Braunschweig. Der Blick ins Volksbuch vom Till Eulenspiegel erweist: Der vermeintliche Spaßmacher ist eklig und böse.

Unser Eulenspiegel

Wer ist das eigentlich? Was hat er uns noch zu sagen? Schauen wir doch nochmal rein in das Volksbuch von 1510, das vermutlich vom Braunschweiger Zollschreiber Herman Bote verfasst wurde.

Im kollektiven Bewusstsein ist Till Eulenspiegel ja verankert als ein zwar derber, aber doch auch gewitzter Spaßmacher, als lustiger Leute-Verarscher, respektlos gegen Obrigkeit und Kirche. Einer, der seine Späße dazu nutzt, „die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bloßzustellen und die Missstände seiner Zeit aufzudecken“ (Wikipedia).

Der Witz besteht häufig darin, dass er irgendwo hinscheißt

Der Schriftsteller Erich Kästner meinte, Till sei wie ein Clown, der aus dem Zirkus ausgebrochen sei, weil er nicht mehr wollte, dass die Leute über ihn lachen. Sondern umgekehrt: Er wollte die Leute auslachen.

Diese ja doch irgendwie positive und sympathische Sicht auf den vermeintlich sozialrevolutionären Schalk hält der Lektüre nicht stand. Die mittelalterlichen Leser mochten sich amüsieren über die (im Wortsinne) kackfreche Art des Schalks und die hanebüchene Leichtgläubigkeit seiner Opfer – und sich überlegen fühlen. Till selbst ist aber eine durch und durch miese Type: Er weigert sich, einen Beruf zu erlernen, ist arbeitsscheu und an nichts interessiert als dem eigenen Vorteil. Erbarmungslos.

Markant ist sein Stuhlgang. Häufig besteht der Witz der Episoden darin, dass er irgendwo hinscheißt. In einem Kapitel gar zweimal hintereinander. Auch furzt er viel. Einmal spuckt er einen Batzen Nasenschleim in den Brei einer armen Frau, um diesen allein aufessen zu dürfen.

Der Tiefpunkt: Im Wettstreit mit einem anderen Schalk um 20 Gulden und edle Kleider scheißt er in den Saal und isst die Hälfte davon auf. Da gibt sich der andere mit einem letzten Rest Würde geschlagen: „Nein, das tue dir der Teufel nach! Und sollte ich mein Lebtag nackend gehn, ich esse so von dir oder von mir nicht.“

Eulenspiegel hasst Kinder und liebt auch die Tiere nicht. Um eines Spaßes willen tötet er zum Beispiel einmal sein Reitpferd und weidet es aus. Ein anderes Mal wirft er einen lebendigen Hund in einen brodelnden Bottich.

In der Beichte bereut er, dass er nicht mehr Schandtaten beging

Und was ist mit dem Stachel gegen die Obrigkeit? Nun, Pfaffen verarscht er genauso wie Handwerker, Bauern, Wirte, Weiber. Manchmal paktiert er auch mit ihnen. Ebenso skrupellos schädigt er auch Juden, Arme, Blinde.

Kästners Beobachtung ist nicht ganz falsch. Mitunter rächt sich der betrügerische Streuner für erlittenes Unrecht. Oft gibt es aber auch gar keinen Grund. Wie wenig er sich gegen die Obrigkeit wendet und wie er sogar denjenigen schadet, die ihm helfen, dafür steht exemplarisch die 21. Episode.

Die Braunschweiger Herzöge haben in Einbeck ein Volksfest gegeben. Hinterher liegt Till überfressen und besoffen am Wegrand. Er fleht einen armen Bauern an, ihn auf seinem Karren mitzunehmen. Der Bauer hat Pflaumen geladen. Während der Fahrt bescheißt Eulenspiegel dieselben. Ergebnis: „Der brave Mann musste die Pflaumen wegfahren auf die Abfallgrube und durfte sie nirgends verkaufen.“

Und die Moral von der Geschicht’? Es gibt keine Moral. Selbst als es ans Sterben geht. Zwar geht Till ins Kloster. Aber sogleich sorgt er mit einem üblen Streich dafür, dass die Mönche sich die Knochen brechen. Bei der Beichte bereut er, dass er drei Schandtaten nicht begangen hat.

Der Autor berichtet das alles neutral. Er wertet nicht.

Das Buch ist eine nihilistische Botschaft aus dem späten Mittelalter, Till Eulenspiegel der Prototyp einer heillos verdorbenen Welt. Ein lustiges Buch? Nun ja, zuweilen. In Maßen. Ganz gewiss aber ein schauerliches Buch. Eine frühe Botschaft vom Zerfall der Gottesfurcht.