Berlin. Seit Oktober wird Italien von einer Postfaschistin regiert. Hier erfahren Sie, wer Giorgia Meloni ist und wie sie zum Faschismus steht.

Ende Mai 2022 trug sich auf Italiens politischer Bühne eine Sensation zu. Bei den Parlamentswahlen setzte sich Giorgia Meloni in der traditionellen Männderdomäne gegen alle Konkurrenten durch und wurde zur ersten weiblichen Ministerpräsidentin Italiens gewählt. Lesen Sie auch: Melonis Antrittsbesuch bei Olaf Scholz: Höflich distanziert

Als Parteichefin der einzig großen Oppositionspartei im Parlament unter der Ägide von EU-Verfechter Mario Draghi nutzte sie mit europafeindlicher Rhetorik die Gunst der Stunde und schwang sich zu Italiens Regierungschefin auf. Doch wie tickt die italienische Regierungschefin? Und wie nahe steht sie dem Faschismus?

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Giorgia Meloni: Vom Vater verlassen, von der Mutter geprägt

Italiens erste weibliche Regierungschefin wurde am 15. Januar 1977 in Rom geboren und wuchs im römischen Arbeiterviertel Garbatella auf. Vom Vater, den sie als überzeugten Kommunisten bezeichnete, früh verlassen, wurde sie von ihrer Mutter alleine großgezogen. Die Sizilianerin, die unter Pseudonym 140 Liebesromane veröffentlichte, war jahrelang für die neofaschistische Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) aktiv. So kam die heutige Parteichefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia (FdI) früh mit rechter Ideologie in Berührung.

Auf ihrem Weg an die Spitze des italienischen Staates legte Giorgia Meloni einen ungewöhnlichen Weg zurück. Bereits mit 15 Jahren trat sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und schloss sich der "Jugendfront" des MSI an, die Szenekenner als Sammelbecken für Neo-Faschisten charakterisierten. Ihren Beitritt beschrieb sie als "Instinktentscheidung". Fortan sollte die Nachfolgepartei von Benito Mussolinis national-faschistischer Regierungspartei ihre "zweite Familie" werden. Bevor sie erste Regierungsluft schnuppern konnte, verdingte sich Meloni unter anderem als Kellnerin, Barkeeperin und Journalistin.

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Mussolinis Erbe: Die Flamme des "Duce" brennt noch bei den Fratelli d'Italia

Die Postfaschisten, wie sich Vertreter des italienischen Rechtspopulismus nennen, durchliefen seit Melonis Beitritt in den frühen 90er-Jahren zwei Namensänderungen. Die symbolische Flamme Mussolinis lodert aber noch immer auf ihrem Emblem. Medienmagnat und Machtmensch Silvio Berlusconi verhalf den Rechtspopulisten 1994 erstmals zu Regierungsverantwortung. 2008 wurde Meloni unter seiner Ägide als Sport- und Jugendministerin das jüngste Kabinettsmitglied Italiens.

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Ihre politische Agenda stammt aus dem Handbuch Europas neuer Rechter. Provokativ zitiert sie Mussolinis Mantra: "Gott, Familie, Vaterland". Die Verteidigung der "natürlichen Familie" aus Vater, Mutter und Kind fungierte bei der Parlamentswahl 2022 als Melonis Wahlkampfplattform. Die selbsternannte Patriotin profilierte sich mit EU-feindlichen Kommentaren. Homosexuelle Paare dürften keine Kinder adoptieren, wenn es nach ihr ginge, zu Abtreibungen hat sie ein kritisches Verhältnis. Sie tritt für sichere Grenzen ein und eine Blockade des Seewegs für Flüchtlinge aus Afrika. Mehr Sicherheitskräfte und neue Gefängnisse stehen ebenso weit oben auf der Agenda.

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Meloni privat: Als Kind gemobbt, heute unverheiratete Mutter

Während Meloni das Bild von der klassischen Familie propagiert, hat sie selbst eine uneheliche Tochter mit ihrem Lebensgefährten. Ihren Schwager Francesco Lollobrigida berief sie als Landwirtschaftsminister in die Regierung. Als großen Antrieb identifizierte sie in ihrer Autobiografie die Angst, als minderwertig betrachtet zu werden. Eine Angst, die noch aus ihrer Jugend herrühre, in der sie Opfer von Mobbing-Attacken gewesen sei. Diese Angst nutze ihr aber mehr, als dass sie schade: "Sie ist der Grund, warum ich so gewissenhaft, so hartnäckig, so bereit dazu bin, Opfer zu bringen."

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Giorgia Meloni: Das ist ihre politische Agenda

Ein historischer Zufall war es, dass Giorgia Meloni im Oktober fast präzise 100 Jahre nach Benito Mussolinis Gewaltmarsch auf Rom ins Amt als Ministerpräsidentin eingeführt wurde. Eine klare Distanzierung vom "Duce" kommt Meloni nicht über die Lippen, dafür überzeugte sie im Wahlkampf mit gemäßigten Tönen auch Wechselwähler aus dem bürgerlichen Lager. In der Vergangenheit bezeichnete sie Hitlers einstiges politisches Vorbild als "komplexe Persönlichkeit", die im historischen Kontext zu betrachten sei.

Flammende Appelle für die Lichtgestalt der italienischen Faschisten kann man nicht von ihr erwarten, lieber laviert sie mit zweideutigen Aussagen im Dunst des Extremismus. Die rechtspopulistische Klaviatur bespielt sie mühelos, warnt vor einer "Gender-Verschwörung" und spielt mit der Verschwörungstheorie des Bevölkerungsaustauschs. Dafür sprechen Aktionen anderer Mitglieder der Fratelli d'Italia eine klarere Sprache. Ein sizilianischer Parlamentskandidat bezeichnete Hitler als "großen Staatsmann" und bekundete seine Gefolgschaft zu Putin. Eine weitere Parteifreundin twitterte während der Corona-Pandemie eine Bildreihe mit Vorständen von Pharma-Unternehmen unter dem Davidstern. Für die Partei sitzt außerdem eine Enkelin Mussolinis im Stadtrat Roms.

Gemäßigte Töne: Seit Amtsantritt gibt sich Meloni staatstragend

Seit ihrer Wahl schlägt Meloni aber diplomatische Töne an. In fließendem Französisch, Englisch und Spanisch bekundete sie ihre Loyalität zur EU. Wie der "Tagesspiegel" berichtete, erwägt sie, ihre Partei auf EU-Ebene der gemäßigt konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) anzuschließen, der auch die CDU angehört. Der Ukraine versicherte Meloni mit starken Worten ihre Partnerschaft und überholte andere Unterstützer mit Hilfslieferungen. Und auch auf der Brüsseler Bühne hinterließ sie bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ("eine Freude") einen überraschend guten Eindruck.

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Ob Meloni das gemäßigte Bild, das sie seit Amtsantritt im Herbst abgibt, aufrecht erhalten kann, hängt stark von innenpolitischen Entwicklungen ab. In Italien sind ihre Zustimmungswerte erstmals im Sinkflug. Im Wahlkampf hatte sie versprochen, die Steuer auf Benzin und Diesel abzuschaffen. Dieser Ankündigung folgten keine Taten.

Und neben der hohen Inflation muss sie jetzt mit dem Skandal kämpfen, den ihr ihr engster Vertrauter Giovanni Donzelli eingebrockt hat. In einer Rede zitiert der nationale Koordinator der Partei aus geheimen Dokumenten, die ihm von seinem Parteifreund und Mitbewohner aus dem Justizministerium zugespielt wurden. Selbst innerhalb der Koalition sorgte das für einen Aufschrei und Rücktrittsforderungen für den Meloni-Vertrauten.

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