Braunschweig. In der Schau „Crossroads“ des renommierten Liebenburger Künstlers in St. Andreas werden Metropolen zu visionären Zeichengeflechten.

Massige Häuserblocks, Wolkenkratzer, die sich aus der Fußgängerperspektive bedrohlich zu neigen scheinen, historische Monumente, Straßenfluchten, Werbebanner, Schilder, Stahlkonstruktionen. In der Kunst vonGerd Winner abstrahieren, verdichten und überlagern sich städtische Strukturen. Sie bilden neue Formen und Geflechte, werden ihrer ursprünglichen Funktion entrückt und zeichenhaft. Mittels Siebdruck und Mischtechniken formt sich aus Fotografien und Erinnerungen eine neue über-natürliche Kunstwirklichkeit, faszinierend, vieldeutig, rätselhaft.

Aktuell ist das in der BraunschweigerSt. Andreaskirche zu erleben, wo der vielfach ausgezeichnete Maler und Grafiker in Zusammenarbeit mit der Landeskirche Braunschweig die Ausstellung „Crossroads – Spuren und Zeichen“ zeigt. Mehr als 40 großformatige Werke des gebürtigen Braunschweigers, der seit langem auf Schloss Liebenburglebt und arbeitet, füllen das Kirchenschiff. Einige sind erst in jüngerer Zeit entstanden. Sie kennzeichnen kantige Schriftzüge, die quer über die Motive laufen, sie regelrecht durchkreuzen: „Exodus“, „Babylon“, „Apokalypse“ und „Passion“ etwa.

Die christlichen Bezüge im Werk Gerd Winners

Die christlichen Bezüge sind kein Zufall. „Die Bücher der Bibel und das Testament Christi bleiben ein Fundus für meine existentiellen Anfragen an unsere Gegenwart“, sagt Winner im Gespräch mit Landeskirchensprecher Michael Strauss, das im hochwertigen Ausstellungskatalog abgedruckt ist.

Der 87-jährige Künstler erläutert darin auch, wie er auf sein Lebensthema kam, die Reflexion von städtischen Strukturen: durch das Trauma des komplett kriegszerstörten Braunschweigs in seinen Kindertagen, aber auch durch seine Erfahrungen im Berlin der 1950er Jahre: „Einem Phönix gleich wuchs neues Leben in der Stadt. Aus der Apokalypse erwuchs Hoffnung.“

Das Brandenburger Tor wird zur Sperrzone verdichtet

Gerd Winner:
Gerd Winner: "Exodus", Mischtechnik auf Karton. © Katalog | Gerd Winner

Winner hat zwischenzeitlich in London gelebt, auch New York, Tokio und München, wo er als Professor an der Kunstakademie lehrte, kennt er gut. In seinen Werken wimmeln keine Menschen; den Künstler interessieren nur ihre Schöpfungen, Infrastrukturen, Stadträume, Gebäude. Die Menschenleere trägt zu der überzeitlichen, mystischen Aura seiner Arbeiten bei.

Schemenhaft überlagern und überblenden sich auf Grundformen reduzierte New Yorker Hochhäuser in stürzenden und fallenden Linien, in einem magischen Spiel von verdichteten und ausgedünnten Schwarz- und Grauwerten. Das Brandenburger Tor zerfällt in seine Bestandteile, die sich zugleich vervielfältigen und das Tor in ein undurchdringliches Geflecht verwandeln. „No Entry“ und „Passion“ sind diese Sinn-Bilder betitelt.

Der Eindruck von Chaos und Überforderung

In einigen Werken wird der Eindruck von Chaos und Überforderung noch durch intensive Farbigkeit verstärkt. Aufschriften wie „Liberty“ und „Utopia“ entfalten gerade dann ihre Wirkung, wenn sie dem bedrängenden Eindruck der verdichteten Stadtstrukturen zuwiderzulaufen scheinen.

Andere motivisch reduzierte Großformate Winners strahlen eine tiefe Ruhe aus. Und auf einigen finden sich Kreuzformen, etwa im Schattenriss eines Straßenschildes oder auch in einer Himmelslücke, die sich zwischen zusammenragenden Wolkenkratzern auftut.

Wie Hannoveraner Landebahnen zum Kunstwerk werden

Fesselnd auch die scheinbar abstrakte Werkgruppe „Ankunft“ im Altarraum. Tatsächlich handelt es sich um bearbeitete Impressionen von Landebahnen des Flughafens Hannover, mit dynamischen, farblich hervorgehobenen Markierungen und Spuren von Reifenabrieb auf grauschimmerndem Beton.

Bis 28. April, Mi.-So. 15 bis 17 Uhr. Predigtreihe zur Ausstellung sonntags 10 Uhr mit Pfarrerin Viehweger (24. März); Domprediger i.R. Hempel (7. April), OLK Hofer (14. April) Pfarrer Kumitz-Brennecke (21. April).