Berlin. Die ARD hat das Aus der Lindenstraße beschlossen. Fans wollen nicht aufgeben und protestieren in Berlin. Was lässt sie durchhalten?
Ob die Mahnwache der „Lindenstraße“-Fans vor dem Berliner Filmhaus was nützt? Die Handvoll Protestierer vor der Tür des Berliner Fernseh- und Filmmuseums, die mit Kerzen und brennenden Herzen für den Erhalt der „Lindenstraße“ demonstriert, will die Hoffnung nicht aufgeben.
„Wir kämpfen dafür, dass die Serie bleibt“, bekräftigt Petra Namyslo neben dem handgemalten Plakat: „Kult braucht keine Quote“. „Lindenstraße soll leben“, steht auf den Handzetteln, die sie schon seit dem frühen Nachmittag an Passanten verteilt. Auch die sind selbstgemacht.
„Lindenstraße“: ARD verkündete Aus nach 34 Jahren – Das muss man wissen:
- 34 Jahre lang gehörte die „Lindenstraße zum Vorabendprogramm der ARD
- Doch seit letztem Jahr steht das Aus der Sendung fest
- Fans laufen Sturm gegen die Entscheidung und protestieren
Seit die ARD offiziell verkündete, dass die Serie, die Sonntag für Sonntag zur familienfreundlichen Zeit um 18.50 Uhr im Ersten läuft, nach 34 Jahren im kommenden März eingestellt wird, kommt die Fangemeinde nicht zur Ruhe. Schon im Januar hatte der harte Kern der Fans eine Demonstration in Köln dagegen organisiert, vor zwei Wochen noch einmal in Berlin.
Auch Hunderte von Beschwerde-Mails und –Briefe wurden bisher nur mit standardisierten Antworten abgefertigt: Die Produktionskosten seien zu hoch, die Einschaltquoten würden sinken. „Das kann nicht stimmen“, widerspricht Petra Namyslo. „Das Budget wurde seit 2002 nicht mehr erhöht.“
„Die Programm-Oberen gucken die Serie nicht“, glaubt Philipp Beyer, der bei den Protestierern steht. Deshalb würden sie nicht erkennen, welchen Schatz sie da leichtfertig aufgaben. Nicht nur, dass in der „Lindenstraße“ Woche für Woche hochaktuelle und politisch brisanten Themen verhandelt wurden, wie in keinem anderen Format.
In der „Lindenstraße“ gab es Vielfalt
Er zum Beispiel kenne auch viele Leute, die im Ausland lebten und sich mit den Beimers, Zieglers und Zenkers regelmäßig via YouTube die Heimat ins Haus holten. Andere, Geflüchtete, lernten anhand der Alltagssprache mit der Serie Deutsch.
Wie überhaupt jeder Einzelne sich in der „Lindenstraße“ wiederfinden konnte, egal zu welcher Minderheit oder Gesellschaftsschicht er oder sie gehöre: Ob Griechen, Italiener, Schwule und Lesben, Muslime und Geflüchtete – alle Themen, alle Gruppen hatten in der Serie Platz. Und spätestens seit Gaby Zenker (Andrea Spatzek) durch einen Unfall ertaubte, sogar die Gehörlosen.
Das Leben in der Lindenstraße
Tine Jegminat aus Bargteheide, die selbst ein Hörimplantat trägt, kam zu ihrer Lieblingsserie schon ziemlich früh, „weil eine gehörlose Kellnerin im Café Baier gebärdet hat“, erinnert sie sich. Außerdem sei es die erste Serie im deutschen Fernsehen gewesen, die mit Videotext durchgängig untertitelt war – und damit also auch für Menschen, die nicht hören konnten, verständlich. „Schade, dass am 29. März Schluss damit ist.“
Währenddessen unten noch die Kerzen flackern, treffen sich oben, im 4. Stock des Filmhauses, die Macher: Fast alle Darsteller sind angereist, „Lindenstraße“-Erfinder und Produzent Rolf W. Geißendörfer (78) auch, mit Tochter Hanna, die seit 2015 die Serie mitverantwortet.
Mit dem Serien-Aus hören auch die Treffen auf
Auch WDR-Redakteur Götz Schmedes, der seit drei Jahren die Serie betreut, ist da. Er wird später von „Transformation in die Realität“ sprechen. Davon, wie die „Lindenstraße“ jenseits des Fernsehens weiterleben könnte. „Wir sind mit einigen Museen im Gespräch.“
An diesem Nachmittag aber lassen sich alle noch einmal feiern. Autogrammstunde mit Selfie, Photocall mit Wein. Es ist der Tag für die Fans, die ihre Stars noch einmal drücken und kurz sprechen können. Man kennt sich sowieso schon, von Set-Besuchen und Statisten-Einsätzen und vielen Fanclub-Besuchen.
Dann geht es zum gemeinsamen Rundgang durch die brandneue Ausstellung im Filmhaus, die von der Fernsehwissenschaftlerin Klaudia Wick kuratiert wurde und bis Ende März in Berlin gezeigt wird: Es ist ein Raum mit sechs Kojen und je einem Monitor, an dem sich per Knopfdruck 374 Folgen Revue passieren lassen. 187 Stunden „Lindenstraße“ nonstop.
Die Stimmung aber bleibt ambivalent. Was wird da eigentlich gerade gefeiert? Einer der einzigartigsten Erfolge der Fernsehgeschichte? Eine Beerdigung?
Highlights aus 30 Jahren Lindenstraße
„Ein Abschied, irgendwie“, sagt Rolf Niessen aus Reinfeld, einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein. Seit 2010 betreibt er ein Lindenstraße-Online-Forum mit Fans aus ganz Deutschland, von Kiel bis Pforzheim, und Kontakten in halb Europa. Bald, fürchtet er, „ist auch mit dem Club Schluss“.
Überdenkt die ARD „Lindenstraße“-Aus nochmal?
Ähnliches befürchten auch Peter Huber und Hans-Jörg Aeschliman, die aus der Schweiz angereist sind, wo ihr „Mutter-Beimer-Fanclub“ 50 Mitglieder zählt. Wenn sie sich Ende November wieder zum jährlichen Stammtisch treffen, werden sie Fotos von diesem Treffen zeigen und Autogramme verteilen. Aber ob sie sich nächstes Jahr noch wieder sehen? „Wahrscheinlich nicht.“ Mit der Serie erledige sich auch der Anlass.
Nur die „Lindenstraße“-Kämpfer draußen vor der Tür wollen nicht aufgeben. Sie hoffen, dass es doch noch irgendwie weitergehen wird – „vielleicht nach einer kleinen Pause“, erklärt Petra Namyslo. „Schließlich würden auch die Beteiligten gerne weitermachen“.
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Vielleicht, so ihr letzter Strohhalm, überdenkt WDR-Intendant Tom Buhrow, der zum Jahreswechsel das Amt des ARD-Vorsitzenden und somit des obersten Repräsentanten des Senderverbunds übernimmt, noch einmal die Entscheidung, die „Lindenstraße“ einzustellen.
So oder so – Petra Namyslo, die in Berlin lebt, will auf jeden Fall weitermachen. Alle paar Wochen organisiert sie den „Lindenstraße“-Stammtisch im „Terzo Mondo“ – einem Griechen im Stadtteil Charlottenburg. Das Restaurant war nicht bloß Vorbild für das „Akropolis“ in der „Lindenstraße“, es gehört auch in der Realität Kostas Papanastasiou alias Panaiotis Sarikakis, dem alten Wirt aus der Serie. (kar)