Hannover. Eine Vorschrift fordert für Polizisten Hoden oder ein intaktes weibliches Hormonsystem. Niedersachsen aber prüft das gar nicht mehr.

Der Polizeidienst in Niedersachsen steht auch transsexuellen Menschen offen. Das geht aus einer Antwort der rot-schwarzen Landesregierung auf eine Anfrage der FDP-Landtagsfraktion hervor. Demnach prüfen Polizeiärzte bereits seit 2012 nicht mehr, ob Bewerber und Bewerberinnen für den Polizeidienst bestimmte geschlechtsspezifische Merkmale haben, obwohl eine bundesweit gültige Dienstvorschrift dies noch vorsieht. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und eine Lobby-Organisation begrüßten die Handhabung. Wie viele Transsexuelle in Niedersachsens Polizei tatsächlich Dienst tun, ist laut Innenministerium nicht bekannt.

Umstrittene Vorschrift fordert intakte Hoden oder Hormonsystem

In der umstrittenen, noch gültigen Vorschrift für die ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit heißt es, bei männlichen Bewerbern sei „der Verlust oder ein diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden“ ein Ausschlusskritierium. Außerdem müssen Kandidaten für den Polizeidienst nachweisen, dass sie ein intaktes männliches Hormonsystem haben. Für Bewerberinnen gilt ein intaktes weibliches Hormonsystem als Voraussetzung für die Diensttauglichkeit.

Im Jahre 2012, als die derzeit gültige Fassung dieser Dienstvorschrift ausgegeben wurde, ließ das niedersächsische Innenministerium sie in einem Runderlass mit einem Zusatz versehen. Wenn das Gesamtbild des Gesundheitszustandes zu dem Ergebnis führt, dass eines dieser Ausschlusskriterien keine Auswirkungen auf die Polizeidiensttauglichkeit hat, soll der Bewerber trotzdem zugelassen werden. “Aktuell wird bereits im Rahmen der Auswahl- und Einstellungsuntersuchungen auf die Prüfung der oben genannten Ausschlusskriterien verzichtet“, heißt es in der Antwort der Landesregierung.

Keine Daten darüber, wie viele Transsexuelle bei der Polizei arbeiten

Mittlerweile ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit einer Neufassung der umstrittenen Regelung befasst. Wann diese vorliegen wird, ist dem Innenministerium zufolge noch unklar. Ob Bewerberinnen und Bewerber in der Vergangenheit abgelehnt wurden, weil ihnen die geforderten geschlechtstypischen Merkmale fehlten, ist nicht bekannt. Wie eine Sprecherin sagte, gibt es auch keine Daten dazu, ob und wie viele Transsexuelle im Polizeidienst arbeiten. „Das wird statistisch nicht erfasst und fällt auch unter die Wahrung der Persönlichkeitsrechte.“

Verband fordert Abschaffung der Regelung

Die Gewerkschaft der Polizei findet es richtig, dass Niedersachsen auf die Prüfung der Geschlechtsmerkmale verzichtet. „Für die Ausübung des Polizeidienstes ist das nicht notwendig. Es gibt ja Medikamente, mit denen man den Hormonspiegel einstellen kann“, sagte der GdP-Landesvorsitzende Dietmar Schilff. Seine Gewerkschaft dringe darauf, dass die Dienstvorschrift bundesweit entsprechend geändert werde.

„Es steht außer Frage, dass diese Regelung schnell gekippt werden muss. Sie verstößt gegen Grundrechte“, sagte Andrea Ottmer aus Braunschweig, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität.

Auch andere Länder gehen „pragmatischen Weg“

Den niedersächsischen Weg für den Polizeidienst bezeichnet sie als „pragmatische Lösung“. Mehrere andere Bundesländer handhaben es Ottmer zufolge ähnlich. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die neue Gesetzgebung zum „dritten Geschlecht“. Im Dezember hatte der Bundestag beschlossen, dass neben „männlich“ und „weiblich“ im Geburtenregister künftig auch die Option „divers“ für intersexuelle Menschen möglich ist.

Bei intersexuellen Menschen sind die Geschlechtsmerkmale, also zum Beispiel Chromosomen, Hormone und Genitalien, nicht eindeutig ausgeprägt. Intersexuelle verfügen über männliche und weibliche Merkmale, etwa weibliche Geschlechtsteile und männliche Chromosomen. Transsexuelle haben zwar eindeutige Geschlechtsmerkmale, fühlen sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig. dpa