Berlin. Die Polizei geht gegen eine rechtsterroristische Gruppierung vor. Im Zentrum des Netzwerks: ein Adeliger, Heinrich XIII. Prinz Reuß.

In dem Netzwerk der mutmaßlichen Rechtsterroristen spielte ein Adeliger laut Ermittlungsbehörden eine zentrale Rolle: Heinrich XIII. Prinz Reuß. Am Mittwochmorgen um kurz vor 6 Uhr stehen schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei am Schloss Waidmannsheil in Ostthüringen, ein kleines Jagdschloss, die Siedlung ist nach Angaben unseres Reporters vor Ort weiträumig abgesperrt. Der Bau ist Residenz der fürstlichen Familie Reuß. Hier aber, so scheint es, vermuten die Polizisten an diesem Morgen ein Waffenlager.

Schlüsselfigur Prinz Heinrich festgenommen: 25 Verhaftungen in Reichsbürger-Szene

Heinrich XIII. Prinz Reuß soll Schlüsselfigur eines Netzwerks von Verschwörungsideologen und sogenannten „Reichsbürgern“ sein. Der Generalbundesanwalt ermittelt, Razzien fanden nicht nur in Thüringen, sondern auch in mehreren anderen Bundesländern statt. Rund 3000 Beamtinnen und Beamte sind nach Angaben der Sicherheitsbehörden seit dem frühen Morgen im Einsatz, mehr als 50 Personen sind beschuldigt, 25 Festnahmen – noch nie gab es in Deutschland eine so große Polizeiaktion gegen die verschwörungsideologische Szene. Zu den Verhafteten gehört auch der Prinz selbst, der am Vormittag in Frankfurt festgenommen wurde.

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Rund 3000 Einsatzkräfte waren am frühen Mittwochmorgen bei bundesweiten Razzien im Reichsbürger-Milieu aktiv.
Rund 3000 Einsatzkräfte waren am frühen Mittwochmorgen bei bundesweiten Razzien im Reichsbürger-Milieu aktiv. © AFP | Fricke / NEWS5 / AFP

Polizisten durchsuchen mehr als 130 Wohnungen, Lagerräume, Gewerbeflächen. Und: auch die Kaserne der Bundeswehr-Elitetruppe des Kommandos Spezialkräfte (KSK) im baden-württembergischen Calw.

Der Vorwurf des Generalbundesanwalts: Die Gruppe soll einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass es bereits Pläne für eine neue Regierung nach der Gewaltaktionen gegeben haben soll. Zentrale Figur: der Reußen-Prinz.

Adeliger sollte Staatsoberhaupt werden – Verhandlung mit Russland angestrebt

Heinrich XIII. sollte demnach zum Staatsoberhaupt erkoren werden, weitere enge Vertraute in einem Stab zur Seite gestellt bekommen. Auch „Ministerposten“ wurden den Angaben zufolge innerhalb des Netzwerks diskutiert. Zu den führenden Mitgliedern zählt auch eine Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete sowie ein ehemaliger ranghoher Elitesoldat der Bundeswehr.

Der Generalbundesanwalt schreibt zu den mutmaßlichen Umsturzplänen: „Hierzu soll von der Vereinigung eine (militärische) Übergangsregierung gebildet werden, die nach der Vorstellung der Vereinigungsmitglieder dem klassischen Reichsbürgernarrativ entsprechend die neue staatliche Ordnung in Deutschland mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs verhandeln soll.“ Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen sei aus Sicht der Vereinigung „derzeit ausschließlich die Russische Föderation“.

Zentrale Rolle auch hier: der Prinz. Der Beschuldigte Heinrich XIII P. R. habe „bereits Kontakt mit Vertretern der Russischen Föderation in Deutschland aufgenommen“, heißt es in der Pressemitteilung zu der Razzia. „Nach den bisherigen Ermittlungen gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ansprechpartner auf sein Ansinnen positiv reagiert haben.“

Und: „Zentrales Gremium der Gruppierung ist der ‚Rat‘, dem Heinrich XIII P. R. vorsteht. Er gilt innerhalb der Vereinigung als zukünftiges Staatsoberhaupt.“ Seit Längerem ist Heinrich XIII. in der verschwörungsideologischen Szene eine populäre Figur, auch seitdem er 2019 auf dem "Worldwebforum" in Zürich eine "Keynote" hielt, die von geschichtsverklärenden und antisemitischen Mythen gespeist war.

Polizei und Bundeswehr im Zentrum der rechtsextremen Verschwörungsfantasie

Ein Adliger, eine Richterin, ein ranghoher Soldat – es ist eine Elite aus Wohlhabenden und besser Gebildeten, die hier laut Ermittlern den gewaltsamen Umsturz plante. Das ist das Besondere dieses Terrornetzwerks, und zugleich für die sogenannte Reichsbürger-Szene und die Netzwerke der Verschwörungsideologen nicht untypisch.

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Das zeigt auch die Rolle der Bundeswehr und der Polizei, die bei den Verschwörern zentrale Kraft der Gewaltaktionen gewesen sein sollen. So heißt es: „Angegliedert an den ‚Rat‘ ist laut Generalbundesanwalt der ‚militärische Arm‘. Einige seiner Mitglieder haben in der Vergangenheit aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.“ Und: „Im Fokus der Rekrutierungsbemühungen der Vereinigung standen vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei.“

Feiner Zwirn statt Bomberjacke: Rechtsextreme Szene im Wandel

Schon länger ist die rechtsextreme Szene nicht mehr dominiert vom Neonazi in Springerstiefeln und Bomberjacke, wie es noch zu Beginn der 90er-Jahre vorherrschendes Bild der Bewegung war. Heute ist die extrem rechte Szene aufgesplittert in etliche Gruppierungen – zu denen immer stärker auch Verschwörungsideologen und Reichsbürger zählen.

"Der Blick auf die Zusammensetzung der Gruppe zeigt auf den ersten Blick heterogene Strukturen, mit Personen aus Justiz, Sicherheitsbehörden und aus Adelskreisen. Dies ist auch auf das heterogene Reichsbürgermilieu zurückzuführen, das anschlussfähig für Personen aus unterschiedlichen sozialen Milieus ist und weit über klassische rechtsextreme Strukturen hinaus reicht", sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, unserer Redaktion.

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Lange Zeit sei die rechtsextreme Bedrohung aus diesem Spektrum verkannt worden, so die Innenexpertin. "Die wichtige Arbeit der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten zeigt, dass die Bedrohungslage und die Vernetzung bis in die Sicherheitsbehörden ernst genommen wird."

Von Familie verstoßen: Prinz Heinrich "verwirrter alter Mann"

Ihre Biografien reichen bis weit in die Mitte der Gesellschaft, aber eben auch in Einzelfällen an entscheidende Stellen staatlicher Institutionen, etwa in der Polizei und der Justiz. Auch in der radikal rechten AfD engagieren sich Richterinnen und Richter, Anwälte, Polizisten. Die Proteste im Zuge der Corona-Pandemie zeigten in Ansätzen Schulterschlüsse verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, die sich radikalisierten.

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Dass nun ein Adliger im Fokus der Ermittlungen zur rechtsterroristischen Vereinigung steht, ist dennoch besonders. Die Fürsten-Familie hatte sich in der Vergangenheit bereits von Heinrich XIII. losgesagt. Heinrich XIV. Prinz Reuß, der Chef des Adelshauses, hatte im Sommer mitgeteilt, dass sich Heinrich XIII. vor 14 Jahren von der Familie losgesagt habe. Heinrich XIV. bezeichnete ihn in einer Mitteilung als einen „verwirrten alten Mann“, der „verschwörungstheoretischen Irrtümern“ aufsitze.

Schon vor mehr als einem Jahr hatte ein öffentlicher Aushang in Saaldorf unweit des Jagdschlosses Waidmannsheil für Aufmerksamkeit gesorgt, als eine "staatliche Wahlkommission Reuß" die "Eröffnung von Wahllisten" angekündigt hatte. Dort sollten sich "Stimmberechtigte" eintragen und als "Wählbare" aufstellen lassen. Versehen war der Anschlag mit dem Wappen der Fürstentümer Reuß.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.