Göttingen. Topscorer David Krämer ist sauer, dass die Löwen die Dauerführung in Göttingen mit dem letzten Wurf verspielen. Immerhin: Sie bekommen Schützenhilfe.

Als wäre ihre knappe, so bittere und im BBL-Abstiegskampf womöglich noch folgenschwere 79:80 (41:34)-Niederlage Sekunden vor Schluss nicht schlimm genug gewesen, erfuhren Braunschweigs Basketballer in Göttingen am späten Samstagabend weitere Demütigungen. Als sie frustriert zum Ausdehnen aufs Parkett zurückkehrten, sangen die einheimischen Fans ihnen triumphierend den „Derbysieger“ ins Gesicht, die Hallen-Regie spielte „Wir feiern die ganze Nacht“. Und als sie nach dem Duschen zum Mannschaftsbus trotteten, erwartete sie dort nur noch eine Handvoll der knapp hundert mitgereisten Löwen-Fans mit dem üblichen Applaus, dafür hatten sich BG-Anhänger aufgereiht und stimmten einige Schmähgesänge an.

Aber vielleicht bekamen die Braunschweiger Profis das alles gar nicht richtig mit, weil ihre Köpfe voll von Frust und Selbstkritik steckten. Auf jeden Fall bei David Krämer. Der Topscorer hatte wie so oft trotz härtester Bewachung, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, seine Mannschaft geschultert und am Ende zwei Schlüsselaktionen gesetzt. Sein Dreier zur 78:75-Führung 1:15 Minuten vor Schluss und sein Defensivrebound 17 Sekunden vor dem Ende bei einer 78:77-Führung setzten die Löwen in die Lage, den so wichtigen zehnten Saisonsieg perfekt zu machen.

Genickbrecher-Dreier – David Krämer fühlt sich an Ludwigsburg-Pleite erinnert

Doch es kam anders. Nach einem schnellen taktischen Foul der Göttinger traf Kapitän Robin Amaize, neben Krämer der beste Braunschweiger, nur einen der zwei Freiwürfe zum 79:77. Dem Gegner blieben 16 Sekunden, in denen eines nicht passieren durfte: Dass er einen Dreier versenkt. Doch genau das geschah. Die Löwen-Defense ließ sich einmal mehr von BG-Spielmacher Harald Frey übertölpeln, er bediente seinen Center Rayshaun Hammonds, und der traf 3,8 Sekunden vor Schluss von weit draußen den Genickbrecher für das Team von Trainer Jesús Ramírez.

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Krämer riss nach der Schlusssirene wütend sein Trikot aus der Hose und stürmte motzend Richtung Kabine. Auch beim Ausdehnen hatte sich der Nationalspieler mit dem großen Kämpferherz noch nicht beruhigt. „Wir verkacken unsere Offense, foulen wieder zu viel“, schimpfte er im Blick auf die letzten Minuten der Partie. „Da verteidigst du gut, machst alles richtig, und dann trifft, wie schon in Ludwigsburg, ein Center einen Dreier, durch den das ganze Spiel irrelevant wird.“

Löwen verspielen beim Favoriten 16- und 14-Punkte-Führungen

Denn das 80:79 war die erste Führung der heimstarken Göttinger seit dem ersten Viertel. Ansonsten hatten die Löwen in diesem sehr physisch geführten Duell dank einer starken Defensivleistung das Geschehen lange dominiert und kontrolliert. Sie waren über weite Strecken die bessere Mannschaft, zwangen den Favoriten in den ersten drei Vierteln zu Ballverlusten, hielten seine Trefferquote unter 40 Prozent und holten zudem zehn Rebounds mehr.

Offensiv führten Krämer mit 12 seiner 22 Punkte und Amaize ihr Team im zweiten Viertel zu einem furiosen 19:2-Lauf und einer 37:21-Führung (17.). Auch wenn die „Veilchen“ sich kurz vor der Halbzeit wieder auf fünf Punkte herankämpften – die Löwen ließen sich in ihrer Dauer-Führung nach dem Seitentausch zunächst nicht beirren. Immer, wenn die Gastgeber drauf und dran waren, eine Wende zu erzwingen und ihre euphorischen Fans in Wallung zu bringen, fanden sie eine Antwort.

Göttinger erobern Momentum – Löwen verlieren offensive Kreativität

Nach dem 47:49 (36.) zogen sie ihre Intensität nochmal an und setzten sich dank starker Aktionen von Spielmacher RJ Cole auf 62:50 vor dem Schlussviertel ab. Youngster Sananda Fru, der exzellent verteidigte, blühte nun auch offensiv auf. Zusammen mit Cole machte er mit dem 66:52 (32.) sogar nochmal eine 14- Punkte-Führung daraus. Die Löwen schienen auf Siegkurs.

Aber wer bei einem Play-off-Team gewinnen will, muss eben 40 starke Minuten liefern und in der Schlussphase mental stabil sein. Und das gelang den Löwen zum wiederholten Mal nicht. Für die Wende sorgte nach Einschätzung von Jesús Ramírez der BGer Mathis Mönnighoff mit zwei Dreiern zum 58:66 (33.). „Sie haben den Göttingern das Momentum beschert“, klagte der Trainer. „Wir haben dann leider offensiv gestoppt und das Spiel ganz schlecht zu Ende gebracht.“

Zu viel Fouls kassiert: „Unser Verteidigungssystem war nicht gut“

Die Partie wurde noch physischer, nichts ging mehr leicht für die Löwen im Derby-Hexenkessel. Es war offensichtlich, dass die Braunschweiger den Ball nicht mehr gut bewegt bekamen, während der Tabellenfünfte dies exzellent tat. Zudem zog der Gegner, vor allem im Person des norwegischen Spielmachers Frey, nun konsequent zum Korb, flickte den Löwen Fouls an und durfte einfache Punkte von der Freiwurflinie erzielen. „Unser Verteidigungssystem war nicht gut“, kritisierte Krämer.

Die Schlussminuten machten deutlich, warum Braunschweig in akuter Abstiegsgefahr schwebt und Göttingen oben steht. Frey riss die Partie an sich, während sein Gegenüber Divine Myles ratlos wirkte und unglücklich agierte. RJ Cole hatte sich bei einem Zusammenprall Knie an Knie (36.) verletzt und musste auf die Bank. Er kam zwar zurück, war aber gehandicapt.

Dank Bayreuths Kraftakt gute Ausgangsposition am Dienstag gegen Frankfurt

Trotzdem hielten die Löwen dagegen, hatten den Sieg bis zum Schluss in der Hand und hätten sich belohnen müssen. Beim Blick auf die 30 Gegenpunkte im Schlussviertel schwoll Sportchef Nils Mittmann der Kamm. „Die Niederlage müssen wir uns selbst ankreiden“, kritisierte er die zehn, teils naiven Fouls seines Teams. Der Siegtreffer des Gegners hätte auch nichts mit Pech zu tun gehabt. „Wir dürfen im letzten Angriff keinen Dreier zulassen“, betonte der Ex-Profi.

Ein Sieg in Göttingen wäre Gold wert gewesen, weswegen der Stachel tief sitzt. Allerdings wurde der Ärger bei den Löwen gestern unverhofft durch grandiose Schützenhilfe der Bayreuther etwas abgemildert. Das Schlusslicht feierte ohne seinen verletzten Topscorer Brandon Childress in Frankfurt seinen ersten Auswärtserfolg, wodurch die Skyliners nicht wie befürchtet zu den Braunschweigern aufschließen konnten. Somit kann das Ramírez-Team am Dienstag mit einem Heim-Erfolg im „Vierpunktespiel“ zwei Siege plus den direkten Vergleich zwischen sich und den Verfolger bringen. Das wäre, bei dann noch drei ausstehenden Partien, ein großer Schritt Richtung Klassenerhalt.

Spiel kompakt

BG Göttingen – Löwen Braunschweig 80:79 (34:41)

Viertel: 19:18, 15:23, 16:21, 30:17

Löwen: Krämer 22 (41%, 2/9 Dreier, 6/6 Freiwürfe, 7 Rebounds), Amaize 16 (40%, 1/5 Dreier, 4 Rebounds, 2 Vorlagen, 3 Ballverluste, 6 Fouls gezogen), Sleva 10 (40%, 3 Rebounds, 2 Ballgewinne), Cole 9 (40%, 4 Assists, 3 Ballverluste), Myles 9 (40%, 2 Vorlagen), Fru 7 (75%, 2 Rebounds, 1 Block), Bango 2 (6 Rebounds, 1 Block), B. Tischler 2 (3 Rebounds), Turudic 2 (2 Ballverluste, 5. Foul 38.), N. Tischler.

Göttingen: Smith 17 (64%, 11 Rebounds), Hammonds 12, Pape 12, Frey 11 (6 Assists, 5 Rebounds, 11 Fouls gezogen), Bess 11, Kamp 6, Mönninghoff 6, Crandall 5, Edwards.

Trefferquoten: 26/55 (47%) : 27/62 (44%) Feldwürfe, Dreier
10/30 (33%) : 5/22 (23%),
Freiwürfe 18/23 : 20/26.

Rebounds: 30 (davon 7 offensiv): 36 (13).

Ballverluste: 12:10

Ballgewinne: 3:7

Assists: 17:10

Fouls: 23:26

Zuschauer: 3137

Braunschweig – Frankfurt, Dienstag 20.30 Uhr, VW-Halle