Moskau. Die frühere Sowjetrepublik Armenien geht auf Distanz zur Schutzmacht Russland. Präsident Wladimir Putin wird sogar mit Haft gedroht.

„Wenn Putin nach Armenien kommt, sollte er verhaftet werden. Es wäre besser für ihn, in seinem Land zu bleiben.“ Markige Worte von Gagik Melkonyan, Abgeordneter der Partei von Regierungschef Nikol Paschinjan. Markige Worte – und auch Theaterdonner. Denn Russlands Präsident Wladimir Putin plant derzeit, soweit bekannt, keinen Besuch in Armenien.

Melkonyan wollte damit darauf hinweisen, dass im armenischen Parlament das Ratifizierungsverfahren des sogenannten Römischen Statuts begonnen hat. Dies bestätigt auch die armenische Nachrichtenagentur Armenpress. Dieses Statut ist wiederum die Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofes, der jüngst einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hat.

Armenien müsste Putin festnehmen und nach Den Haag überstellen

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan.
Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan. © AFP | -

Armenien müsste Putin festnehmen und an den Gerichtshof im niederländischen Den Haag überstellen. Wie gesagt, theoretisch.

Lesen Sie auch:Bei Putin-Festnahme: Medwedew droht Kanzleramt mit Rakete

Der Vorgang mag formal erscheinen. Dass dieser aber gerade zum jetzigen Zeitpunkt geschieht, zeigt, dass Armenien zu seiner Schutzmacht Russland einen kleinen Schritt auf Distanz geht. Armenien war, wie auch das Nachbarland Aserbaidschan, Teil der zerfallenen Sowjetunion. Bereits seit 1991 streiten sich beide Länder um das ehemals Autonome Gebiet Gebiet Bergkarabach, das zu drei Vierteln von Armeniern bewohnt war.

In Armeniens Hauptstadt leben neuerdings viele Russen – das ist der Grund

2020 eskalierte der Konflikt in einen 44 Tage dauernden Krieg. Aserbaidschan gewann, dank der Unterstützung durch die Türkei. Im November 2020 trat ein brüchiger Waffenstillstand in Kraft, abgesichert durch russische Friedenstruppen. Seitdem kommt es immer wieder zu kleineren Kämpfen, Frieden ist in weiter Ferne. Russland allerdings scheint sich mit dem Gebietsverlust Armenien zu arrangieren, bleibt weitgehend passiv. Die Armenier wiederum sind enttäuscht.

Lesen Sie auch:Verschleppte Kinder: Wer nicht russisch singt, soll brennen

Hinzukommt: In Armeniens Hauptstadt Jerewan leben neuerdings viele Russen. Vor allem Hochqualifizierte, geflohen vor den Kämpfen in der Ukraine, vor der Mobilisierung von Reservisten in Russland. „Ich habe Russland verlassen und bin in den ersten Tagen im März 2022 nach Jerewan gekommen, weil ich gegen die Haltung unserer Behörden bei der Durchführung der Spezialoperation in der Ukraine bin“, sagt Iwan Petrow (30), Programmierer aus der russischen Stadt Krasnodar.

Putin droht Festnahme in vielen Ländern – wohin der theoretisch noch reisen kann

Ihnen bietet Armenien eine Zukunft, was wiederum der armenischen Wirtschaft hilft. Für die armenische Staatsführung auch ein Grund, ein wenig auf Distanz zu Russland zu gehen. Vor der Situation in Bergkarabach hat Iwan allerdings Angst. „Die Situation um den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan verwirrt mich. Das ist anstrengend. Ich möchte nicht einen Krieg vermeiden, um in einen anderen zu gelangen.“

Armenien wird wohl das Römische Statut ratifizieren. Und es wird keinen Putin-Besuch aus Moskau geben. Die USA sind übrigens dem Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten. Dorthin könnte Putin noch reisen. Theoretisch.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt