blick auf Dieselautos wirbt der Umweltrat dafür, steuerliche Vorteile abzuschaffen, denn wegen des Schadstoffausstoßes seien Diesel nicht vorteilhaft im Vergleich mit dem Benziner.

Greenpeace: Quote für E-Autos

Greenpeace-Experte Stephan fordert zudem konkrete Vorgaben der Politik, um die Mobilitätswende zu beschleunigen. Mit einer Quote für E-Autos oder einem verbindlichen Enddatum für neue Diesel und Benziner solle die Autoindustrie zum Umstieg bewegt werden, sagt er.

Kaum Inlandsflüge

Die Zahl der Dienstflüge des niedersächsischen Kabinetts ist derweil überschaubar. Mit Sozialministerin Carola Reimann und Kultusminister Grant Hendrik Tonne (beide SPD) flogen zwei Minister von Anfang 2018 bis Mitte Oktober 2019 überhaupt nicht. Die Vielflieger in diesem Zeitraum waren mit jeweils 18 Flügen Ministerpräsident Weil, der zuletzt auf Dienstreise in Singapur und Indonesien war und bald nach Katar reist, sowie Europaministerin Birgit Honé. Flüge im Inland sind noch seltener: Waren es für das gesamte Kabinett 2018 noch acht Inlandsflüge, wurden bis Mitte Oktober 2019 nur vier gezählt.