Berlin. Im Schlaf hält sich der Körper gesundheitlich fit. Auch Unternehmen können davon profitieren, sagt der Schlafforscher Albrecht Vorster.

Wie lange wir leben und wie gesund wir sind, hängt ganz entscheidend mit unserem Schlaf zusammen. Er verhindert Krankheiten, macht uns schlauer und liefert Lebensenergie. Der Schlafforscher und Neurobiologe Albrecht Vorster erforscht diesen unbewussten Zustand und sagt: Selbst auf der Arbeit sollte man schlafen.

Herr Vorster, Schlaf gibt uns Lebensenergie. Was passiert, wenn wir schlafen?

Albrecht Vorster: Der Schlaf ist ein Allrounder für alle Prozesse, die im Körper ablaufen. Im Gehirn vergrößern sich die Zellzwischenräume um 60 Prozent und Proteinreste werden rausgespült. Das schützt uns vor Erkrankungen wie Demenz und Parkinson. Im Schlaf werden die Nervenenden zurückgestutzt. Sie können am nächsten Tag wieder austreiben und neue Kontakte knüpfen. So bleiben auch die Neurotransmitter im Gleichgewicht und das Risiko für psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen sinkt. Und der Schlaf ist wichtig für eine grundlegende Eigenschaft des Menschen: das Lernen. Wir werden schlauer im Schlaf und wachen am nächsten Morgen mit einem anderen Gehirn auf, als wir eingeschlafen sind.

Es heißt, der Schlaf hat einen entscheidenden Einfluss auf das Sterblichkeitsrisiko.

Vorster: Im Schlaf findet die Regeneration der Zellwände der Blutgefäße statt. Passiert das nicht, steigt das Risiko für Arteriosklerose und damit auch für Herzinfarkt und Schlaganfall. Der Schlaf ist auch zentral zur Kontrolle der Tumorentstehung. Wenn aber das Immunsystem in der Zeit, in der es eigentlich am aktivsten ist, also in der Nacht, seine Arbeit nicht machen kann, steigt das Krebsrisiko. Deswegen ist zum Beispiel das Brustkrebsrisiko bei Schichtarbeiterinnen erhöht. Und dann ist der Schlaf noch zentral für das Immunsystem.

Wer schlecht schläft, wird häufiger krank?

Vorster: Im Schlaf tauschen sich die Immunzellen darüber aus, welche Bruchstücke von einwandernden Keimen sie gesehen haben. So lernen die anderen Immunzellen, wonach gezielt gesucht werden soll. Das ist auch wichtig für unseren Impfschutz. Wenn ich die Nacht nach einer Impfung durchmache, habe ich auch ein Jahr danach einen schlechteren Impfschutz.

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Haben Eltern kleiner Kinder oder pflegende Angehörige ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko?

Vorster: Das kann man so nicht sagen. Es ist nicht schlimm, wenn wir mal eine Woche oder sogar ein, zwei Jahre zu wenig oder schlecht schlafen. Wenn wir aber über zehn, zwanzig Jahre mit unserem Schlaf Schindluder treiben, steigt das Risiko für solche Erkrankungen.

Albrecht Vorster, 37, leitet das Swiss Sleep House der Uniklinik Bern und ist Autor des Buchs „Warum wir schlafen“.
Albrecht Vorster, 37, leitet das Swiss Sleep House der Uniklinik Bern und ist Autor des Buchs „Warum wir schlafen“. © Kay Blaschke

Wie wirkt sich eine durchgemachte Nacht auf unsere Lebensenergie aus?

Vorster: Eine Nacht stecken wir gut weg. Daher mein Rat an Menschen, die an einem bestimmten Tag besonders leistungsfähig sein müssen: Für sie ist es wichtig, in der Woche vorher gut zu schlafen. Dann müssen sie sich für die letzte Nacht keine Sorgen machen. Habe ich aber schon ein Schlafdefizit angesammelt, sinken messbar Leistung, Konzentration, Stimmung, Entscheidungsfähigkeit. Und die Leistung wird nicht graduell schlechter, sondern es kommt zu Leistungseinbrüchen, unsere Wunschleistung ist durchsetzt mit Fehlern. Das bekommen wir aber nicht mit. Lässt man in Experimenten Teilnehmer mehrere Tage nur vier Stunden schlafen, sagen sie nach dem dritten Tag: „Jetzt komme ich mit dem Weniger an Schlaf aus.“ In Wirklichkeit werden sie von Tag zu Tag schlechter.

Berufstätige richten ihren Schlaf in der Regel nach ihrem Job aus. Haben Arbeitgeber beim Thema Schlaf nicht auch eine Verantwortung?

Vorster: Das stimmt. In Firmen gibt es Betriebssportprogramme oder sie stellen Obst am Eingang auf. Aber sogenannte Nap Rooms, Räume zum Schlafen, gibt es nur in vereinzelten Pionierfirmen. Dass Firmen Schlaf mit ins betriebliche Gesundheitsmanagement einbeziehen, ist äußerst selten.

Bei vielen Führungskräften stellen Nap Rooms wahrscheinlich einen Widerspruch dar: Leistung und Schlaf – das geht nicht zusammen.

Vorster: Das ist genauso abwegig wie zu sagen: Meine Leute sollen am Arbeitsplatz nicht essen. Niemand würde den Mitarbeitern eine Kaffeeküche verwehren – und die dient genauso zur Leistungssteigerung. Ausgeschlafene Mitarbeiter will jedes Unternehmen: Sie sind glücklicher, zufriedener, leistungsfähiger, seltener krank. Schlafen auf der Arbeit sollte erlaubt sein.

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Wie lange muss ein Powernap, also ein kurzer Schlaf am Tag, sein?

Vorster: Er sollte mindestens fünf bis zehn Minuten sein und maximal 15 Minuten. Schlafen wir länger, fallen wir in eine Tiefschlafphase und brauchen im Anschluss ein bis zwei Stunden, bis wir wieder ganz da sind. Beim Powernap will man nur in die Leichtschlafphase fallen, das fühlt sich manchmal gar nicht wie Schlaf an. Daher mein Tipp, um das zu trainieren: Wecker stellen, fünf bis zehn Minuten die Augen zu und egal, was in dieser Zeit passiert ist – ob man das Gefühl hatte, geschlafen zu haben oder ob man gegrübelt hat – danach aufstehen und weitermachen.

Stichwort Kaffeeküche: Was halten Sie als Schlafforscher von Kaffee?

Vorster: Kaffee ist gesund. Die Studien der letzten Jahre sind da sehr eindeutig. Man muss nur ab dem Nachmittag aufpassen. Er wirkt lange, auch wenn wir es gar nicht merken. Trinken wir nachmittags um fünf noch zwei Tassen Kaffee, ist eine davon noch abends um 23 Uhr im Blut. Das macht unseren Schlaf etwas leichter. Aber es gibt noch einen viel stärkeren Wachmacher als Kaffee.

Welchen?

Vorster: Licht. Draußen herrschen 10.000 bis 100.000 Lux, in einem perfekt ausgeleuchteten Büro sind es 500 Lux. Das ist sehr wenig. Dabei schlafen wir nachts besser, wenn wir tagsüber viel Licht bekommen. Daher sollten wir morgens nach draußen gehen.

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Wie stehen Sie zum Smartphone im Bett?

Vorster: Ich würde das Handy eine Stunde vor dem Einschlafen ausmachen, weil es ein Emotionsgerät ist und uns das Einschlafen erschwert. Wir lesen Arbeitsmails, chatten in der Familiengruppe oder gucken Youtube-Videos und das ist mit Freude, Leid und Problemen verbunden.

Ein gutes Buch ist auch mit Emotionen verbunden.

Vorster: Aber ein gutes Buch entführt mich aus meinem Leben. Ich entferne mich von dem, was am Tag passiert ist. Ich empfehle das Buch zum Einschlafen!