Braunschweig. Die Schauspiel-Produktion „Supergute Tage“ wurde abgesagt. In den Social-Media-Kanälen eskaliert ein Streit um Diskriminierung.

Es sollte ein Stück werden, das ein Zeichen für Inklusion und Teilhabe setzt. Die Geschichte eines psychisch beeinträchtigten Protagonisten und seiner Wahrnehmung der Welt. Aber nach kurzer Probezeit endet das Projekt in einer öffentlichen Schlammschlacht. Das Staatstheater Braunschweig hat die für den 23. März geplante Premiere der Schauspiel-Produktion „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ abgesagt. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit Schauspielerin Alina Buschmann um Arbeitsbedingungen und Diskriminierungsvorwürfe. Wie konnte es so weit kommen?

Buschmann, die sich als „psychisch krank, chronisch krank und neurodivergent“ bezeichnet, wirft dem Staatstheater nach Ende des Projekts Benachteiligung und fehlende Barrierefreiheit vor. Konkret entzündete sich der Streit vor allem an der Art des Arbeitsverhältnisses. Vor den Proben habe man sich mündlich auf Bedingungen der Zusammenarbeit geeinigt, behauptet Buschmann. Die Künstlerin, die unter anderem gehbehindert ist, hatte nicht nur Barrierefreiheitsanforderungen wie einen Fahrer zwischen den Spielstätten gefordert, sondern auch, selbständig „auf Rechnung“ zu arbeiten.

Staatstheater Braunschweig und Alina Buschmann sind sich über Vertrag nicht einig

Damit wollte sie sicherstellen, dass ihr keine Kürzungen von Hilfen drohen. Dies habe ihr die Führungsetage des Staatstheaters zugesichert. Das Staatstheater wiederum sagt, dass man Mitarbeiter auf der Bühne grundsätzlich nur mit befristeten Festanstellungen während eines Proben- und Aufführungszeitraums anstellen dürfe – weshalb die Verwaltung einer freien Mitarbeit nicht zugestimmt habe.

In der Staatstheater-Mitteilung zum Aus der Produktion heißt es hierzu aber auch: „Parallel zu den laufenden Proben und unter großem Zeitdruck gab es intensivste Bemühungen, mit Alina Buschmann eine Vertragsbasis zu finden, die ihren und den rechtlichen Anforderungen des Theaters, insbesondere in sozial- und steuerrechtlicher Hinsicht, entsprechen.“ Dies sei jedoch „auch nach mehrfacher externer juristischer und fachlicher Beratung“ nicht gelungen. Ohne die Mitwirkung der Schauspielerin Alina Buschmann sehe das Staatstheater aktuell keine Möglichkeit, die Proben zu Ende zu führen.

Dabei hatte alles friedlich angefangen: Zunächst hatte die 31-Jährige als Beraterin am Staatstheater einen Workshop zum Thema Inklusion und Anti­diskriminierung durchgeführt. Dann ersetzte sie in einer frühen Probenphase spontan ein erkranktes Ensemblemitglied bei „Supergute Tage“. Das Regieteam um Mirjam Loibl wollte die Lücke mit einer „neurodivergenten Spielerin“ füllen – eine Idee, die das Theater ausdrücklich unter­stützte.

Glossar

Neurodivergenz/Neurodiversität: Bezeichnet laut Duden „nicht als krankhaft, sondern als natürliche Vielfalt aufgefasste neurobiologische Entwicklungsspezifiken beim Menschen (wie Autismus, ADHS, Synästhesie u. a.“. Es geht um die Idee, dass die Funktionsweisen menschlicher Gehirne Teil eines Spektrums sind. Dabei werden Unterschiede nicht als Defizite gesehen. Das Konzept wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert, unter anderem zur Frage, inwieweit die Unterteilung von Menschen in verschiedene Neurotypen Sinn macht.

Ableismus: Beschreibt die Diskriminierung von behinderten Menschen, also die Ungleichbehandlung aufgrund von mentalen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Es ist damit, je nach Kontext, auch die Reduzierung der Menschen auf ihre Behinderung gemeint, also eine stereotype Wahrnehmung.

Schauspielerin Alina Buschmann übt massive Kritik am Staatstheater Braunschweig

Die aus Gifhorn stammende Alina Buschmann ist eine der Herausgeberinnen des Buches „Angry Cripples – Stimmen behinderter Menschen gegen Ableimus“. Sie sieht sich als Aktivistin im Kampf gegen die Diskriminierung behinderter Menschen. 
Die aus Gifhorn stammende Alina Buschmann ist eine der Herausgeberinnen des Buches „Angry Cripples – Stimmen behinderter Menschen gegen Ableimus“. Sie sieht sich als Aktivistin im Kampf gegen die Diskriminierung behinderter Menschen.  © Leykam-Verlag | Privat

Nach dem Aus aber machte Buschmann ihrem Unmut auf Instagram mit scharfen Worten Luft. „Ableismus“, also eine Ungleichbehandlung aufgrund ihrer Behinderung, lautete der Vorwurf der Schauspielerin und Aktivistin. Sogar von Gewalt und „Gaslighting“ (psychischer Manipulation) war zeitweise in ihren Instagram-Storys die Rede.

Daraufhin veröffentlichte das Staatstheater ebenfalls auf Instagram eine Stellungnahme und schrieb: „Das Team weist die Vorwürfe von Frau Buschmann entschieden zurück. Wir sind ihren Wünschen bezüglich der Barrierefreiheit komplett nachgekommen. Der strittige Punkt ist und war von Anfang an die von ihr gewünschte Vertragsform der Selbstständigkeit.“ Und weiter: „Den für alle Darsteller:Innen am Theater üblichen, unselbstständigen sozialversicherungspflichtigen Vertrag hat Frau Buschmann abgelehnt.“

Staatstheater Braunschweig rudert schuldbewusst zurück

In den sozialen Medien machte das Staatstheater dann allerdings eine Rolle rückwärts. Das ursprüngliche Statement wurde gelöscht. Auf Instagram gab sich das Haus nun weitaus defensiver und schuldbewusst. Am 7. März erklärte es: „Wir haben Fehler gemacht, das bedauern wir sehr und dafür bitten wir um Entschuldigung – vor allem bei Alina Buschmann. Unser erstes Statement ist ableistisch und darf so nicht stehen bleiben. Es tut uns unfassbar leid, dass wir das nicht früher und im vollen Ausmaß realisiert haben und, dass dadurch großer Schaden entstanden ist.“

Man bedauere zutiefst, dass Barrieren nicht hätten abgebaut werden können. Und weiter: „Wir haben widersprüchlich kommuniziert, falsche Versprechungen gemacht und zu lange gebraucht, uns diese internen Kommunikationsfehler und deren Folgen einzugestehen.“ Um weiteren Schaden abzuwenden, werde man die begonnene interne Aufarbeitung fortführen. Alina Buschmann antwortete: „Danke, aber wäre es nicht vorher angebracht gewesen, sich tatsächlich bei mir zu entschuldigen? Ihr habt meine Telefonnummer.“

Und sie schoss weiter gegen das Haus, das nach eigener Aussage großen Wert auf eine Zusammenarbeit mit be­hinderten Menschen legt und auch für die nächste Spielzeit eine Bühnenproduktion mit behinderten Künstlern plant. Buschmann schreibt hierzu auf ihrem Kanal: „Wenn in der Pressemitteilung steht, dass da bald ein*e andere behinderte Künstleri*in arbeitet, bekomme ich Angst um diese Person, ohne sie zu kennen.“ Und weiter: „Ich weiß, was diese Strukturen und einzelne Führungskräfte mit mir gemacht haben. Wie gewaltvoll und grenzüberschreitend sie waren und, was vielleicht am schlimmsten ist: Wie sie wiederholt nicht in der Lage waren, dieses Verhalten zu reflektieren oder überhaupt anzuerkennen.“

Auf Nachfrage, was „gewaltvolles und grenzüberschreitendes“ Verhalten für sie bedeutet, sagt Buschmann: „Wenn Du diskriminierst, ist das gewaltvolles Verhalten.“ Als grenzüberschreitend habe sie empfunden, dass ihr Wunsch nach einer selbstständigen Tätigkeit nicht berücksichtigt wurde. Buschmann bleibt dabei: Das Theater habe nicht ausreichend nach Lösungen gesucht.

Braunschweigs Staatstheater-Intendantin Dagmar Schlingmann.
Braunschweigs Staatstheater-Intendantin Dagmar Schlingmann. © Braunschweig | Peter Sierigk

Generalintendantin Dagmar Schlingmann wünscht sich mehr vertragliche Flexibilität

Generalintendantin Dagmar Schlingmann gibt sich problembewusst: „Wir haben mehrfach versucht, die vertragliche Situation zu klären.“ Sie sehe den Fehler ein, dass man Buschmann missverständlich im Glauben gelassen habe, dass eine Lösung bezüglich des Vertrags gefunden werden könne. Ein Grundproblem sei, dass das Theater als öffentlich-rechtliche Institution nicht den Vertrag anbieten konnte, den Buschmann sich gewünscht habe. Und fügt an: „Wir werden am Freitag in Braunschweig ein persönliches Gespräch führen, um zu erfahren, was aus ihrer Sicht nicht gut gelaufen ist.“ Ihr Wunsch sei zudem, in eine Situation zu kommen, in der es mehr Spielraum gebe, behinderte Menschen am Theater zu beschäftigen. Sie sagt: „Ich sehe ein strukturelles Problem, solche Verträge flexibler zu gestalten und individueller zu reagieren.“