Berlin. 2022 haben russische Soldaten das Gebiet rund um das Atomkraftwerk Tschernobyl besetzt. Jetzt kämpfen sie mit den tödlichen Folgen.

  • Mehr als ein Jahr ist es her, dass Russland das Atomkraftwerk in Tschernobyl besetzt hat
  • Die Reaktor-Ruine und das Gebiet in der Umgebung sind noch immer verstrahlt
  • Die Soldaten, die dort stationiert waren, haben nun mit den tödlichen Folgen ihres Einsatzes zu kämpfen

Mit bloßen Händen buddelten die russischen Soldaten in der roten Erde. Sie gruben Schützengräben, den Sand füllten sie dann in Säcke und stapelten sie zu Kontrollpunkten. Fünf Wochen blieben sie in der Nähe des havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl. Sie schliefen, aßen und lebten dort. Jetzt leiden sie an einer tödlichen Krankheit.

Krieg gegen die Ukraine: So besetzten russische Soldaten Tschernobyl

Bereits am ersten Tag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, den 24. Februar 2022, waren Truppen Russlands auf das Gelände von Tschernobyl vorgerückt. Über Belarus kamen die Soldaten in das Gebiet rund um das Atomkraftwerk. Bis zum 31. März 2022 blieben die Besatzungstruppen. Sie töteten Kraftwerksmitarbeiter, plünderten Labore und zerstörten die Ausstattung. Dann zogen sie ab.

Zwei Wochen lang lebten die Besatzer in einem Unterschlupf – und das ausgerechnet im sogenannten Roten Wald, berichtete Baba Hanya der britischen Zeitung "The Times". Die 90-jährige Frau lebt in der Nähe des Kraftwerks und hat miterlebt, wie die Bewaffneten in ihre Heimat einzogen. Sie erzählte, dass Ukrainerinnen und Ukrainer versucht haben, die Russen vor dem Roten Wald zu warnen. Doch sie ignorierten jeden Rat, fuhren mit ihren Fahrzeugen in das Gebiet, wirbelten eine Menge giftigen Staub auf und ließen sich dort nieder.

Ganz in der Nähe des Atomkraftwerks haben russischen Soldaten ihr Lager in Tschernobyl aufgebaut.
Ganz in der Nähe des Atomkraftwerks haben russischen Soldaten ihr Lager in Tschernobyl aufgebaut. © IMAGO / Ukrinform

Russische Soldaten begingen einen tödlichen Fehler

Der Rote Wald ist radioaktiv verseucht. Als es 1986 im Block 4 des Kernkraftwerkes zur Kernschmelze und anschließender Reaktorexplosion kam, zog eine Giftwolke über den Wald und kontaminierte Gebiet. Seither sind die völlig verstrahlten Bäume und der Boden rot, die Gegend gilt als eine der am stärksten radioaktiv verseuchten Zonen der Welt. Ukrainerinnen und Ukrainer meiden den Ort. Sie wissen: Der Wald birgt tödliche Gefahr.

Das müssen einige der russischen Soldaten nun offenbar am eigenen Leib erfahren. Diplomaten haben der "Times" bestätigt, dass die dort stationierten Soldaten heute unter der Strahlenkrankheit leiden. Die Männer haben einen tödlichen Fehler begannen: Sie gruben für ihre Schützengräben und Posten den Boden um.

Sie wühlten ausgerechnet in jener Erde, die die Liquidatoren-Trupps der Sowjetunion in den Jahren nach der Katastrophe untergepflügt hatten, weil sie hochverstrahlt war. "Das ist das gefährlichste Gebiet in der gesamten Zone", sagte eine ukrainische Fremdenführerin der "Times". "Unter dem Boden wartet der radioaktive Abfall."

Lesen Sie hier: 36 Jahre nach Tschernobyl – Diese Pilze sind strahlenbelastet

Russische Stellungen im Roten Wald, nahe Tschernobyl. Ihre Sandsäcke füllten die Soldaten mit verstrahlter Erde.
Russische Stellungen im Roten Wald, nahe Tschernobyl. Ihre Sandsäcke füllten die Soldaten mit verstrahlter Erde. © IMAGO / CTK Photo

"Sie werden langsam sterben"

Akute Strahlenkrankheit entwickelt sich für gewöhnlich in drei Stadien. Erste Symptome sind etwa Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen und Müdigkeit. Das zweite Stadium ist symptomfrei – die Ruhe vor dem Sturm. Denn im dritten Stadium sind die Symtpome je nach Strahlenbelastung und genetischer Veranlagung schlimmer. Das Bundesamt für Strahlenschutz nennt hier Fieber, Schwäche, Infektionen und Blutungsneigung, bei einer höheren Strahlenaussetzung ab 3 Sievert auch Haarausfall, Radiodermatitis und Schleimhautgeschwüre. Lesen Sie hier: Oligarchen nennen Putin einen Trottel: Leak mit Konsequenzen

Die Maßeinheit Sievert gibt die biologische Wirkung von radioaktiver Strahlung auf Menschen, Tiere und Pflanzen an. Schon ab 1 Sievert kommt es zu den ersten Symptomen. Ab 4 Sievert stirbt bereits die Hälfte der betroffenen Personen. Alles ab 7 Sievert ist tödlich für den menschlichen Organismus.

Wieviel Strahlung die russischen Soldaten in Tschernobyl abgekommen haben, ist nicht bekannt. Ihre Chancen auf Überleben dürften nicht sehr hoch sein. "Nach einem Monat dieser Exposition haben sie höchstens noch ein Jahr zu leben. Oder besser gesagt, sie werden nicht mehr leben, sondern langsam an ihren Krankheiten sterben", prophezeite vergangenes Jahr Herman Haluschtschenko, Energieminister der Ukraine.