Das Potenzmittel Viagra könnte gut fürs Gedächtnis sein. Eine Studie legt den Verdacht nahe. Nicht der erste Befund dieser Art.

Die Geschichte von „Viagra“ hätte sich kein Romanautor besser einfallen lassen können. Das Mittel sollte gegen Herzbeschwerden helfen – unverhofft bewährte es sich stattdessen als Potenzmittel. Nun regt eine potenzielle Nebenwirkung die Fantasie an: auch oder zusätzlich als Wunderdroge gegen Alzheimer.

Es ist fast zu schön, um wahr zu sein, weil Man(n) mit der blauen Pille gleich zwei Alterserscheinungen vorbeugen würde: dem Verlust von Potenz und Gedächtnis. Eine neue Studie lässt zumindest darauf hoffen.

Viagra fürs Gedächtnis: Bewiesen ist nichts

Für sie wurden von Forschern am University College London laut dem Fachmagazin „Neurology“ 269.725 Männer untersucht, die erstens 40 Jahre oder älter waren und zweitens Erektionsstörungen hatten. Von denen wurden in den folgenden fünf Jahren in 1119 Fällen wiederum Alzheimer diagnostiziert.

Auffallend war, dass Männer, denen Sildenafil (der Arzneistoff von Viagra) verschrieben wurde, ein um 18 Prozent geringeres Risiko hatten, an Alzheimer zu erkranken. Mehr noch: Unter den Nutzern mit der höchsten Verschreibungszahl war dieses Risiko sogar um 44 Prozent geringer.

Ein Grund für neue Studien

Nichts ist damit bewiesen. Allenfalls ließe sich an der Studie der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität erläutern. Dass zwei Befunden oder Beobachtungen zusammenfallen, heißt nicht, dass das Eine das Andere verursacht. Es kann Zufall sein, aber genauso gut auch ein Zusammenhang bestehen.

Ruth Brauer, die führende Forscherin, leitet daraus zumindest die Forderung nach weiteren qualitativ hochwertigen Studien ab, die laut „Neurology“ dann auch besser beide Geschlechter einbeziehen sollten. Wirkt das Mittel wirklich und würde es auch Frauen vor Demenz schützen?

Der Wirkstoff regt auch Wachstum von Nervenzellen an

Das Medikament wurde ursprünglich entwickelt, um die Gefäße zu erweitern, also den Blutfluss im gesamten Körper zu erhöhen. Sildenafil wird mithin auch zur Behandlung von Bluthochdruck – medizinisch arterielle Hypertonie – genutzt.

Herz- und sexuelle Gesundheit hängen oft zusammen. Erektionsstörungen können ein Frühwarnzeichen für eine Herzkrankheit sein. Umgekehrt kann ein krankes Gefäßsystem ein Grund dafür sein, warum Männer Erektionsprobleme bekommen.

Schon Ende 2021 hatte ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des „Cleveland Clinic‘s Genomic Medicine Institute“ den Verdacht geäußert, dass Sildenafil gegen Alzheimer helfe. In Zellversuchen zeigte sich, dass es das Wachstum von Nervenzellen anrege und die Ablagerung alzheimertypischer Proteine hemmen könne, wie es damals in „Nature Aging“ hieß.

Man müsste mehr Studien machen, dabei Frauen, aber auch Männer einbeziehen, die zum Beispiel keine Erektionsstörungen haben. Wäre bei ihnen Viagra auch ein Potenzmittel für das Gedächtnis? Außerdem müsste der Beobachtungszeitraum länger als fünf Jahre sein, gerade bei einer langen fortschreitende Erkrankung wie Alzheimer-Demenz.

Ein millionenfacher Markt

Denkbar ist, dass ältere Männer, die Viagra nehmen, schlicht vitaler sind; dass, wer mehr Sex hat, körperlich aktiver ist. Unbestritten ist, dass Menschen, die sich regelmäßig bewegen, seltener an Demenzen wie Alzheimer erkranken.

Weil sie generell aktiver sind – auch so wird ein Schuh daraus –, haben sie auch mehr Sex, behelfen sich mit Viagra und erkranken am Ende seltener an Demenz. Das heißt aber noch lange nicht, dass die blaue Pille die Ursache dafür ist. Die Belege beider Studien sind zwar schwach, aber gleichwohl anregend genug, auch und gerade für die Pharmabranche. Denn:

  • Laut Weltgesundheitsorganisation WHO leben weltweit mehr als 55 Millionen Menschen mit einer Demenz, und Alzheimer ist davon die häufigste Form.
  • Und die Umwidmung medizinischer Wirkstoffe für andere Therapieformen ist günstiger und unkomplizierter als Erforschung und Zulassung neuer Wirkstoffe.

Forscherin Brauer beteuert, sie sei von den Ergebnissen „begeistert“ und „noch aufgeregter“ mit Blick auf Folgestudien. Der Pharmanbranche winkt ein Riesengeschäft.