Braunschweig. Reich bebilderter und gut erklärter Katalog zur Ausstellung „Ein Teil von uns“ über jüdische Kultur im Braunschweiger Land erschienen.

Die Rettung der Hornburger Synagoge stand am Anfang der Judaica-Sammlung des Braunschweigischen Landesmuseums. Sie ist bis heute ihre größte Attraktion. Man kann sich der ästhetischen wie historischen Suggestivkraft dieses Ensembles nicht entziehen, das alte Holz, die farbig hervorgehobenen Schnitzereien, die mit gemalten Blumenbalustraden innen verzierte Kuppel, die beiden fast mannshohen Gebetstafeln, die an Moses und die Zehn Gebote in mancher Kirche denken lassen.

All das wirkt feierlich-würdevoll und irgendwie vertraut. Der 1766 von den Hornburger Juden für die Inneneinrichtung ihrer Synagoge gewählte Barockstil ist ja für den Sakralbau bekannt. Der neue Katalog zur 2021 eröffneten Neupräsentation der Judaica des Landesmuseums geht detailreich auf die Bestandteile der Synagoge ein. Er dokumentiert die hohe Wertschätzung, die wir heute der jüdischen Kultur und den Menschen, die sie prägten, entgegenbringen.

Blick in die Kuppel der Hornburger Synagoge im Landesmuseum Hinter Ägidien Braunschweig.
Blick in die Kuppel der Hornburger Synagoge im Landesmuseum Hinter Ägidien Braunschweig. © Braunschweigisches Landesmuseum, Anja Pröhle | Braunschweigisches Landesmuseum

Eine Synagoge fürs Vaterländische Museum

„Ein Teil von uns“ heißen Ausstellung und Katalog, denn wie in den interessanten Vorworten zu erfahren ist, sind Spuren jüdischen Lebens in Niedersachsen seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar. Während der Konfessionsauseinandersetzungen im 16. Jahrhundert wurden die Juden aus dem protestantischen Braunschweig ausgewiesen, 1707 kehrte der erste jüdische Bürger zurück, Alexander David wurde „Hofagent“, was immer das war. Er besorgte dem Hof Geld und ausländische Luxusgüter.

Es ist die Zeit, als auch in Hornburg, das zunächst zum Halberstädter Oberrabinat im Land Brandenburg-Preußen gehörte, das jüdische Gemeindeleben aufblühte, die Gemeinde selbständig wurde, sich die eigene Synagoge erbaute. Gut 200 Jahre später, 1923, starb die Gemeinde aus, mit dem Tod von Amalie Schwabe endete das jüdische Leben in Hornburg. Das Gebäude war längst baufällig, aber die Einrichtung intakt.

Es beginnt eine spannende Rettungsaktion, initiiert vom damaligen Direktor des „Vaterländischen Museums“, Karl Steinacker, und unterstützt von Rabbiner Hugo Schiff, dem Künstler Ephraim Moses Lilien, der Finanzkraft der Stadtoldendorfer Weberei Rothschild und den Transportfahrzeugen des Konservenfabrikanten Maseberg, Verwandter der Kunstagentin Galka Scheyer (die in der Schau fehlt).

Aufklärung und Reformjudentum

Eine Synagoge im Vaterländischen Museum? Man sieht, dass die Aufklärung Lessings und Moses Mendelssohns ihre Wirkung gezeitigt hatte. Und das liberale Reformjudentum mit seinen neuerdings kirchenähnlichen Bauten und Strukturen zu einer Annäherung beitrug. Die Synagoge zog auf der Rückseite des barocken Hochaltars aus dem Braunschweiger Dom als Dokument jüdischen Lebens in den Ausstellungsort Ägidienkirche ein. Bei der Inszenierung wurde allerdings die Ostausrichtung des Tora-Schreins missachtet.

Bügel des Kaufhauses Hamburger & Littauer, das während des Nationalsozialismus von Boykott- und Störaktionen betroffen war.
Bügel des Kaufhauses Hamburger & Littauer, das während des Nationalsozialismus von Boykott- und Störaktionen betroffen war. © Braunschweigisches Landesmuseum, Anja Pröhle | Braunschweigisches Landesmuseum

Der Katalog dokumentiert nicht nur die kulturgeschichtlichen Zeugnisse wie Bilder der repräsentativen neomaurischen Neuen Synagoge zu Braunschweig von Constantin Uhde, des Jacobstempels nebst Jacobson-Schule zu Seesen oder der auch für nicht-jüdische Kinder offenen Samsonschule zu Wolfenbüttel. Es ist auch das „Gesuch der Bekenner des jüdischen Glaubens im Herzogtum Braunschweig“ zu finden, mit dem 1831 vom Herzog die rechtliche Gleichstellung erwirkt werden sollte. Das Wahlrecht wurde immerhin 1832 erreicht, manche berufliche Diskriminierung, etwa für den Staatsdienst, hielt aber an.

Und so ist die Geschichte dieses jüdischen Teils von uns, der nie mehr als ein Prozent der Stadtbevölkerung ausmachte, leider auch immer wieder eine der Ausgrenzung, während des Nationalsozialismus der Verfolgung und Ermordung. Vom Ehrenkreuz des Frontkämpfers Iwan Weinberg aus dem Ersten Weltkrieg geht es so zu den silbernen Serviettenringen seiner Familie, die sie wie wie allen Hausrat bei ihrer Flucht nach Südafrika zurücklassen mussten.

Verfolgung und Ermordung im Nationalsozialismus

Manchmal spricht ein einfacher Kleiderbügel, mit Aufdruck des Braunschweiger Kaufhauses Hamburger und Littauer, Bände. Littauer hatte zu den Spendern fürs Vaterländische Museum gehört. Ab 1933 litt sein Haus unter den Boykott- und Störaktionen der SS, versuchte er sich durch arische Geschäftsführer zu retten, was misslang.

Und selbst Museumsschilder erzählen Geschichten. So blieb die Hornburger Synagoge zwar auch während des Nationalsozialismus im Museum stehen, eine Tafel erklärte sie allerdings zum „Fremdkörper in der deutschen Kultur“, die barocke Dorfkirchenform verberge nur die dahinterstehende „jüdische Welt des Alten Testaments“ (als ob dieses nicht zur Bibel gehörte).

Gedenkblatt des Jugendstil-Künstlers Ephraim Moses Lilien zum 5. Zionistenkongress 1905 in Basel.
Gedenkblatt des Jugendstil-Künstlers Ephraim Moses Lilien zum 5. Zionistenkongress 1905 in Basel. © Braunschweigisches Landesmuseum, Anja Pröhle | Braunschweigisches Landesmuseum

Nach dem Krieg blieb die Synagoge eingelagert, was die Decken unwiederbringlich schädigte. Unter Gerd Biegel kam es 1987 zur Neupräsentation in ihrer wahrscheinlich klarsten Gestalt, didaktisch zur Erklärung von Religion und Riten gut lesbar aufbereitet. Chanukka-Leuchter, Zedaka-Büchse (für Spenden), ausklappbare Tafeln mit Tora-Wimpeln informieren auch im Katalog über diese Hintergründe.

Programme des „Kazet-Theaters“

Waren viele Objekte gerade nach der Rettung der Hornburger Synagogeneinrichtung von jüdischen Mitbürgern selbst ins Museum gegeben worden, weil sie auf die neue Wertschätzung bauten, mussten gerade die Dokumente der Schoa systematisch angeschafft werden: Bilder und Programme aus dem „Kazet-Theater“ etwa.

Aber eben auch Blätter und Medaillen des mit einer Braunschweigerin verheirateten Jugendstil-Künstlers Ephraim Moses Lilien, der 1905 ein Gedenkblatt zum 5. Zionistenkongress entwarf. Mit herrlicher Schwinge weist der Engel dem hinter Stacheldraht kauernden alten Juden den Weg ins Gelobte Land mit aufgehender Sonne. Bilder von der Einweihung der Neuen Synagoge in Braunschweig 2006 bekräftigen, dass jüdisches Leben genauso Teil der deutschen Gesellschaft war und immer bleiben wird.

„Ein Teil von uns. Deutsch-jüdische Geschichten aus Niedersachsen“, Wallstein-Verlag, 304 Seiten, 290 Abbildungen, 24 Euro.