Braunschweig. Christoph Diem inszeniert im Staatstheater Tania Blixens Erzählung „Babettes Fest“ mit Überraschungen in eindrucksvollem Bühnenbild.

Liese rieselt der Schnee in Braunschweigs Kleinem Haus. Die leuchtend gelbe Hütte in einer Wand aus Eis wirkt einladend. Als wär’s ein Saunahäuschen am Fjord. Florian Barth hat für die Adaption von Tania Blixens Erzählung „Babettes Fest“ im Staatstheater ein fast heimeliges und zugleich symbolhaftes Bühnenbild geschaffen. Ob nun Jütland, wie in dem oscarprämierten Film, oder Norwegen, wie in Blixens Erzählung, man ist jedenfalls weit oben im Norden, in unwirtlicher Natur, und das färbt ab auf die Lebensumstände.

Die Fräulein Philippa und Martine, die Töchter des Propsts, heißen zwar nach den Reformatoren Melanchthon und Luther, aber des letzteren genüsslich-lebenszugewandte Art haben sie nicht. Die kargen Umstände in der schwer nutzbaren Landschaft haben zu einer Verinnerlichung geführt, die als Pietismus sozusagen geistig das Herz wärmen muss. Da bleibt wohl manches, insbesondere erotische Gefühl unterdrückt.

Die Küche liegt im Eisberg

Stattdessen regiert, untadelig, die Nächstenliebe. Bevor nicht auch die Armen angemessen gespeist sind, kommt im pröpstlichen Haushalt kein Essen auf den Tisch. Und zwar Stockfisch und Brotsuppe, keine Schlemmereien. Es muss eben für alle (gleich) reichen.

Vielleicht hat deshalb der Ausstatter die Küche nicht in die Hütte, sondern in den Eisberg gebaut, das Publikum sieht nur durch eine Art Breitwandfenster, wie eisig es darinnen ist. Überhaupt bekommen die Zuschauenden erstmal nur die Fassade gezeigt. Eine pietistische Dorfgemeinschaft von außen, wie’s da drinnen aussieht, geht niemand was an. Die Figuren des Stücks sind immer zugleich Erzählende und Spielende. Das hat was von Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“.

Warten im erleuchteten Fenster: „Babettes Fest“ spielt in der norwegischen Einöde. Das Fräulein Philippa (Gertrud Kohl) verpasst eine Gesangskarrriere in Paris.
Warten im erleuchteten Fenster: „Babettes Fest“ spielt in der norwegischen Einöde. Das Fräulein Philippa (Gertrud Kohl) verpasst eine Gesangskarrriere in Paris. © Björn Hickmann/ stage picture | Björn Hickmann/ stage picture

Christoph Diems Inszenierung kommt still und feinfühlig daher. Da die Figuren eher wortkarg sind, schon gar nicht über Gefühle zu reden vermögen, lassen die Schauspielerinnen und Schauspieler vieles Ungesagte in Blicken, Gesten, abgebrochenen Bewegungen spürbar werden. Saskia Petzold schaut dem smarten Offizier Lorens nur etwas zu lange, etwas zu verlangend in die Augen. So kurz sind sie vorm Kuss, aber Lorens ist ja zur Gesittung in diese Gegend und unter die Obhut seiner frommen Tante gekommen. Mattias Schamberger spielt sie herrlich knorrig und ländlich glaubensfest.

Der erste Katholik am Fjord

Georg Mitterstieler nimmt man als Lorens den Charmeur, der er bis eben war, sofort ab. Dass er sich nun gerade Martine gegenüber so zusammennimmt, wird ihr Lebenspech. Es wird für sie keine andere Gelegenheit mehr geben. Während er nun in Selbstzucht Karriere macht.

Gertrud Kohl mimt Philippa etwas neckischer, soll diese nordische Propsttochter doch eine Stimme haben, die an der Pariser Oper reüssieren könnte. Meint jedenfalls der Sänger Achille Papin, der erste leibhaftige Katholik, den diese Region je zu sehen bekam. Gekonnt ahmt Kohl die manirierte Mimik damaliger Sängerinnen zu Bandeinspielung nach. Tobias Beyer führt dagegen mit Locken und Dickbauch die etwas kapaunische Variante des klassischen Opernsängers vor. Als der Gesangsunterricht in Annäherung ausartet, verzichtet Philippa auf die Stunden, so heißt es knapp.

Der smarte Offizier Lorens (Georg Mitterstieler) hat sich auferlegt, züchtig zu werden. Fräulein Martines (Saskia Petzold) Erwartungen werden enttäuscht.
Der smarte Offizier Lorens (Georg Mitterstieler) hat sich auferlegt, züchtig zu werden. Fräulein Martines (Saskia Petzold) Erwartungen werden enttäuscht. © Björn Hickmann/ stage picture | Björn Hickmann/ stage picture

Festessen mit Wachteln und Champagner

Und plötzlich steht Babette vor der Tür. Lea Sophie Salfeld gibt ihr von vornherein Selbstbewusstsein und einen Hauch Raffinement. Der gestandenen Köchin und geflohenen Kommunardin könnten die beiden Fräuleins eh nichts entgegensetzen. Die Händler, wie erzählt wird, auch nicht: Wenn sie einkauft, müssen sie ihre Preise akzeptieren, nicht umgekehrt. Das kommt der Küche und damit den Fräuleins und den Armen zugute, kann also nur gottgefällig sein.

Und ebenso, dass sie, viele Jahre in Demut später, ihren Lotteriegewinn mit einem selbst gekochten Festmahl für alle feiern will. Da öffnet sich die Fassade, werden wir, mehr als hier verraten sein soll, überraschend eingelassen in des Herzens Haus. Erfahren unter dem Eindruck von Wein, Schildkrötensuppe, Wachtelpasteten und Champagner, welche Gefühle und Leidenschaften unter den schlichten Röcken brodelten. Lorens ist zufällig zu Besuch, schwelgt noch einmal im Genuss. Und es kommt zwischen ihm und Martine auch noch zu zarten Geständnissen. Dabei bricht jetzt aber nicht der Lebensschmerz auf, sondern eigentlich nur ein Moment der Rührung, eine Bestätigung vergangener Gefühle, die von anderen überholt wurden.

Kochen als Kunst-Performance

Die Inszenierung denunziert die pietistische Lebensart nicht, auch weil die anderen, streitbaren bis bigotten Dorfbewohner weggelassen werden. Am Ende sind Philippa, Martine und Babette sogar im Rang des Zuschauerraums vereint und blicken auf die noch unbewusst schwelgenden Gäste, das Publikum hinab: Die zwei sich im Dienste des Nächsten bescheidenden Fräuleins haben ebenso Bewusstseinsklarheit wie Babette, die Koch-Künstlerin, deren politische Ideen gescheitert sind.

Kochen für die Bonapartisten, die ihre Familie umbrachten und sie vertrieben? Leben für die Armen, die sich auch nicht um das Glück der Schwestern scheren? Die drei grüßen als Künstlerinnen, die an ihren Lebensüberzeugungen festhalten, die Welt durch ihr Wirken immerhin ein Stückchen zu verändern. Insofern ist das nicht nur eine schön erzählte, sondern auch nachdenklich überformte Geschichte.

Wieder am 22., 24., 26. November, 8., 9., 17., 21., 23., 26. Dezember. Karten: (0531) 1234567 und www.konzertkasse.de