Berlin. Die CDU hat die Berlin-Wahl gewonnen. Um zu regieren, braucht sie Partner – und da wird es schwer. Ist das die Stunde der Konkurrenz?

Kai Wegner blinzelt in das Licht der großen, grellen Scheinwerfer und sieht ein bisschen aus, als ob er es selbst noch nicht glauben kann. Da steht er nun, auf einer Bühne im Festsaal des Abgeordnetenhauses von Berlin. Mitten im Rampenlicht. „Überwältigend“, sagt er und man glaubt ihm die Überwältigung, „Wahnsinn“.

Seit Punkt 18 Uhr ist klar: Kai Wegner, gelernter Versicherungskaufmann aus Spandau, ganz aus dem Berliner Westen, ist der unangefochtene Wahlsieger der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus. Sie jubelten hier zum ersten Mal, als es im Fernsehen hieß, dass die Wahl dieses Mal ohne größere Pannen abgelaufen sei.

Und dann kamen sie aus dem Jubeln kaum noch heraus: Der Balken der SPD, nach der ersten Prognose geschrumpft. Der Balken der Grünen etwas weniger, aber ebenfalls kleiner. Und der Balken der CDU, er wuchs und wuchs, und kam an auf einer Höhe, die er für die Berliner CDU seit sehr langer Zeit nicht mehr erreicht hatte.

Der Wahlsieger: CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner mit seiner Partnerin Kathleen Kantar (r.) bei der CDU-Wahlparty im Abgeordnetenhaus.
Der Wahlsieger: CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner mit seiner Partnerin Kathleen Kantar (r.) bei der CDU-Wahlparty im Abgeordnetenhaus. © dpa | Fabian Sommer

Berlin-Wahl: Die CDU will regieren, aber mit wem soll das gehen?

Sie können ihr Glück kaum fassen auf der Wahlparty der Christdemokraten: Die CDU ist mit Abstand stärkste Kraft, und das im doch eigentlich so linken Berlin. „Ich kann nur sagen, Berlin hat den Wechsel gewählt“, sagt Wegner auf der Bühne, und nur um sicherzugehen, dass keine Zweifel bleiben: „Herzlichen Dank für den klaren Regierungsauftrag.“

Der 50-Jährige hat sein Leben in seiner Geburtsstadt verbracht – und in der CDU. Noch vor seinem 18. Geburtstag war er eingetreten, saß für die Christdemokraten im Bundestag, führt seit 2019 den Landesverband an. Ein Sohn der Stadt, einer der will, dass Berlin „funktioniert“, wie die CDU hier plakatiert hatte. Fast 30 Prozent der Wahlberechtigen trauen ihm offenbar auch zu, dass er das kann. Aber reicht das, um nach 22 Jahren das Rote Rathaus wieder schwarz zu färben?

Bitterer Abend: Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) blieb deutlch hinter ihrem Wahlziel zurück.
Bitterer Abend: Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) blieb deutlch hinter ihrem Wahlziel zurück. © AFP | JOHN MACDOUGALL

Wegner steht am Wahlabend vor einem Problem, das schon in den Wochen vor der Abstimmung abzusehen war: Er will regieren, aber welches Bündnis ihm dafür offensteht, ist unklar. Auch interessant: Schluss mit Weiterwursteln: Berlin braucht einen Neuanfang

Wahl in Berlin: Anderswo funktionieren schwarz-grüne Bündnisse - aber hier?

Die FDP, die als Partner zur Verfügung gestanden hätte, wird den Einzug ins Landesparlament wohl verpassen. Eine Koalition mit den Grünen hätte möglicherweise eine Mehrheit. Anderswo, in Baden-Württemberg etwa, in NRW oder Schleswig-Holstein, funktionieren derartige Bündnisse recht geräuschlos. Doch der Weg von den linken Hauptstadt-Grünen zur Berliner CDU, die nicht zu den liberalsten Verbänden innerhalb der Partei gehört, war immer schon weit, und wurde im Wahlkampf noch weiter. Lesen Sie hier: FDP bangt um Fünf-Prozent-Hürde: Lindner erleidet Schlappe

Die Grünen reagierten empört auf die Anfrage der Christdemokraten nach den Vornamen der Randalierer der Silvesternacht – und machten als Reaktion die Tür für eine Koalition lautstark zu. Die CDU ihrerseits keilte im Wahlkampf-Endspurt gegen die grüne Verkehrspolitik und erklärte, so könne man sich das nicht vorstellen mit der Koalition.

Bliebe möglicherweise die große Koalition mit der SPD als Juniorpartner. Dafür müsste aber nicht nur ein eher linker Landesverband der Sozialdemokraten mit ihm regieren wollen, sondern auch Franziska Giffey bereit sein, Wegner ihren Stuhl im Roten Rathaus zu überlassen. Besonders attraktiv ist das für die Sozialdemokraten nicht.

Berlin-Wahl: Rechnerisch hätte die bisherige Koalition eine Mehrheit

Und zumindest rechnerisch hätte auch die bisherige rot-grün-rote Koalition noch eine Mehrheit. Franziska Giffey, noch Regierende Bürgermeisterin, wollte sich am Abend noch nicht von der Möglichkeit einer SPD-geführten Regierung verabschieden. CDU-Generalsekretär Mario Czaja dagegen versuchte, derartige Gedankenspiele sofort zu ersticken – „jeder Anstand“ verbiete es, dass diese Regierung weitermache. Eine Interpretation, die von Zahlen gestützt wird: Infratest dimap zufolge waren drei Viertel der Berlinerinnen und Berliner unzufrieden mit der Arbeit des Senats, gut 15 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. Mehr zum Thema: Wahl in Berlin: Darum geht’s für Scholz, Lindner und Merz

Einen klar vorgezeichneten Weg zur Macht gibt es für Kai Wegner deshalb nicht. Doch die Ausgangsposition des Christdemokraten ist besser, als sie es in der Partei noch bis kurz vor der Wahl befürchtet hatten. Der Wahlsieger kündigte am Abend Sondierungsgespräche an.

Wahlwiederholung: Diesmal lief es weitgehend reibungslos

Dass Wegner überhaupt so schnell eine zweite Chance bekommen würde, war lange nicht klar gewesen. Im September 2021 war die CDU nach SPD und Grünen nur auf dem dritten Platz gelandet. Doch die Abstimmung 2021, bei der die Berlinerinnen und Berliner am Tag des Stadtmarathons gleichzeitig auch noch über den Bundestag und einen Volksentscheid abstimmen sollten, ging gründlich schief. Zu wenig Wahlzettel, falsche Wahlzettel, lange Schlangen, Wählerinnen und Wähler, die ihre Stimmen weit nach 18 Uhr abgaben, als die Hochrechnungen längst über die Bildschirme liefen.

Das Chaos war Wasser auf die Mühlen jener Fraktion im Rest Deutschlands, die der Hauptstadt ohnehin grundlegende Funktionsfähigkeit abspricht. Für die, die in der Stadt leben, kristallisierte sich an der vergeigten Wahl ein Grundgefühl, dass die Stadt, bei aller geschätzten Lässigkeit und allem Improvisationstalent, wichtige Dinge doch manchmal allzu entspannt angeht.

Hintergrund: Wahlwiederholung in der Hauptstadt: So tickt der Berliner

Im November entschied dann das Landesverfassungsgericht: So geht das nicht, die Wahl muss wiederholt werden. Im tiefsten Winter schwärmten also wieder Parteimitglieder aus, um Plakate zu hängen und Flyer zu verteilen.

Sie wurden belohnt mit einer Wiederholungswahl, die weitgehend reibungslos verlief. „Keine besonderen Vorkommnisse“, so fasst es Wahlhelfer Peter Frackmann am gut gelaunt zusammen. Frackmanns Arbeitsplatz neben der grauen Wahlurne ist einem Nebenraum des Xantener Ecks, einer Kneipe tief im Berliner Westen. Die Wände sind getäfelt mit dunklem Holz, von der Decke hängen Buntglas-Lampenschirme, und wer nach der Wahl Hunger hat, kann nebenan im Schankraum Currywurst bestellen.

Berlinerinnen und Berliner gehen im Wahllokal in der Berliner Kneipe Xantener Eck in Wilmersdorf wählen.
Berlinerinnen und Berliner gehen im Wahllokal in der Berliner Kneipe Xantener Eck in Wilmersdorf wählen. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Durch die Tür zum Nebenzimmer und an Frackmanns Wahlurne vorbei schiebt sich beständig eine Reihe von Wählerinnen und Wählern, der 75-Jährige gibt den Einwurfschlitz des Behälters frei, zack, wieder eine Stimme abgegeben. Auf einem Zettel neben der Urne hat er dokumentiert, wie viele Menschen zur vollen Stunde jeweils in der Schlange warten mussten. Mehr als fünf waren es am frühen Nachmittag noch zu keinem Zeitpunkt. Größere Störungen gab es auch in anderen Teilen der Stadt nicht zu vermelden. „Wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir gesehen haben“, sagte Vladimir Prebilic, Delegationsleiter der Wahlbeobachter des europäischen Kongresses der Gemeinden und Regionen.

Wahl in Berlin: Noch läuft eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe

Beim letzten Mal „war’s ein bisschen anders“, sagt Frackmann. Da mussten sie aus einem benachbarten Wahllokal Stimmzettel holen, erst nach 19 Uhr konnten die letzten ihre Stimme abgeben. Dieses Mal soll alles seine Ordnung haben. „Der Junge darf aber nicht mit in die Kabine“, sagt Frackmann, als ein Vater mit seinem Sohn den Raum betritt. Wahlgeheimnis, der Junge ist alt genug, um lesen zu können.

Der Vater guckt enttäuscht: „Ich wollte ihm zeigen, wie Demokratie läuft.“ „Machen Sie nächstes Mal Briefwahl“, sagt Frackmann und lacht. Unterstützen will er dieses Anliegen aber doch – Vater und Sohn können die Musterwahlzettel mitnehmen, um sich das mit der Demokratie zuhause in Ruhe anzugucken.

Der Vater kann dann erklären, warum ein Wahlsieger nicht automatisch auch regieren kann. Und auch, dass hinter dieser Wiederholungs-Wahl immer noch ein Fragezeichen steht. Denn gegen die Entscheidung, die Wahl zu wiederholen, ist noch eine Verfassungsbeschwerde anhängig, das Verfahren läuft. Entscheiden wird Karlsruhe demnächst.