Neu-Delhi. Bundeskanzler Scholz ist zu seinem ersten Besuch nach Indien gereist. Dort trifft er auf Indiens Premierminister Narendra Modi.

Mit beiden Händen greift Olaf Scholz behutsam in eine Schale mit Blüten. Der Kanzler verteilt die Blätter und hält still inne in Gedenken an Mahatma Gandhi, Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung und Symbolfigur der Gewaltfreiheit. Scholz steht in schwarzen Socken in der Gedenkstätte unter freiem Himmel, seine schwarzen Lederschuhe hat er am Eingang abgestreift, wie es hier Brauch ist. Auch politisch ist Scholz auf leisen Sohlen nach Indien gekommen.

Indien pflegt traditionell gute Beziehungen zu Russland . Zu einem Bruch hat der Angriff von Kreml-Herrscher Wladimir Putin auf die Ukraine vor einem Jahr nicht geführt. Der Resolution, mit der die UN-Vollversammlung am Donnerstag einen Rückzug Russlands aus der Ukraine forderte, stimmte Indien nicht zu. Die größte Demokratie der Welt enthielt sich. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Indien und Russland sind weiterhin eng. Während Europa Russland sanktioniert, um Putins Energieeinnahmen zu drosseln, kauft Indien sogar mehr preiswertes russisches Öl als vor dem Krieg.

Ukraine-Krieg: Indiens Beziehung zu Russland

Scholz kritisiert all dies nicht, als er in Neu-Delhi neben Indiens Premierminister Narendra Modi steht. Der Kanzler verurteilt seinerseits den russischen Angriff auf die Ukraine. Er betont die Auswirkungen des Krieges auf die sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln und bezahlbarer Energie in Südamerika, Afrika und Asien – was auch Indien große Sorgen macht. Der Krieg sei eine „große Katastrophe“, weil in der Welt nicht das Recht des Stärkeren gelten dürfe, sagt Scholz.

Der Kanzler macht sich nicht die Illusion, dass er die Haltung Indiens zu dem Krieg im fernen Europa und zu Russland mit belehrenden Bemerkungen während seines Besuchs schlagartig ändern könnte. Man reise nicht durch die Welt, um sich von befreundeten Regierungen einen „öffentlichen ukrainepolitischen Konformitätsschwur abzuholen“, heißt es aus dem Kanzleramt. Deswegen vermeidet Scholz bei seinem ersten Besuch als Kanzler in Indien tunlichst jeden Anflug westlicher Arroganz gegenüber der früheren britischen Kolonie.

Scholz weiß, bei dem selbstbewussten Modi würde er sonst womöglich sogar das Gegenteil dessen erreichen, was er sich erhofft: dass Indien sich über die Zeit von Russland abwendet und in Deutschland und dem Westen den verlässlicheren politischen und wirtschaftlichen Partner erkennt. Für die Bundesregierung spielt das bald bevölkerungsreichste Land der Erde eine Schlüsselrolle auch als Gegengewicht zum kommunistischen China. In einer Welt der sich verschiebenden Machtbalancen will der Kanzler Indien an seiner Seite wissen.

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Deutschland könnte dem Subkontinent deswegen etwas anbieten, zum Beispiel eine Steigerung der deutschen Rüstungsexporte, damit das Land seine Waffenkammern nicht mehr wie bisher mit russischen Produkten füllt. „Indien hängt zum großen Teil von russischer Waffenproduktion ab“, heißt es aus der Bundesregierung. „Dass das so bleibt, kann nicht in unserem Interesse sein.“ Scholz sagt nach dem Gespräch mit Modi, es sei über „konkrete Vorhaben“ gesprochen worden. Indien will Milliarden für neue U-Boote ausgeben.

Ausdrücklich betont Scholz aber auch die Verantwortung Indiens. Der asiatische Riese mit seinen mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern sitzt in diesem Jahr der G20-Staatengruppe vor. „Das ist eine sehr, sehr verantwortungsvolle Rolle in einer schwierigen Zeit“, sagt Scholz. „Aber ich bin fest überzeugt, dass Indien diese Aufgabe wahrnehmen wird.“

Scholz in Indien: Modi betont „gemeinsame Werte“

Bei dem indischen Regierungschef kommt Scholz mit seiner Art gut an. Die beiden haben sich bereits mehrfach getroffen seit dem Amtsantritt des Kanzlers. Nun stehen sie nebeneinander im Gästehaus der indischen Regierung. Hier schwimmen Blüten in Wasserbecken, im Garten plätschert ein Springbrunnen. Der 72-jährige Modi ist in einem weißen Gewand gekleidet, er erinnert an die bisherigen Begegnungen mit Scholz: Dabei habe der deutsche Bundeskanzler jedes Mal mit seiner „Weitsicht“ einen neuen Impuls für die deutsch-indische Freundschaft gesetzt.

Modi betont die „gemeinsamen Werte“ der beiden Länder, preist die Wirtschaftsbeziehungen, bevor er auf die Krise in Europa kommt. „Der Krieg in der Ukraine wirkt sich aus auf die ganze Welt“, besonders die Entwicklungsländer seien betroffen, klagt er über die wirtschaftlichen Folgen. Indiens Regierungschef spricht auch im Namen von Scholz von einer „geteilten Besorgnis“ und fordert, der Krieg müsse „auf dem Weg des Dialogs und der Diplomatie gelöst werden“. Indien sei bereit, seinen Beitrag dazu zu leisten, betont Modi.

Scholz wird es gerne hören, dass Modi von „Krieg“ spricht – und nicht nur von einem „Konflikt“. Die Verantwortung Putins benennt Modi jedoch nicht. Offen bleibt auch, wie er sich eine Lösung des Kriegs konkret vorstellt. Für Scholz gehört dazu unerlässlich der Rückzug der russischen Truppen. Nachhaken bei Modi können die Journalisten nicht, Fragen sind nicht erlaubt.

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Scholz zieht später noch einmal ohne Modi Bilanz. Der Kanzler ist einerseits zufrieden. Er könne „klar sagen“, dass auch die indische Regierung der Meinung sei, „dass das ein Angriffskrieg ist, den Russland gestartet hat“. Andererseits ist Scholz angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf die Entwicklungsländer nachsichtig: „Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, die Probleme, die wir haben, für die der Welt zu halten“, sagt der Kanzler. Europa müsse bedenken, „dass die Welt auch noch Probleme hat, für die wir uns interessieren müssen“.