Berlin. Die Kaiserschnittrate hat sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. Hebammen sind schon lange besorgt. Das muss sich ändern.

Fast jedes dritte Kind in Deutschland kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Binnen 30 Jahren hat sich die Kaiserschnittrate damit verdoppelt. Im Jahr 2021 erreichte sie bundesweit einen Stand von 30,9 Prozent,1991 waren es lediglich 15,3 Prozent. Das geht aus den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Immer weniger Kinder kommen also per natürlicher Geburt zur Welt. Woran liegt das und ist die hohe Kaiserschnittrate ein Problem?

Tatsächlich empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation eine Rate von maximal 15 Prozent. Das schaffen unter den OECD-Ländern aber nur wenige. Das ist besorgniserregend. "Die Kaiserschnitt-OP ist nicht zu unterschätzen", warnt auch die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands (DHV) Ulrike Geppert-Orthofer. Dabei werde Bauchdecke und Muskulatur durchtrennt und die Gebärmutter aufgeschnitten. All das müsse anschließend wieder verheilen. Zudem bestehe immer ein Narkose- und Infektionsrisiko, das häufig vermieden werden könnte. Die Zeit, die die Frauen zur Erholung bräuchten, könnten sie sich zudem weniger intensiv dem Kind widmen.

Hebammen: Corona-Pandemie hat Geburtshilfe zusätzlich erschwert

Warum trotzdem so viele Frauen am Ende per Kaiserschnitt gebären hat vielfältige Gründe. Geppert-Orthofer meint: "Grundsätzlich müssen wir die neun Monate vor der Geburt nutzen, um Frauen aufzuklären." Die steigende Kaiserschnittrate sei natürlich auch Folge der Unterfinanzierung der Krankenhäuser, allerdings gebe es auch nur "sehr wenig Allgemeinwissen in der Bevölkerung über die physiologischen Prozesse bei der Geburt. Fragt man die Frauen selbst, warum sie sich für einen Kaiserschnitt entschieden haben, wird als Grund häufig die Angst vor Schmerzen und Kontrollverlust genannt. Hinzu kommt der Irrglaube, dass ein Kaiserschnitt sicherer für sie und ihr Kind sei. Das ist erschreckend", so Geppert-Orthofer.

Eine Hebamme tastet in ihrer Berliner Praxis den Bauch einer schwangeren Frau ab.
Eine Hebamme tastet in ihrer Berliner Praxis den Bauch einer schwangeren Frau ab. © Annette Riedl/dpa

Erschwerend kam während der Corona-Pandemie hinzu, dass viele Geburtsvorbereitungskurse nur digital stattfanden. Und dann auch noch häufig ohne den Partner. "Hebamme sein ist aber eine Beziehungsarbeit, zwischen der Gebärenden und der Hebamme muss Vertrauen entstehen. Dafür ist persönlicher Kontakt wichtig. Nur so können die Frauen gut vorbereit und mit Selbstvertrauen in die Geburt gehen", meint die DHV-Präsidentin. Stattdessen seien die Frauen nach oder während der Pandemie häufig schon erschöpft und gestresst in die Geburt gegangen. Das erhöhte die Kaiserschnittrate zusätzlich. Lesen Sie auch: Drei von vier Kindern leiden immer noch unter Corona

Geburtshilfe: Krankenhäuser sind durch Fallpauschalen unterfinanziert

Klar ist aber auch, dass Deutschland seine Krankenhäuser in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auf Effizienz getrimmt hat. Das hat dazu geführt, dass weniger Krankenhäuser als früher überhaupt Entbindungen anbieten. Und dort wo es der Fall ist, muss sich häufig weniger Personal um mehr Patientinnen kümmern.

Der Anteil der Krankenhäuser, die Geburtshilfe anbieten, verringerte sich der Statistik zufolge von 49,2 Prozent im Jahr 1991 auf nur noch 32,4 Prozent im Jahr 2021. 1991 gab es mit 2411 Kliniken deutlich mehr Krankenhäuser als die zuletzt 1887 bundesweit.

Studien belegen, dass eine umfangreiche Betreuung durch Hebammen die Kaiserschnittrate senkt. Von einer Eins-zu-Eins-Betreuung, also eine Hebamme für eine Gebärende, ist Deutschland weit entfernt. In der Klinik muss eine Hebamme in ihrer Schicht häufig mehrere Frauen betreuen.

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Laut dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung soll sich das noch in dieser Legislaturperiode ändern. Die Eins-zu-eins-Betreuung soll wieder Standard in Deutschland werden und dafür das Hebammenpersonal nicht mehr über das System der Krankenhaus-Fallpauschalen finanziert werden.

Geppert-Orthofer meint jedoch, "in einer Legislaturperiode ist das nicht umzusetzen". Viele Hebammen hätten dem Beruf mittlerweile den Rücken gekehrt. Es brauche eine Rückkehroffensive mit Wiedereinstiegsprogramm und mehr Ausbildungsplätzen. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass das Ziel zwar zu erreichen sei, "bis wir soweit sind, kann es noch etliche Jahre dauern", so Geppert-Orthofer.

Immerhin: Zuletzt gab es einen Zuwachs bei den Hebammen und Entbindungshelfern, deren Zahl sich gegenüber dem Vorjahr um 162 auf 11.697 erhöhte. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler für diesen Beruf lag bei 2412 im Jahr 2021 – das war über ein Viertel mehr als vor zehn Jahren.