Berlin/Paris. Deutschland und die USA wollen der Ukraine erstmals seit dem Krieg Schützenpanzer für den Kampf gegen die russischen Angreifer liefern.

  • Deutschland und die USA liefern erstmals Schützenpanzer an die Ukraine
  • Deutschland wird nach US-Angaben auch das Flugabwehrsystem "Patriot" liefern
  • Russland reagiert auf Panzer-Ankündigung
  • US-Präsident Biden sieht den russischen Angriffskrieg an einem "kritischen Punkt"

Deutschland und die USA wollen der Ukraine erstmals Schützenpanzer für den Kampf gegen die russischen Angreifer liefern. Das vereinbarten Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden am Donnerstag in einem Telefonat, wie es anschließend in einer gemeinsamen Erklärung hieß. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine befinde sich an einem kritischen Punkt, sagte Joe Biden bei einer Kabinettssitzung im Weißen Haus. Die USA und ihre Alliierten würden "die Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken", sagte Biden.

Der Präsident betonte auch: "Wir werden der Ukraine helfen, sich gegen Luftangriffe zu verteidigen". Deswegen werde Deutschland ebenfalls ein Flugabwehrsystem vom Typ "Patriot" zur Verfügung stellen, zusätzlich zu dem einen System, das die USA bereits zugesagt hatten. Frankreich und die USA hatten zuvor in der Panzerfrage einen Gang höher geschaltet und damit den Druck auf die Bundesregierung verstärkt.

Präsident Emmanuel Macron hatte am Mittwochabend die Entsendung "leichter Kampfpanzer" an die Regierung in Kiew angekündigt. Es sei das erste Mal, dass ein Land derartige Rüstungsgüter aus westlicher Produktion an die Ukraine verschicke, so Macron. Bei dem Panzer vom Typ AMX-10 RC handelt es sich um Spähpanzer mit sechs Rädern, die bereits im Irak, in Afghanistan und in der Sahelzone eingesetzt wurden. Sie sind unter anderem mit einer 105mm-Kanone ausgestattet, die fast das Kaliber des Bundeswehr-Kampfpanzers Leopard 2 erreicht.

US-Präsident Joe Biden hatte ebenfalls am Mittwoch bestätigt, dass die US-Regierung die Lieferung von Schützenpanzern vom Typ Bradley an die Ukraine in Erwägung zieht. Bradley-Panzer verfügen laut US-Militär normalerweise über eine Kanone, ein Maschinengewehr und panzerbrechende Raketen. Sie sind mit dem von der Bundeswehr genutzten Schützenpanzer Marder vergleichbar.

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Selenskyj zu Macron: "Danke, mein Freund"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich umgehend bei Macron, sowohl für die Lieferung der Panzer als auch "für die intensive Arbeit mit den Partnern in diese Richtung". "Danke, mein Freund. Deine Führungsstärke bringt den Sieg näher", schrieb er auf Twitter.

Aus der Ampelkoalition kamen zuvor zumindest Signale, dass Deutschland bald nachlegen könnte. In Regierungskreisen hieß es, man befinde sich in enger Abstimmung mit den USA und weiteren Partnern und werde einen "qualitativ neuen Schritt" gehen. Dabei war der Marder bereits im Gespräch.

Die Panzer könnten aus Beständen der Bundeswehr, wahrscheinlicher aber aus Beständen der Rüstungsindustrie stammen. Mehr Klarheit gibt es möglicherweise nach einem Telefonat zwischen Kanzler Scholz und dem ukrainischen Staatschef Selenskyj, das für diesen Freitag geplant ist.

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Vizekanzler Robert Habeck hat die geplante Lieferung des Schützenpanzers Marder an die Ukraine als gute Entscheidung bezeichnet. „Wir haben seit Kriegsbeginn unsere Unterstützung im Zusammenspiel mit unseren Partnern immer stärker ausgeweitet. Es ist folgerichtig, dass wir auch diesen Schritt gehen“, erklärte der Grünen-Politiker am Donnerstagabend. „Die Ukraine hat das Recht, sich selbst gegen den russischen Angriff zu verteidigen, und wir haben die Pflicht, ihr dabei zu helfen.“

Unterdessen reagierte Moskaus Botschafter in Washington auf die amerikanische Ankündigung, Schützenpanzer in die Ukraine zu bringen. Dies zeige mangelnden Willen Washingtons, den Krieg beizulegen. Alle jüngsten US-Aktionen zeigten direkt, dass Washington keinen Wunsch für eine politische Lösung in der Ukraine habe, sagte der russische Botschafter Anatoli Antonow laut russischer Staatsagentur Tass am Donnerstag in Washington. "Es sollte kein Zweifel daran bestehen, wer für die Verlängerung des jüngsten Konflikts verantwortlich ist."

Göring-Eckardt: "Deutschland sollte sich daneben an die Spitze der Bewegung stellen"

Nach den Ankündigungen aus Paris und Washington erhöhte sich in Berlin der Druck auf den Kanzler. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, drängte auf die Lieferung deutscher Kampfpanzer an die Ukraine. "Wenn Frankreich nun bei den Panzerlieferungen weiter vorangeht, sollte sich Deutschland daneben an die Spitze der Bewegung stellen", sagte die Grünen-Politikerin unserer Redaktion.

Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, fordert die Lieferung zahlreicher europäischer Kampfpanzer an die Ukraine. Scholz müsse "jetzt eine europäische Initiative starten zur Lieferung von Leopard-2-Panzern", sagte der Grünen-Politiker unserer Redaktion. Leopard 2 würden in mehr als zehn europäischen Ländern genutzt. "Es gibt in Europa circa 2000 aktive Leopard 2. Nur zehn Prozent an die Ukraine geliefert, wären eine große Hilfe."

Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). "Das vom Bundeskanzleramt ständig vorgeschobene Argument, Deutschland dürfe keine Alleingänge starten, ist absolut passé", erklärte sie. Die Ukraine müsse nun "gewinnen, um auch unsere Freiheit und unsere Werte zu verteidigen - und das geht nur mit der Unterstützung von Panzern", unterstrich die Liberale.

"Wir werden nicht aufhören, Waffen an die Ukraine zu liefern", sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag auf einer Wirtschaftskonferenz in Oslo. Ein amerikanischer Diplomat ergänzte: "Wir schauen immer, wie wir die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine verbessern können. Dabei wird alles diskutiert."

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Das schwerste Waffensystem aus Deutschland war bislang der Gepard-Panzer

Der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, hatte eine "deutsche Führungsrolle" bei der Lieferung von Waffen an sein Land angemahnt. "Wir haben Grund zur Hoffnung, dass die Entscheidung fällt, Leopard 2 aus Deutschland direkt in die Ukraine zu liefern", sagte Makeiev im November unserer Redaktion. Nach den jüngsten Vorstößen aus Paris und Washington scheint die Ukraine ihrem Ziel zumindest einen kleinen Schritt näher gekommen zu sein.

Bislang hatten westliche Staaten vor der Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern zurückgeschreckt. Laut Experten stellen sie eine erhebliche Erhöhung des militärischen Engagements dar und könnten von Moskau als eine "direkte Kriegsbeteiligung" gewertet werden. Weder verschickten die Franzosen Leclerc-Kampfpanzer nach Kiew noch die Amerikaner ihre M1 Abrams – die Gegenstücke zum deutschen Leopard 2. Das schwerste Waffensystem, das Deutschland bislang geliefert hat, sind ausgemusterte Panzer vom Typ Gepard, die zur Flugabwehr dienen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern und Marder-Schützenpanzern bislang mit der Begründung abgelehnt, dass noch kein anderes Nato-Land solche Panzer zur Verfügung stellt. Es würden keine Alleingänge stattfinden, betonte er immer wieder. Der wichtigste Bündnispartner USA hat allerdings grünes Licht für die Entsendung deutscher Kampfpanzer gegeben. "Es ist Deutschlands Entscheidung", sagte die amerikanische Vizeaußenministerin Wendy Sherman kürzlich während eines Deutschland-Besuchs in Berlin. Gut möglich, dass die Marder nun erst der Anfang sind. (mit Material von dpa)