Zorge. Die 21-Jährige aus Zorge hat ein ungewöhnliches Hobby – sie ist Skispringerin. In ihrem Sport erlebt sie die ganze Bandbreite der Gefühlswelt.

Es gibt Hobbys, die sind durchaus weit verbreitet und eher gewöhnlich. Wenn es sportlich sein soll zum Beispiel Fußball spielen. Und es gibt Hobbys, die nicht gerade alltäglich sind und nur von einigen Mutigen betrieben werden – Skispringen etwa. Wenn dann noch eine junge Frau wie Emely Hundt die Schanzen hinunter segelt, und das sehr erfolgreich, dann ist das vor allem eines: Außergewöhnlich!

Geboren wurde sie 1999, zu einer Zeit, als dank der Erfolge von Martin Schmidt und Sven Hannawald eine Welle der Skisprung-Euphorie durch das Land rollte. Genau so ist Hundt auch zu ihrem Sport gekommen. „Mein Vater hat früher immer Skispringen und besonders die Vierschanzen-Tournee im Fernsehen geschaut. Irgendwann hab ich dann den Wunsche geäußert, das ich das auch gern machen würde“, erinnert sie sich. Zunächst sollte es jedoch nur bei dem Wunsch bleiben, ihre Eltern hielten das Skispringen für zu gefährlich.

Hundt ließ allerdings nicht locker und schließlich sollte ihr Traum in Erfüllung gehen. Eine Begegnung in der Schule stellte die Weichen. „Mit Zwölf habe ich jemanden in meiner Parallelklasse kennengelernt und ihm von meinem Wunsch erzählt. Er hat dann mit seinem Trainer in Braunlage gesprochen und der hat gleich gesagt, dass ich gerne vorbeischauen kann“, erzählt sie. Gesagt, getan – beim nächsten Training stand sie prompt an der Schanze „Das hat vom ersten Moment an so viel Spaß gemacht, dass meine Eltern keine Chance mehr hatten, mir das Ganze zu verbieten. Im Gegenteil, meine Familie und meine Oma haben mich seitdem immer unterstützt, egal, ob die Fahrten zum Training oder die Begleitung zu den Wettkämpfen“, ist die 21-Jährige sehr dankbar.

Erste Sprünge mit Zwölf

Mit zwölf Jahren ist die Zorgerin relativ spät zum Skispringen gekommen, die meisten fangen schon im Alter von vier bis sechs an. „Zum Glück hatte ich mit drei Jahren schon Skifahren gelernt, das war ein großer Vorteil. So bestand mein Anfang darin, erst einmal mit meinen Alpin Ski den Hang der kleinen K14-Schanze abzufahren“, berichtet sie. „Schritt für Schritt hab ich mich dann gesteigert. Mein Trainer hat mir die ersten Grundlagen gezeigt von der Anfahrtshocke über den Absprung bis hin zur Landung.“

Skispringerin Emely Hundt.
Skispringerin Emely Hundt. © Privat | Privat

Schnell durfte Hundt am Brockenweg auf die kleinste Schanze, die 7 Meter-Schanze, und zeigen was sie gelernt hatte. „Nach den ersten ein bis zwei Trainingseinheiten ging es dann weg von den Alpin Ski und ich habe meine erste richtige Ausrüstung bekommen – Skisprungski, Schuhe und einen Anzug“, blickt sie zurück. Die ersten Versuche, mit den zwei Meter langen Ski zu fahren, fielen ihr noch schwer. „Ganz ohne Stahlkanten und bei der Länge und Breite lässt es sich doch ganz anderes fahren. Aber den Dreh hatte ich schnell raus, so dass ich schnell wieder auf die Schanze wechseln konnte.“ Seitdem hat sich Hundt beständig gesteigert, von der 7 Meter-Schanze bis hin zur 100 Meter-Schanze.

Angst darf man haben

Oft wird sie gefragt, ob sie denn keine Angst habe. „Mein Trainer hat mal zu mir gesagt: Angst darf man haben, nur man muss sie überwinden können. Diesen Satz hab ich mir immer zu Herzen genommen“, berichtet Hundt und ergänzt: „Ich würde sagen, große Angst hatte ich nie, nur Respekt. Egal, ob es die Situation war, früher auf eine große Schanze zu wechseln, oder ob es der erste Sprung nach einem Sturz ist.“

In solchen Momenten würden ihr durchaus viele Fragen durch den Kopf gehen, gibt die Sportlerin offen zu: „Doch wenn ich erstmal die Ski angeschnallt habe, die Brille aufgesetzt habe und dann auf den Balken rutsche, mein Trainer mich abwinkt, vergesse ich die Sorgen und fahre los.“ Ist man erstmal in der Anlaufspur unterwegs, sei es eh zu spät zum Nachdenken. „Dort konzentriere ich mich nur noch auf den Sprung“, erzählt Hundt.

Dass sie mit ihrem Hobby durchaus als Exotin gilt, ist der 21-Jährigen bewusst. „Skispringen ist ja kein typischer Sport und als Mädchen erst recht nicht“, sagt die Harzerin, die für den WSV Braunlage an den Start geht. Das Frauenskispringen sei aber im Kommen und seit 2014 sogar eine olympische Disziplin. „Mädchen sind in dem Sport eindeutig die Minderheit, doch das hat mich nie gestört“, unterstreicht Hundt. „Egal, ob es früher der Fußball war oder heute die Feuerwehr oder der Rettungsdienst, ich habe mich schon immer dort engagiert, wo Mädchen die Minderheit waren. Das hat mich nie gestört. Ganz im Gegenteil, ich habe mich mit den Jungs immer gut verstanden.“

Hoher Trainingsaufwand

Der Trainingsaufwand ist durchaus beachtlich, drei Einheiten pro Woche sind normal. Eine Einheit wird dabei in der Sporthalle absolviert. „Da geht es um Dinge wie Sprungkraft und Schnellkraft, Verbesserung der Ausdauer und Dehnbarkeit, aber auch Imitationsübungen zur Verbesserung der Technik“, erklärt Hundt. Im Sommer wird die Halle für Sprintübungen oder Inliner-Runden auch mal mit der frischen Luft getauscht.

Nur fliegen ist schöner.
Nur fliegen ist schöner. © Privat | Privat

„Außerdem geht es zweimal in der Woche auf die Schanze, damit wir unsere Technik und Haltung verbessern können“, erzählt sie. Nach einem gemeinsamen Warmmachen müssen die Ski präpariert, also gewachst, werden. „Dann laufe ich gemeinsam mit den anderen Springern zum ersten Sprung die Schanze hoch.“ Am Brockenweg in Braunlage ist das eine 60 Meter- Schanze. Bei den weiteren Sprüngen werden die Athleten dann mit dem Vereinsbus gefahren, um etwas Kraft zu sparen. Zwischen den Sprüngen gibt es über das Funkgerät die Korrektur vom Trainer. „Da wird uns gesagt, was wir gut oder schlecht gemacht haben und was wir verbessern können“, berichtet Hundt. Die Umsetzung erfolgt prompt, pro Einheit werden fünf bis sechs Sprünge absolviert.

Training auf größeren Schanzen

Das Training erfolgt dabei nicht nur auf der Heimanlage am Brockenweg, sondern auch auf anderen Anlagen. Schließlich finden auch die Wettkämpfe immer auf unterschiedlichen Schanzen statt. So ist die Trainingsgruppe des WSV Braunlage, für den die Zorgerin startet, immer wieder unter anderem in Wernigerode zu Gast oder fährt auf die größeren Schanzen nach Oberhof. „Im Sommer gibt es außerdem immer ein Trainingslager, das dieses Jahr in Tschagguns in Österreich stattfand. Dort haben wir die Möglichkeit, viel intensiver zu trainieren, da man dort mehr Sprünge in kurzer Zeit machen kann. Und man hat mal die Möglichkeit, sich auf einer der größeren Schanzen zu probieren und zu trainieren“, berichtet Hundt. Aber auch für den Zusammenhalt im Team sei so ein Trainingslager wichtig, unterstreicht sie. „Wir gehen dort zum Beispiel zusammen ins Schwimmbad oder auf die Sommerrodelbahn.“

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind allerdings auch bei den Skispringern zu spüren. So wird derzeit während des zweiten Lockdowns das Hallentrainings komplett eingestellt. „Ich trainiere momentan viel zu Hause, um nicht aus der Form zu kommen. Dort mache ich verschiedene Übungen zum Muskelaufbau, zur Verbesserung der Koordination sowie Dehnübungen“, erzählt Hundt. Da Skispringen als Individualsportart gilt, kann das Sprungtraining momentan noch stattfinden, wenngleich mit besonderen Corona-Regeln. Die Sportler dürfen sich beispielsweise nicht mehr in den Umkleideräumen umziehen, auf dem Schanzenturm dürfen sich nur zwei Personen gleichzeitig aufhalten. „Aber alles ist besser als kein Training“, weiß Hundt um das Privileg, momentan überhaupt sportlich aktiv sein zu können.

Trainingsfleiß macht sich bezahlt

Ihr Trainingsfleiß macht sich dabei in einer ganzen Reihe von Erfolgen bezahlt. Den Titel als Landesmeisterin hat die 21-Jährige seit 2014 immer wieder gewonnen, bei den Harzmeisterschaften ist die WSV-Springerin seit 2015 Stammgast auf dem obersten Treppchenplatz. Das wurde 2016 auch durch eine Auszeichnung bei der Sportlerehrung des KSB Goslar belohnt. Bei der Nord-Westdeutschen Mattenschanzentour landete Hundt seit 2014 immer auf dem Podest, viermal auf Rang zwei, zweimal auf Platz drei. „In solchen Momenten bin ich stolz auf mich und auf das, was ich geschafft habe. Ich freue mich und realisiere, wofür ich den ganzen Aufwand im Training betreibe“, sagt sie.

Lohn der Mühen.
Lohn der Mühen. © Privat | Privat

Normalerweise ist die Harzerin mit ihren Vereinskameraden während der Winter- und Sommersaison viel in Deutschland unterwegs, um an den verschiedenen Meisterschaften, der Mattenschanzentour oder an normalen Freundschaftswettkämpfe teilzunehmen. „Als Skispringer verbringt man viel Zeit auf der Autobahn“, erzählt sie mit einem Lachen. Bedingt durch die Corona-Pandemie sind in diesem Jahr jedoch etliche Wettkämpfe ausgefallen. Bei denen, die stattgefunden haben, galten die bekannten Hygieneregeln.

Jeder Wettkampf läuft dabei ungefähr gleich ab. Morgens ist das freie Training, in dem man sich an die Schanze gewöhnt. „Jede Anlage ist anderes: Manche haben eine flachen Anlauf, manche einen steilen, manche eine kurze oder lange Kuppe, oder man hat als Springer einen hohen oder niedrigen Stand in der Luft“, erklärt Hundt. Nach ein bis drei Sprüngen folgt dann eine kurze Regenerationspause, in der auch die Ski für den Wettkampf vorbereitet und die Startnummern ausgegeben werden.

Wettkampf wie im Fernsehen

Der Wettkampf selbst verläuft so, wie man es auch aus dem Fernsehen kennt. Es gibt zwei Durchgänge, für jeden Sprung gibt es sowohl Weitenpunkte als auch Punkte für die Haltung, die von fünf Kampfrichtern vergeben werden. Die Punkte werden zusammengerechnet, der Sportler mit der höchsten Punktzahl gewinnt. Die Belohnung folgt anschließend bei der Siegerehrung. Insgesamt geht es beim Skispringen sehr familiär zu, bei den Heimwettkämpfen in Braunlage etwa spenden die Eltern der Sportler Kuchen und helfen auch im Verkauf mit.

In ihrer bisherigen Karriere hat Hundt schon viele schöne Momente mit tollen Flügen erlebt, in denen sie von der Luft förmlich getragen wurde. „Einen Moment werde ich wohl nie vergessen, den des ersten Siegs. Als der Moderator die Weiten der anderen Springerinnen durchsagte und ich realisierte, dass ich am weitesten gesprungen war, das war ein unglaubliches Gefühl“, erinnert sich die 21-Jährige gerne.

Mit der Seilbahn geht es nach oben.
Mit der Seilbahn geht es nach oben. © Privat | Privat

Neben den Glücksgefühlen bietet der Sport jedoch auch weniger schöne Augenblicke. „Ein schlimmer Moment ist nicht abhängig davon, ob ich stehend unten an komme. Man kann auch eine guten Sprung haben und beim Ausfahren stürzen, oder einen sehr schlechten und im Stehen ausfahren“, sagt Hundt. Viel schwieriger seien dagegen Phasen, in denen man nicht voran komme. „Man trainiert, aber es ändert sich nicht.“

Ein Sport voller Emotionen

Momente, in denen sie eine gute Platzierung durch einen schlechten Sprung weggeschmissen hat, waren ebenfalls schmerzhaft. „Skispringen ist ein Sport voller Emotionen, von Lachen und Strahlen und dem Gefühl, man kann sie alle schlagen, hin zu Tränen und Niedergeschlagenheit. Die Kunst ist es, sich an die schönen Momente zu erinnern und den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren“, sagt die Harzerin.

Dem Skispringen möchte sie auch in Zukunft treu bleiben, nicht zuletzt aufgrund der entstandenen Freundschaften. „Ich habe schon früh Disziplin und Durchhaltevermögen gelernt, ich habe Gewinnen und Verlieren gelernt und ich habe für mich festgestellt, was es heißt zu kämpfen“, berichtet Hundt. „Der Sport hat mich immer durch gute und schwere Zeiten gebracht. Wenn ich erstmal an der Schanze bin, habe ich den Rest vergessen.“