Göttingen. Mit seinem ersten Roman „Der Ursprung der Welt“ sieht sich Schauspieler Ulrich Tukur im schwarzromantischen Genre.

Er müsse sich beeilen, damit er es rechtzeitig in seinen Tatort schaffe und Wolf Biermann scharre sicherlich auch schon hinter dem Vorhang mit den Füßen. Mit ganz viel Humor startete der Schauspieler, Musiker und Autor Ulrich Tukur in die Lesung zu seinem ersten Roman „Der Ursprung der Welt“ beim Literaturherbst in Göttingen.

Wie solle er anfangen, um die Brücke zu der Geschichte zu schlagen, stellt er sich selbst die Frage und gibt die Antwort mit seinem Umzug 1999 nach Venedig. Schnell wäre ihm klar gewesen, dass dieses herrliche Bühnenbild dort bespielt werden müsse, denn er habe kein Zugvogel in der Stadt sein wollen.

So habe er zuerst kleine Erzählungen über die Stadt geschrieben und sich letztendlich über seine Novelle „Die Spieluhr“ an seinen ersten Roman herangetastet. In einem kleinen Hotel in Zürich habe er dann den letzten Satz geschrieben. Tukur liebt nach eigener Aussage die schwarzromantische Literatur eines E.T.A. Hoffmann oder eines Edgar Allan Poe und in dieser Tradition sei der Roman geschrieben.

Zu dem Buch inspiriert wurde Tukur durch ein Fotoalbum aus den 1920er Jahren, das er bei Dreharbeiten in Frankreich geschenkt bekam. Darin entdeckte er einen Mann mit Strohhut. Dieser inspirierte ihn zu einer Geschichte über einen Menschen, über den er nichts wusste und den er nicht kannte. In dem Zusammenhang fiel Tukur auch die Geschichte seiner Großeltern ein, die in Teilen mit einfloss.

Tukur stürzt sich fortan lesend und teils zur Überbrückung der Handlungsstränge erklärend in einen Parforceritt durch die Handlung seines Romans. In diesem erzählt er die Geschichte eines Menschen im Jahr 2033, der plötzlich auf sein zweites Ich stößt und dabei in zwei Teile zerfällt, in einen Guten und einen Bösen. Der Titel des Romans ist an ein gleichnamiges skandalumwittertes Bild von Gustave Courbet von 1866 angelehnt.

Ein Replikat des Bildes weckt bei dem jungen Protagonisten Paul Goullet den Eindruck, dass der dort abgebildete Körper der seiner Mutter sei, von der er ansonsten kein Bild hat, weil sie starb, als er gerade sieben Jahre alt war. Nur an ihren nackten Körper erinnert er sich, ihr Gesicht hatte sein Gedächtnis jedoch ausgelöscht. Mit dem Bild verbundene Fantasien und Obsessionen führen ihn in ein Frankreich, das von einer nationalistischen Koalition regiert wird. Den politischen Hintergrund des Romans bildet ein Europa in Auflösung. Er sehe die Gesellschaft zerbrechlich wie einen menschlichen Körper, so Tukur.

In Paris angekommen stößt Goullet bei einem Bouquinisten auf ein altes Fotoalbum, in dem er Fotos von sich selbst aus einer Zeit um die 100 Jahre zuvor entdeckt. Er macht sich auf die Suche nach dem, der er vielleicht einmal war oder noch ist. Dabei vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit, es entsteht eine Aufhebung der zeitlichen Dimension und letztendlich macht er in einem südfranzösischen Küstenstädtchen am Fuße der Pyrenäen eine furchtbare Entdeckung.

Faszinierend in Tukurs Roman ist sowohl die bildgewaltige Sprache als auch die sehr detailverliebten Schilderungen. In einem Traum stürzt Goullet im elterlichen Haus eine Treppe hinab. Er sieht das Ende auf sich zukommen, während seine Mutter ihm erscheint. „Du hast es bis hierher geschafft, geh’ bis ans Ende, lass dich nicht aufhalten“, lautet das letzte Zitat Tukurs aus seinem Buch, bevor er den Besuchern mit einem Augenzwinkern viel Spaß beim Tatort wünscht.